BILANZ: Frau Garzarelli, Sie haben die jüngste Hausse an der Wall Street punktgenau vorausgesagt. Haben Sie das Gefühl, Ihr «magic touch» von 1987 ist wieder da?

Elaine Garzarelli: Was heisst «wieder da»? Ich habe nicht den Eindruck, dass sich meine Methode zum zeitlichen Verhalten der Börse in den vergangenen Jahren nicht bewährt hätte. Sonst wären ja wohl kaum hundert grosse institutionelle Anleger an meinen Vorhersagen interessiert.

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Wir leben in Zeiten erheblicher Risiken für die Konjunktur und dementsprechend turbulenter Märkte: Was bedeutet das für die Anlagestrategie?

Das Prinzip «kaufen und halten» funktioniert nicht mehr. Die Welt ist komplizierter geworden und ändert sich schnell. Insofern ist das Thema «market timing», das ja in den Neunzigerjahren ziemlich aus der Mode gekommen ist, wieder en vogue. Dass ich von diesem Trend profitiere, brauche ich Ihnen nicht zu erläutern.

Es fällt auf, wie sicher Sie zuletzt auch kurzfristige Ausschläge im Griff hatten. Nach der Ergreifung von Saddam Hussein etwa haben Sie als einzige Wall-Street-Augurin prophezeit, die Festnahme werde kurzfristig keine Rallye nach sich ziehen.

(Lacht.) Ja, und tatsächlich fiel der Dow Jones am ersten Handelstag nach der Verhaftung um 19 Punkte. Für viele meiner Kollegen dagegen schien ein Sprung von mindestens 200 Punkten praktisch sicher. Sehen Sie, ich bin ja nun auch schon einige Jahre im Geschäft, das hilft natürlich. Ein 26-jähriger Analyst muss halt erst noch ein Gefühl für die Psychologie der Börse entwickeln.

Mit Erklärungen für die enttäuschende Vorstellung waren die Youngster freilich schnell zur Hand. Da war die Rede von «überbewerteten Märkten», von der «Erwartung höherer Zinsen», vom Leistungsbilanzdefizit bis hin zu inflationären Tendenzen und möglichen neuen Terrorangriffen.

Ja, einerseits sind sie zu euphorisch, andererseits werden kurzfristige Rückschläge zum Anfang vom Ende hochstilisiert. Aber um eines ganz klar festzuhalten: Ich bin überzeugt davon, dass der Bullenmarkt grundsätzlich weiter intakt ist. Die Rallye wird andauern.

Wie optimistisch sind Sie für das Jahr 2004?

Ich sehe den Börsenindex S&P 500 am Ende dieses Jahres um 20 bis 25 Prozent höher als heute …

… was übersetzt den Dow Jones in die Region zwischen 12 000 bis 12 500 Punkten befördern würde?

Das ist richtig. Wobei dieser Anstieg naturgemäss von gelegentlichen Korrekturen nach unten begleitet sein wird. Diese Korrekturen sehe ich allerdings nicht über vier bis sieben Prozent.

Mit anderen Worten: Es ist noch nicht zu spät, sich mit US-Aktien einzudecken.

Ja, unsere Indikatoren zeigen weiterhin nach oben, wir erwarten ein Wirtschaftswachstum von 4,5 Prozent in diesem Jahr und 3,7 Prozent 2005. Laut unseren Berechnungen und ausgehend vom derzeitigen Zinsniveau, sind Aktien über die gesamte Bandbreite heute um 23 Prozent unterbewertet.

Stichwort Zinsen: Was passiert, wenn das Fed bei Ihrem Szenario nicht mitspielt und den Leitzins noch in diesem Jahr anhebt?

Dafür gibt es derzeit nicht die geringsten Anzeichen. Ben Bernanke, einer der Gouverneure der US-Notenbank, hat ja gerade erst in einer Rede vor der amerikanischen Wirtschaftsvereinigung gesagt, die Niedrigzinspolitik des Fed sei gerechtfertigt, auch wenn die US-Wirtschaft offenbar die Kurve zur Erholung geschafft habe. Alan Greenspan und seine Kollegen werden die Zinsen nicht vor 2005 erhöhen. Sie glauben doch nicht, dass das Fed zum jetzigen Zeitpunkt das Risiko auf sich nehmen will, den wirtschaftlichen Aufschwung abzuwürgen? Im Übrigen stellt eine Inflation von einem bis 1,5 Prozent ja kein Problem dar. Und ich sehe angesichts eines derzeitigen Kapazitätsnutzungsgrades von 75 Prozent nicht die Gefahr einer wirtschaftlichen Überhitzung.

Zur Person
Elaine Garzarelli


Elaine Garzarelli ist Präsidentin der US-Vermögensverwaltungsfirma Garzarelli Capital (www.garzarelli.com). Zweimal im Monat publiziert die Börsenexpertin den Investment-Letter «Garzarelli Outlook», der sich an institutionelle Investoren richtet. Seit März 2000 managt Garzarelli den Anlagefonds Forward Garzarelli U.S. Equity. Die Volkswirtin hat einige Semester bei Alan Greenspan studiert. Sie war Marktstrategin beim Brokerhaus Shearson Lehman Brothers, später bei der ausgegliederten Investment-Bank Lehman Brothers. Als «Kassandra der Wall Street» machte sie sich vor allem bei der Vorhersage des Börsencrashs von 1987, der Baisse von 1990 und der Hausse von 1995 einen Namen. 1996 lag sie allerdings daneben: Sie blies zum Ausstieg, die Börse erlebte ihre längste Boomphase.

Macht Ihnen das enorme Defizit im US-Staatshaushalt keine Sorge? Gemäss vielen Ökonomen ist dieses in Kombination mit dem Leistungsbilanzdefizit der USA auf Dauer nicht durchzuhalten.

Ich sehe das eher gelassen. Denn infolge der von uns erwarteten Wachstumsraten in Amerika wird das Defizit von heute 4,1 Prozent bis Ende 2004 auf 3,4 Prozent des Bruttosozialproduktes fallen, bis Ende 2005 dann sogar auf 2,8 Prozent. Eine gesunde Wachstumsrate heilt eben viele Wunden.

Klingt alles sehr positiv. Wie können die Anleger am ehesten von dem Aufschwung profitieren?

Nun, meiner Ansicht nach dürften Börsianer mit jenen Werten in den kommenden Monaten gut fahren, die ein Journalist neulich als die «glorreichen sieben der Elaine Garzarelli» zusammengefasst hat …

Ein fantasievoller Kollege!

Ja, wobei das Bild natürlich ein bisschen schief ist. Wenn ich mich richtig erinnere, bleiben in dem Western am Ende einige der Helden auf der Strecke – ob Yul Brynner, Steve McQueen oder Charles Bronson, weiss ich nicht mehr.

Welche sieben Titel favorisieren Sie?

Das reicht von der Eisenbahngesellschaft Norfolk Southern über den Haushaltsgerätehersteller Maytag und die Hotelkette Hilton bis zum Computerkonzern Hewlett-Packard.

Allesamt zyklische Werte also?

Das stimmt. Zudem handelt es sich dabei um Aktien, die nicht wirklich vom jüngsten Börsenaufschwung profitiert haben. Verglichen mit dem S&P 500 Index, der im Vergleich zu seinem Hoch im März 2000 heute «nur noch» um rund 30 Prozent niedriger notiert, liegen unsere sieben Favoriten immer noch zwischen 41 Prozent und 70 Prozent unter ihrem damaligen Spitzenwert.

Was noch kein Argument für einen höheren Kursanstieg in Zukunft ist.

Natürlich nicht. Allerdings erwarte ich, dass diese Unternehmen den von mir für 2004 prognostizierten Gewinnzuwachs im S&P 500 von 20 Prozent deutlich schlagen können. Ich denke, dass die «glorreichen sieben» in den kommenden zwölf Monaten mindestens 40 Prozent Steigerungspotenzial haben.

Sehen Sie keine Gefahr, dass einer dieser sieben Empfehlungen plötzlich im Schusswechsel der Revolverhelden abgeknallt wird?

(Lacht.) Das ist an der Wall Street natürlich immer möglich. Aber hinsichtlich unserer Auswahl bin ich doch ausgesprochen zuversichtlich.