Immobilien: Crash bei Preisen gefährdet System und Banken

Die Schliessung der Spar- und Leihkasse Thun wird 1991 innert Tagen angeordnet, doch die Liquidation dauert Jahre. Erst 2006 kann der Liquidator seinen Abschlussbericht vorlegen. 223 Millionen Franken sind verloren. Die Thuner Regionalbank wurde zum Symbol der Immobilienkrise der 90er Jahre. Die Kunden standen vor verschlossenen Türen. Sie zitterten um ihr Erspartes. Die Bilder gingen um die Welt. «Eigentlich war das kein besonders grosser Fall», erinnerte sich Christoph Winzeler, der damals als Chefjurist für die Schweizerische Bankiervereinigung (SBVg) arbeitete. «Es gab vereinzelt Fälle davor und Fälle danach, meist jedoch kleinere.» In den 1990er Jahren verschwanden viele Banken über Fusionen und Übernahmen. Viele wurden saniert. Nur eine wurde nicht gerettet: die Spar- und Leihkasse Thun. Es war das Lehman Brothers der Schweiz. Und wie bei Lehman ging eine Immobilienkrise voran. Auslöser war der Börsencrash von 1987. Aus Angst vor einer Rezession pumpten die Notenbanken Geld ins System. Auch die Nationalbank (SNB) senkte die Zinsen und weitete die Geldmenge aus. Statt in Aktien investierten plötzlich alle in Immobilien. Lehman Brothers der Schweiz Ende 1989 wuchsen die Kreditvolumen zweistellig. Bei den Regionalbanken lagen sie im Dezember 1989 stolze 16 Prozent über dem Vorjahreswert. Später war klar: Viele Kredite waren schlecht dokumentiert, hohe Belehnungen an der Tagesordnung. Parallelen zu heute? Durchaus vorhanden. Lange war das Geld billig. Es floss in Strömen in Betongold. Die Preise kletterten. Dann die geldpolitische Wende. Steigende Zinsen, explodierende Finanzkosten. Ein Beispiel: Die Hypothekarkosten eines durchschnittlichen Hauses in Zürich sind gegenüber dem Vorjahr um 20’600 Franken gestiegen – bei einer Belehnung von 80 Prozent und einer zehnjährigen Hypothek. Bei fünfjährigen Hypotheken ist es ein Plus von 19’400 Franken pro Jahr. Das sind 1600 oder 1700 Franken extra. Jeden Monat. Das heisst konkret: Alleine die Zinskosten für ein durchschnittliches Haus in Zürich betragen neu zwischen 2000 und 3000 Franken monatlich. Dazu kommen Amortisationszahlungen – die Hypothek muss gesetzlich innert 15 Jahren auf zwei Drittel des Belehnungswertes reduziert werden – und die gestiegene Nebenkostenabrechnung. Die Wohnkosten belaufen sich so problemlos auf 4000 bis 6000 Franken im Monat. Für dieses Geld kann man auch eine moderne 5,5-Zimmer-Wohnung am Zürichberg in Gehdistanz zum Klusplatz mieten, 142 Quadratmeter, bodentiefe Fenster, offene Küche, sonniger Balkon, Regendusche, selbst produzierter Solarstrom. Mehr zum Thema Die Folgen des SNB-Entscheids für den Immobilien-Markt Wie viel wert ist meine Immobilie? Die vertrackte Suche nach dem richtigen Marktwert Makler: Eine Branche steht im Gegenwind Destruktive Dynamik bei sinkenden Preisen Die explodierenden Zinsen machen Mieten wieder attraktiver. Sinkt aber die Nachfrage nach Eigentum merklich, kann es zum Preisrutsch kommen. Und dann beginnt eine Spirale zu drehen, die immer schlimmer wird. Ein Teufelskreis. Ein solcher Crash wird alle in Schwierigkeiten bringen, die ihre Immobilie mit über 60 Prozent belehnt und kein Kapital mehr in der Hinterhand haben. Sie müssen damit rechnen, dass ihre Bank hohe Nachschüsse verlangt. Wer nicht zahlen kann, muss zusehen, wie seine Immobilie zwangsversteigert wird. Wer zum Beispiel auf seinem Eigenheim im Wert von 1 Million Franken eine Hypothek in der Höhe von 600'000 Franken hat, wird nach einem Preiseinbruch von 40 Prozent 120'000 Franken nachschiessen müssen, um wieder eine Eigenkapitaldeckung von lediglich 20 Prozent zu erreichen. Wenn dies längerfristig nicht möglich ist, geht die Immobilie verloren. Der Crash wird viele Banken mit in die Tiefe reissen. Ein Stresstest der Finma zeigt, dass rund die Hälfte der getesteten Institute bei einer Immobilienkrise wie in den 1990er Jahren in schwere Not kämen. Eine ähnlich gelagerte Immobilienkrise könnte zu Verlusten im zweistelligen Milliardenbereich führen. Die Banken hätten ein Problem bei den Eigenmittelanforderungen mit «signifikanten Folgen für die Finanzstabilität» (Finma). Büchse der Pandora Auch Versicherungen würden in einer Immobilienkrise empfindliche Verluste in ihren Hypothekar- und Immobilienportfolien erleiden. Zudem müssten Versicherungen allenfalls iImmobilienanlagen abstossen – im Rahmen eines Risikoabbaus und zur Bereitstellung von Liquidität. Der Preiszerfall bei Immobilien würde dadurch noch verstärkt. Für Immobilienfonds hätten Preiskorrekturen Bewertungsverluste und daraus resultierende Mittelabflüsse zur Folge und könnten Liquiditätsprobleme nach sich ziehen. Die Situation wäre kaum zu bremsen. Es ist die Büchse der Pandora: Einmal geöffnet, kann sie fast nicht mehr verschlossen werden. In der letzten Krise stoppte der Nationalrat den Preiszerfall, in dem er Pensionskassengelder für Immobilienfinanzierungen freigab. Im März 1993 stimmten die Volksvertreter dafür. Die SP war dagegen: Der Genfer Sozialdemokrat Jean-Nils de Dardel kritisierte, das sei ein Geschenk an die Banken, die nun leichter auf Rückzahlung der Hypotheken drängen könnten. Trotzdem: Am 1. Januar 1995 tritt das neue Gesetz in Kraft: «Bundesgesetz über die Wohneigentumsförderung mit Mitteln der beruflichen Vorsorge.» Der Preiszerfall ist gestoppt. Bis zu 50 Prozent brachen an gewissen Lagen, vor allem im Raum Zürich, die Preise damals ein. Der Tiefpunkt der Immobilienkrise. Anschliessend setzte die Preishausse ein, die bis 2022 anhält. Vielleicht neigt sie sich dem Ende zu. Denn seit geraumer Zeit sind es wieder institutionelle Anleger, unter anderem Pensionskassen, deren Anlagebedarf die Immobilienpreise treiben – so war es auch 1989.

Immobilien: Crash bei Preisen gefährdet System und Banken

Was bei einem Immo-Crash passiert