Fast alle rund 120 Leute im noblen Saal im Hotel «Le Grand Bellevue» in Gstaad heben die Hand. Damit geben sie zu erkennen, dass sie Metformin nehmen. Danach gefragt hat Nir Barzilai, der Referent vorne auf der Bühne. Er ist Direktor am Institut for Aging Research am Albert Einstein College of Medicine in New York.  Nun fragt der 67-jährige Israeli, der in die USA auswanderte und nun auch US-Bürger ist: «Warum nehmen es die anderen noch nicht?»

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Wir sind an der Longevity Investors Conference. Hier versammeln sich jedes Jahr im Herbst reiche Investorinnen und Investoren, Startup-Unternehmerinnen und Wissenschafter, die das Altern als Krankheit betrachten, die heilbar werden soll. Auch dieses Jahr werden sie Ende September wieder im Bellevue sein.

Nir Barzilai vorne auf der Bühne an der Longevity Investors Conference 2022

Nir Barzilai vorne auf der Bühne an der Longevity Investors Conference

Quelle: ZVG

Die Gallionsfigur der Longevity-Community ist Aubrey de Grey, dessen besonderes Merkmal sein langer Bart ist. Der 60-jährige Brite ist überzeugt, dass die Langlebigkeitsforschung kurz vor dem grossen Durchbruch steht. Er erklärte in einem Interview im Magazin «Millionär», wieso er denkt, dass der erste Mensch, der 1000 Jahre alt wird, bereits geboren wurde.

De Grey hat an der University of Cambridge Informatik studiert und forschte schon vor über drei Jahrzehnten auf dem heute populären Gebiet der künstlichen Intelligenz. Zur Biologie kam er durch seine Ex-Frau, eine britische Genetikprofessorin, die 19 Jahre älter ist als er. Seinen Doktortitel erhielt de Grey auf Grund einer Publikation, in der er darlegt, dass es die Nebenwirkungen des Stoffwechsels sind, die Menschen letztlich töten. Er will das ändern.

De Grey hat keine Kinder, aber ist Vater, Onkel und Götti von einigen Unternehmen im Bereich der Langlebigkeitsforschung. Natürlich ist er Stammgast an der Longevity Investors Conference in Gstaad. Auch in diesem Jahr, in dem die Konferenz vom 27. bis am 29. September stattfindet.

Aubrey de Grey referiert an der Longevity Investors Conference 2022

Aubrey de Grey referiert an der Longevity Investors Conference 2022

Quelle: ZVG

Wer ihn dort treffen will, muss mindestens 4500 Franken für ein Konferenzticket bezahlen und eine Million Franken frei verfügbares Vermögen mitbringen, das er oder sie ins Geschäftsfeld der Langlebigkeit investieren kann. So wollen es die Organisatoren.

Das sind die beiden Schweizer Unternehmer Marc Bernegger und Tobias Reichmuth. Zusammen sind sie auch bei Maximon federführend, einer Firma, die Gründer und Gründerinnen in der Langlebigkeitsbranche unterstützt. Erst kürzlich wurde das Investitionsvolumen für Startups auf 30 Millionen Franken erhöht. Bereits vier Unternehmen seien finanziert und aufgebaut worden.

Unter den Fittichen von Maximom ist etwa die Firma Avea, die Nahrungsergänzungsmittel anbietet. Deren Co-Gründerin und Chief Product Officer ist Sophie Chabloz. Die 34-jährige Schweizerin hat ihr Masterstudium an der ETH in Zürich mit der Vertiefung Food Science, Nutrition & Health abgeschlossen. In einem Interview im Magazin «Millionär», erklärte sie vor zwei Jahren, was man alles tun kann, um die gesunde Lebensspanne zu verlängern.

Zuerst gehe es um einen gesunden Lebensstil, zu dem sie auch kalt duschen, saunieren und Intervallfasten zählt. Zusätzlich seien Nahrungsergänzungsmittel hilfreich. Insbesondere ist sie von Nicotinamid Mononukleotid (NMN) und Resveratrol überzeugt. Deren Einnahme kann die Konzentration von Nicotinamid-Adenin-Dinukleotid (NAD+) im Körper wieder auf ein jugendlicheres Niveau erhöhen. Das soll Aspekte des Alterns verlangsamen oder sogar umkehren und das Fortschreiten altersbedingter Krankheiten verzögern.

Sophie Chabloz

Sophie Chabloz, Co-Gründerin von Avea

Quelle: Anne Gabriel-Juergens

Selbstverständlich nehmen die beiden Hauptorganisatoren der Konferenz, Marc Bernegger und Tobias Reichmuth, die Ernährungsergänzungsmittel von Avea. Das gilt auch für NMN, von dem Avea auf der Firmenseite allen abrät, die jemals Krebs hatten oder in der Familie genetisch vorbelastet sind. Denn es ist nicht ausgeschlossen, dass eine Einnahme die Krebsentwicklung beschleunigen könnte.

NMN und Resveratrol wurden vor allem von David Sinclair propagiert und populär gemacht. Der 54-Jährige ist Professor für Genetik an der Harvard Medical School und Co-Direktor des Paul F. Glenn Center for Biology and Aging Research. Der Australier, der in die USA ausgewandert ist und inzwischen auch US-Bürger ist, nimmt selber jeden Tag ein Gramm NMN und ein Gramm Resveratrol. Sein 83-jähriger Vater tue das auch und erfreue sich bester Gesundheit, sagt Sinclair in Referaten gern.

Allerdings fehlt bei NMN und Resveratrol eine empirische Wirksamkeitsstudie beim Menschen. Das gilt, auch wenn man bei Mäusen einen verjüngenden Effekt in Labors beobachten kann.

Lebensspanne von Mäusen um einen Viertel verlängern

Auch mit anderen Therapien als NMN und Resveratrol konnten Wissenschaftler eine verjüngende Wirkung bei Kleinstlebewesen feststellen. So kann etwa Rapamycin die Lebensspanne von Mäusen um einen Viertel verlängern. Dabei ist Rapamycin eigentlich ein Mittel, mit dem das Immunsystem von Patientinnen und Patienten heruntergefahren wird, die ein Organ transplantiert erhalten. So stossen sie das neue Organ nicht ab.

Interesse an jungem Blut, das verjüngend wirken soll

Kein Wunder, sind Milliardäre im Silicon Valley interessiert. Peter Thiel (55), Co-Gründer von Paypal und früher Investor bei Facebook, sagte öffentlich schon vor einigen Jahren, dass er sich das anschaue. Allerdings ist nicht geklärt, ob sich die Ergebnisse von Mäusen auf Menschen übertragen lassen. Es gebe keine Evidenz für eine Wirksamkeit, sagt der gebürtige Schweizer Tony Wyss-Coray, der Professor für Neurologie an der renommierten Stanford University ist und Vorträge zum Thema hält, die auf Youtube zu sehen sind.

Der empirische Nachweis eines verjüngenden Effektes bei Menschen ist deutlich schwieriger zu erbringen als bei Mäusen. Dies unter anderem, weil Menschen im Schnitt eine viel längere Lebensdauer haben als Mäuse. Da dauern solche empirischen Nachweise auch viel länger.

Altern ist keine offizielle Krankheit

An der Longevity-Konferenz in Gstaad war junges Blut nicht ein offizielles Thema, aber die regulatorischen Gründe, warum es Longevity-Therapien schwierig haben. Die Behörden sähen das Altern nicht als Krankheit, so das Argument, deswegen könnte gar keine Medikamente dagegen entwickelt werden, die die entsprechenden Behörden – in der Schweiz Swissmedic, in den USA die FDA – zulassen würden.

Unter den Förderern der Longevity-Forschung sind viele Leute, die mit Kryptoanlagen reich geworden sind. Sie wollen ihre gesunde Lebensspanne verlängern. Das ginge Hand in Hand mit Langlebigkeit meinte ein Teilnehmer der Konferenz 2022 in Gstaad. Viele Leute, die heute 100 Jahre alt werden, würden auch viel später krank. Die Leute verursachten auch nur einen Drittel der Gesundheitskosten im Vergleich zu jenen, die früher sterben würden.

Auch Kritiker sind an der Longevity Investors Conference

Das alles hört sich zu gut an, um wahr zu sein? Das findet auch Charles Brenner, der in seinem Referat an der Longevity Conference 2022 die Euphorie bremst. Der 61-Jährige sagt, es gebe nur limitierte Evidenz zur Wirksamkeit vieler propagierter Longevity-Therapien. Zudem sei es unwahrscheinlich, mit den heute bekannten Therapien viel älter als 100 Jahre zu werden. Brenner war Leiter Biochemie an der Universität Iowa und ist jetzt Vorsitzender der Alfred E. Mann Family Foundation der Abteilung für Diabetes und Krebsstoffwechsel am Beckman Research Institute des City of Hope National Medical Center.

Brenner hat eine kritische Einschätzung zum sehr erfolgreichen Buch von Sinclair «Das Ende des Alterns» verfasst. Es wurde unter dem Titel «A science-based review oft he world’s best-selling book on aging» veröffentlicht. Brenner versteht zum Beispiel nicht, warum man gesunden Menschen nahelegen sollte, Metformin zu nehmen. 

Es sei ein bewährtes Mittel für Menschen mit Altersdiabetes, so Brenner, weil es den Blutzucker senkt. Aber da es ein Hemmstoff für die Aktivität der Mitochondrien sei, schwäche es eben auch die positiven Auswirkungen von Ausdauertraining und beeinträchtige die Funktion der Muskeln.

Longevity-Firma an der Börse

Die Longevity-Community hält dagegen, dass Metformin nicht nur den Blutzucker senke, sondern gegen eine Reihe von altersbedingten Krankheiten vorbeugend wirken könne. Unter anderem soll es das Risiko für Herz- und Gefässkrankheiten wie Herzinfarkt und Schlaganfall mindern. In einer Versuchsstudie sollen die Probanden gesagt haben, dass sie sich dank der Einnahme von Metformin vitaler fühlten und weniger graue Haare als vor der Studie hätten.

Mit seiner sehr öffentlichen Kritik an Metformin und anderen Longevity-Therapien hat sich Brenner etwas in eine Aussenseiterposition in der Longevity-Community manövriert. Dies, obwohl er selber auch Studien zu NAD+ verfasst, die für deren positive Wirkung sprechen. Zudem ist er sogar Chef des wissenschaftlichen Beirats der börsenkotierten Firma Chromadex. Sie ist an der Börse rund 120 Millionen Dollar wert und verkauft unter anderem ein Ernährungsergänzungsmittel mit dem Inhaltsstoff Nicotinamid Riboside, das den NAD+-Level erhöhen soll – wie NMN und Resveratrol. Das fördere die Zellgesundheit und Widerstandskraft, ist auf der Firmen-Website zu lesen.

Die Aktie der Firma ist im Börsenhype während der Pandemie hochgeschossen und hat sich jetzt auf tiefem Niveau stabilisiert. Die Verkaufszahlen steigen, aber die Firma schreibt noch immer Verluste.

Longelivity-Konferenz

Man lässt es sich gut gehen im noblen Le Grand Bellevue an der Longevity Investors Conference 2022 in Gstaad.

Quelle: ZVG

Die Longevity Investors Conference findet dieses Jahr vom 27. Bis 29. September im Hotel Le Grand Bellevue in Gstaad statt. Die Tickets sind fast ausverkauft. Dieses Jahr werden unter anderem folgende Referenten erwartet:

Nir Barzilai, Director, Institute for Aging Research, Albert Einstein College of Medicine

Aubrey de Grey, Founder, President, and Chief Science Officer of LEV Foundation

Eric Verdin, President & CEO, Buck Institute for Research on Aging

Michael Greve, Founder at Forever Healthy Foundation

Joris Deelen, Research Group Leader at the Max Planck Institute for Biology of Ageing