Gehetzt, bisweilen verstohlen schaut sich Heinz Julen um. Streng genommen hat er kein Recht mehr, hier umherzugehen. Seit der Künstler im Juli 2000 die Schlüssel abgeben musste, hat er Hausverbot im «Into the Hotel», das er entworfen und gebaut hat. Will Julen einen Blick ins Innere werfen, ist er von der Laune des Bauleiters abhängig.
Julen eilt durch die fünf Stockwerke. Will sehen, was von seiner Architektur übrig geblieben ist, was die Handwerker bereits abmontiert oder zerschlagen haben. Resignation, als er eines der 45 Hotelzimmer betritt. In der Fensterfront, wo Julen den Fernseher vorsah, klafft ein Loch. Die TV-Apparate sind entfernt worden, ebenso die automatischen Befeuchtungsanlagen. Marginale Korrekturen im Vergleich zum Eingriff im Dachstock. Das Glasdach ist abgetragen worden, nun sind die Handwerker damit beschäftigt, konventionelle Holzbalken einzufügen, die der Schneelast im Winter widerstehen sollen. Das «Into», wie die Zermatter das extravagante Hotel nennen, ist eine Baustelle. Kran und Baugerüst auf dem Hügel lassen von weitem erkennen, dass hier bis auf weiteres niemand logieren wird. Nichts erinnert daran, dass die Nobelherberge Ende Februar 2000 mit Pomp und Prominenz eröffnet worden ist. Dass Journalisten aus der ganzen Welt den Bau feierten, dass Türwächter nötig waren, um den Ansturm neugieriger Touristen in Schach zu halten.
Die prunkvolle Eröffnung markiert den Höhepunkt der Freundschaft zwischen Heinz Julen und dem Büromöbelfabrikanten Alex Schärer. Die beiden, die sich Jahre zuvor kennen gelernt hatten, einigten sich an Ostern 1998 darauf, ein «aussergewöhnliches Hotel» zu realisieren. Julen steuerte die Idee und das Grundstück bei, Schärer über die Möbelfirma USM U.Schärer Söhne die nötigen finanziellen Mittel von fünf Millionen Franken. Julen profitierte von der Grosszügigkeit der Familie Schärer. Sie luden ihn zu Veranstaltungen nach Hamburg, Venedig oder Paris ein, zur Hoteleröffnung erhielt er von Alex Schärer eine Uhr der Edelmarke Lange & Söhne, Wert: 25 000 Franken.
Mit der Spendierfreude ist es jetzt vorbei. Die Familie Schärer treibt Julen finanziell in die Enge. Seit einem halben Jahr wartet er auf die Bezahlung von 300 000 Franken für Arbeiten am Hotelmobiliar, das er in seinem Atelier herstellte. Die Miete für Personalwohnungen, die Julen gehören, überweist USM auf ein Sperrkonto, angeblich wegen ungenügender Schallisolation. Zudem haben die Möbelmacher aus Münsingen Julen eine Rechnung über 80000 Franken gestellt für Übernachtungen im «Into»; er und seine Familie hatten die Zimmer vor der Eröffnung getestet.
Jetzt ist die Familie Schärer auch juristisch aktiv geworden. Anfang November hat Alex Schärer über einen Anwalt ein Schiedsgericht angerufen, um «eine objektive Drittmeinung» zum Fall zu erhalten, wie er sich ausdrückt. Gelingt es dem unabhängigen Richter nicht, die beiden Parteien zu versöhnen, kommt es zum Prozess. Schärer will dann eine formelle Klage gegen Julen einreichen und Sanierungskosten von gegen 15 Millionen Franken einfordern.
Das ist der vorläufige Höhepunkt einer Geschichte, die nach der Hoteleröffnung rasch unappetitliche Züge annimmt. Das Geld wird knapp, wegen Mehrkosten beim Bau und weil die Eröffnung um zwei Monate verschoben werden musste. Julen und die Familie Schärer geraten bei baulichen Fragen aneinander. Als Julen nicht einlenkt, wird er entmachtet. Im Sommer bricht Streit um die Qualität des Hauses aus, USM beauftragt einen Architekten mit der Sanierung. Zusammen mit bereits ausgeführten Arbeiten im Wert von 25 Millionen wird das Hotel 40 Millionen Franken verschlingen.
Der Konflikt zwischen Geld und Geist – das klassische Motiv aus Jeremias Gotthelfs gleichnamigem Roman – wird im Walliser Kurort lebendig inszeniert. Hartnäckig verfechten die Protagonisten ihren Standpunkt: «Meine Idee wird zerstört», empört sich Julen. «Wir versuchen, das Hotel funktionstüchtig zu machen», kontert Schärer. Streitpunkt ist die Bauphysik: die Qualität von Dach und Fassade, die Vorschriften von Suva und Brandschutzversicherung.
Ob Julens Visionen zerstört oder nur notwendige Korrekturen vorgenommen werden, lässt sich nicht beurteilen. Eine Million Franken hätte genügt, um das Hotel fertig zu stellen, verteidigt sich Julen. Beweisen kann er es nicht. Damals hatte er nichts mehr zu sagen, heute fehlen detaillierte Pläne, um die bauliche Qualität nachträglich zu überprüfen.
Fest steht, dass ein Grossteil der technischen Spielereien der Sanierung zum Opfer fällt: die als Lift erdachte Bar, der Freiluft-Jacuzzi. Den ganzen Winter über wird sich eine Hand voll Bauarbeiter im Innern des Hauses zu schaffen machen, Cheminées demontieren, Duschen abbrechen, neue Fenster anbringen.
Was jetzt entfernt wird, hat Alex Schärer zuvor begeistert. «Mich hat Julens Geschick für technische Lösungen fasziniert», sagt Schärer. Sein Talent hat Julen in Zermatt mehrmals unter Beweis gestellt, im Kulturzentrum Vernissage, im Hotel Cœur des Alpes und im «View House», einem Appartement-Haus. «Nach sieben Jahren funktioniert hier noch alles», betont Julen beim Rundgang im «View House». Für ihn der Beweis, dass Häuser dem Klima auf 1600 Metern über Meer auch trotzen können, wenn einschlägige Normen nicht eingehalten werden. Und dass solche Häuser eine kreative Atmosphäre versprühen; Stephan Eicher hat hier 1996 das Album «1000 vies» aufgenommen.
Julen lieferte Schärer auch Idee und Skizze für ein exklusives Ferienhaus auf dem Peloponnes – ein fahrbarer Pavillon. Tagsüber, wenn die Sonne auf die griechische Halbinsel brennt, ist der Wohnpavillon in einem kühlen Tunnel geschützt. Nachts lässt sich das Haus langsam aus dem Hangar rollen. Unter dem Titel «Wohnhaus: ausfahrbarer Pavillon» wurde das Patent angemeldet. Julen wie Schärer schwärmen noch immer von der futuristischen Ästhetik der Ferienresidenz, obwohl die Arbeiten wegen der Auseinandersetzungen in Zermatt ruhen.
Dass das «Into» jetzt nach den Vorgaben von USM umgebaut wird, überrascht nicht. In aller Regel setzt sich Vermögen über Visionen hinweg. Das ist auch Marcel Odermatt aufgefallen, der als «Into»-Direktor die Spannungen zwischen Julen und der Familie Schärer miterlebt hat. «Die Familie Schärer wollte bis ins letzte Detail mitbestimmen», erinnert sich Odermatt. Als sich die Bauarbeiten dem Abschluss näherten, begannen sich die Schärers für das Hotel zu interessieren, vor allem für die Gestaltung der Räume. Über die Aschenbecher konnte genauso innig debattiert werden wie über die Vorhänge. Ein anderes Mal wurde ein Hotelangestellter fristlos entlassen – durch Alex Schärers Freundin, die, ohne offizielles Mandat, energisch Einfluss nahm. Die familiäre Einmischung wurde Odermatt zu viel, und er verliess das Haus noch in der Probezeit.
Andere Künstler wären in dieser Situation vielleicht zu Kompromissen bereit gewesen – schliesslich bietet sich nicht alle Tage die Chance, für über 20 Millionen eine bewohnbare Skulptur zu bauen. Nicht aber Heinz Julen, der um keinen Preis von seinen Vorstellungen abrücken wollte. Er habe einen «sehr harten Kopf», sagt er über sich.
Das ging lange gut. Bis kurz vor der Eröffnung wurden Julen keine Konzessionen abverlangt. Damals sei die Partnerschaft mit Alex Schärer «wie eine Ehe mit einer sehr reichen Frau gewesen, die zu allem Ja sagt», zieht Julen Bilanz. Das Glück hängt aber nicht nur vom Partner ab, sondern auch von den Schwiegereltern. In diesem Fall vom Schwiegervater: Paul Schärer. Der Mehrheitsaktionär von USM spielte auch in Zermatt eine wichtige Rolle: «Mein Vater war Mäzen und Geldgeber», erklärt Alex Schärer.
Während des Baus war Paul Schärer vom Projekt ebenso begeistert wie Sohn Alex. Ab März 2000 begann er sich jedoch zu distanzieren. Vorausgegangen war im November 1999 eine Notiz des USM-Finanzchefs, wonach das Budget beim Hotelbau deutlich überschritten werde. Zum radikalen Bruch kam es am 26. Juni 2000 in Münsingen. Das Treffen der Hotelgesellschaft verlief so turbulent, dass «der Verlauf der Sitzung nicht im Wortlaut wiedergegeben werden kann», wie im Protokoll vermerkt wird. Festgehalten werden jedoch Paul Schärers Vorwürfe an Julen. Streitpunkt ist nicht die finanzielle Belastung – «die kann ich verkraften» –, sondern der Umstand, dass sich Julen in den Medien in den Vordergrund gedrängt und USM nicht gleichwertig erwähnt habe. Das sei «unverzeilich», ist Schärer senior ausser sich.
Paul Schärer ist ein dünnhäutiger Mensch. Und überaus misstrauisch. Das zeigt auch seine Angst vor Scientologen. Anfang der Neunzigerjahre hatten Mitarbeiter von USM Deutschland, die der Sekte angehörten, versucht, die Kontrolle über USM zu übernehmen. Die Aktion schlug fehl, und seither müssen alle USM-Kader eine Erklärung unterschreiben, weder Anhänger noch Sympathisant von L. Ron Hubbard zu sein, dem Scientology-Begründer. Auch in Zermatt war Schärer besorgt: «Ich warne vor Reservationen von Tom Cruise», liess er die Angestellten in einem Schreiben wissen.
Scientology-Anhänger Tom Cruise kreuzte nicht auf. Doch auch ohne den Hollywoodstar erreichte das Hotel in der verkürzten Wintersaison eine respektable Auslastung. Nun sucht USM mit Hochdruck einen Pächter, der das Hotel im Dezember 2001 eröffnet. Schweizer Hoteliers haben abgewinkt, die Hoffnungen ruhen nun auf ausländischen Ketten. Noch lieber würden die Schärers das Hotel verkaufen, nur findet sich niemand, der einen angemessenen Preis zahlt. Einzig ein Araber zeigte bisher Interesse. Dass dieser das Haus in einen Harem verwandeln könnte, war Paul Schärer jedoch nicht geheuer.
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