BILANZ: Klaus Schwab, sind Sie ein Held?

Klaus Schwab: Ein Held? Wie kommen Sie darauf?

Sie haben 1971 das WEF gegründet. Die FAZ nennt es einen beispiellosen Erfolg.

Das stimmt.

Und Sie seien ein unverstandener Held. Haben Sie demnach das Gefühl, dass man in der Schweiz Ihren Erfolg nicht würdigt?

Doch. Nicht nur die Behörden stehen hinter uns. Die Davoserinnen und Davoser haben kürzlich in einer Volksabstimmung deutlich Ja gesagt zum World Economic Forum. Es gibt allerdings gewisse Globalisierungsgegner, die bewusst Falsches über uns erzählen. Aber im Grunde genommen sind wir Gastgeber.

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Sie sind kein Held, Sie sind Hotelier?

Richtig. Ein Hotelier achtet immer darauf, dass sich seine Gäste wohl fühlen und möglichst wieder kommen. Er wird versuchen, immer präsent zu sein, denn die Verbindung mit den Gästen wird von der persönlichen Beziehung und Wärme des Gastgebers geprägt. Aber er wird nie versuchen, sich in den Vordergrund zu stellen. Würde er es tun, dann schätzten die Gäste dies kaum.

Sie, die Personifizierung des WEF, wollen sich nicht in den Vordergrund gestellt sehen?

Das war immer meine Philosophie, wobei mir das auch leicht fiel, denn ich bin ja kein Politiker, der wieder gewählt werden muss. Von meiner Ausbildung her bin ich Akademiker, ein neugieriger Wissenschaftler. Mich interessieren Fragen wie: Was sind die neuen Herausforderungen? Wie sieht die Welt von morgen aus? Was können wir zur Lösung der anstehenden Probleme beitragen?

Zur Person
Klaus Schwab


Der 65-jährige Klaus Schwab ist der Vater des World Economic Forum (WEF). 1971 hatte er das European Management Symposium veranstaltet, das sich zum bedeutendsten informellen Wirtschaftsgipfel der Welt entwickelte. Unvergessen bleiben die Treffen von PLO-Führer Yassir Arafat und Israels Premier Shimon Peres 1994 sowie von Hans Modrow und Helmut Kohl gleich nach dem Mauerfall.


Schwab studierte Maschinenbau und Volkswirtschaft in Zürich und Freiburg und wurde 1972 Wirtschaftsprofessor an der Uni Genf. Dem WEF gehören etwa 1000 internationale Unternehmen an, das Forum beschäftigt ganzjährig 180 Angestellte und betreut mehrere Projekte im Bereich der globalen Wirtschaft.

Dennoch: Woher rührt es, dass das Image des WEF im Ausland besser ist als in der Schweiz selber?

Der Grund dafür ist, dass wir durch die Demonstrationen negativ in die hiesigen Schlagzeilen gekommen sind. Dies hat abgefärbt, das WEF wurde emotionalisiert. Dabei ist heutzutage leider jede internationale Konferenz mit Protestbewegungen verknüpft. Die Öffentlichkeit hat sich inzwischen daran gewöhnt, sodass heute wieder vermehrt der Inhalt einer Konferenz im Vordergrund des öffentlichen Interesses steht.

Sie wollen Gutes tun. Und plötzlich sind Sie als Gastgeber im Schussfeld von Leuten, die zum Teil ganz andere Ziele verfolgen. Trifft Sie das?

Natürlich hinterlässt so etwas Spuren, nicht nur bei mir, sondern auch bei meinen Mitarbeitern und bei meiner Frau. Hauptsache ist, man ist überzeugt, dass das, was man tut, richtig ist. Die Lehre, die ich daraus gezogen habe, ist die, dass ich heute wesentlich mehr und besser erkläre, was wir tun. Bis vor drei, vier Jahren haben wir eine sehr zurückhaltende Pressepolitik betrieben, vor allem in der Schweiz. Ich habe praktisch nie Interviews gegeben, weil ich mich nicht dem Vorwurf der Profilsucht aussetzen wollte. Aber in der heutigen Situation, in der sich das World Economic Forum befindet, hat die Öffentlichkeit ein verständliches Interesse daran, mehr über den Zweck des WEF zu erfahren. Dies auch, weil die Sicherheitsleistungen durch öffentliche Beiträge bezahlt werden. Daher auch eine wesentlich verstärkte Anstrengung, permanent zu erklären und zu erläutern.

Nehmen Sie Kritik am WEF persönlich?

Natürlich. Wir wollen einen Beitrag zur Analyse und zur Lösung der Probleme der heutigen Zeit leisten. Dabei hat die Wirtschaft eine zentrale Verantwortung. Deshalb konfrontieren wir die Wirtschaftsführer an unseren Meetings mit Vertretern aus Politik, NGOs, Wissenschaft, Religionen, Medien usw. Der Vorwurf, wir würden dem Manchester-Kapitalismus oder einem ungebändigten Neoliberalismus frönen, trifft mich insofern, als dies nicht wahr ist.

Sie sprechen von sich?

Ja. Ich will nicht als grosser allgemeiner und unbestrittener Wohltäter betrachtet werden. Das wäre auch völlig illusorisch.

Vielleicht kommt das noch?

Wenn das käme, dann wäre etwas falsch. Ich glaube, in der heutigen Welt ist es gut, sich permanent mit der Kritik auseinander setzen zu müssen. Wenn es gelingt, dass siebzig Prozent der Bevölkerung das WEF befürworten, wie das in Davos beim Referendum der Fall war, so ist das Maximum erreicht.

Und die gewaltbereiten Kritiker?

Ich habe den Ausdruck «Globalization-Hooligans» geprägt, den mag natürlich nicht jeder. Damit sind die Leute gemeint, welche die starke Präsenz der Medien für ihre angeblich idealistischen, in Wirklichkeit aber sehr destruktiven Ziele ausnutzen. Das haben Sie am 1. Mai in Zürich, das haben Sie in Bern. Es ist leider ein Faktum unserer Zeit geworden.

Und wie färbt das auf das WEF ab?

Wenn Sie den Sicherheitsaufwand fürs WEF, an einem G-8-Gipfel oder wo auch immer am Fernsehen sehen, dann hinterlässt das ein negatives Gefühl. Für mich ist eine Ansammlung von Polizisten nicht unbedingt Anerkennung, sondern signalisiert Unfall, Gefahr. Das hinterlässt leider bewusst oder unbewusst einen negativen Grundton.

Gab es nie einen Moment, in dem Sie zweifelten, ob das richtig sei, was Sie tun?

Nein. Ich habe niemals an der Grundidee des WEF gezweifelt.

Wie heisst diese Grundidee?

Die Grundidee ist die, dass die Welt heute immer komplexer und weniger durchschaubar wird. Dass wir eine Welt haben, die wesentlich gefahrvoller geworden ist; eine Welt mit vielen Problemen, sei es im Sozial- oder im Umweltbereich, Probleme, die jedem Bürger Sorgen bereiten. Diese Probleme können aber weder durch Regierungen noch durch die Wirtschaft oder durch NGOs alleine gelöst werden. Vielmehr brauchen wir eine Plattform zum Dialog und zur Zusammenarbeit.

Das ist das WEF?

Ja, und noch etwas mehr. Das WEF ist nicht nur seit über 30 Jahren eine Plattform für Dialog und Zusammenarbeit. Es ist auch ein gedankliches Laboratorium, in dem versucht wird, die Aufmerksamkeit der Verantwortlichen aus den verschiedenen Bereichen nach vorne zu richten. Entscheidungsträger in der Politik und in der Wirtschaft orientieren sich ja immer kurzfristiger. Sie haben die nächsten Wahlen oder die nächsten Quartalszahlen im Auge. Das WEF ist die Plattform, wo zusammen über unsere gemeinsame Zukunft nachgedacht wird. Die Zukunftsgestaltung hat mich auch als Professor – ich habe ja Strategie gelehrt – immer fasziniert. Hier ist das WEF wohl auch von mir persönlich geprägt. Ich lese jeden Abend drei, vier Stunden lang und beschäftige mich mit möglichen Entwicklungen. Welches sind die Herausforderungen, die wir als globale Schicksalsgemeinschaft angehen müssen? Solche Fragestellungen interessieren mich enorm.

Wer gehört zu dieser Schicksalsgemeinschaft?

Natürlich alle. Im WEF konzentrieren wir uns auf jene, die eine besondere Verantwortung tragen, also Unternehmer, Politiker, Wissenschaftler und Repräsentanten der Zivilgesellschaft. Die Letzt-genannten waren schon von Anfang an dabei und spielen heute eine besonders wichtige Rolle.

Es kam Kritik auf nach Seattle 1999, es kamen die Manifeste auf der Strasse. Sie haben daraus die Lehre gezogen, dass Sie mehr und besser erklären müssen. Gab es einen Auslöser für diese Erkenntnis?

Es gab keinen Einzel-Event. Sie haben Seattle angesprochen. Ich möchte daran erinnern, dass ich schon lange vor «Seattle» beispielsweise in der «International Herald Tribune» oder in Davos vor den Folgen einer unkontrollierten Globalisierung gewarnt habe.

Warum ein solches Interesse gerade an der Globalisierung?

Ich betrachte mich als eine Art «Chief Worrier in the World». Also einer, der sich grosse Sorgen über unsere Zukunft macht. Für die Zusammensetzung einer interessanten Traktandenliste für Davos muss ich ja wissen, welche Probleme auf uns zukommen. Das ist einer der Gründe, weshalb Davos seit 33 Jahren Erfolg hat. Wir waren der Zeit immer ein bisschen voraus. Wir wollen jene Fragen zur Diskussion stellen, über welche die Tageszeitungen in sechs Monaten bis fünf Jahren schreiben. Ich war immer überzeugt, dass die Globalisierung grosse Chancen, aber auch grosse Risiken mit sich bringt.

Wann genau haben Sie wirklich umzudenken begonnen?

Ich bin wie gesagt grundsätzlich eher kritisch-neugierig gegenüber vielen Entwicklungen eingestellt. Im Übrigen war ich am 11. September 2001 in New York und habe die Katastrophe vor Ort mit-erlebt. Das hinterlässt tiefe Spuren.

Wo waren Sie am 11. September 2001, zur Zeit der Anschläge auf das WTC?

Ich hätte auf dem Weg zum WTC sein sollen.

Dass heisst, wenn Sie ein bisschen früher gewesen wären …

Ich war oben an der 5th Avenue im Plaza Hotel und hatte ursprünglich an diesem Tag um 8.30 Uhr ein Editorial Meeting mit dem «Wall Street Journal» vereinbart. Die Redaktion des WSJ befindet sich an der Liberty Street – die ja auch beschädigt wurde. Dieses Interview wurde kurz vorher um 24 Stunden verlegt, und ich hatte grosses Glück im Unglück.

Was war das Resultat Ihres Umdenkens?

Ich habe mir Gedanken gemacht, wie man religiöse Führer vermehrt in unsere Aktivitäten einbeziehen könnte.

Warum haben Sie die religiösen Probleme gespürt?

Wie viele andere hatte auch ich Samuel Huntingtons Buch vom Krieg der Zivilisationen oder vom Konflikt der Kulturen, sprich der Religionen, gelesen und sah am 11. September gewissermassen eine Kriegserklärung. Auch das nächste Davoser Treffen wird dieses Thema wieder aufnehmen – ich habe versucht, den Titel entsprechend zu setzen: Partnering for Security and Prosperity. Zu Deutsch: eine Partnerschaft für Sicherheit und Wohlstand.

Nun, damit sprechen Sie ja wohl in erster Linie die Industrieländer an?

Nein. Was ich meine, ist Wohlstand für alle. Wir bringen damit drei Grundsatzprobleme der Welt zum Ausdruck: Partnerschaft, Sicherheit und Wohlstand für alle. Das erste Schlüsselwort ist Partnerschaft. Wir sind heute eine globale und miteinander verknüpfte Gemeinschaft. Das heisst, wir sind nicht unabhängig von dem, was in der restlichen Welt passiert. Ein Aids-Kranker in Südafrika oder Moçambique ist nicht ein isolierter Fall, sondern ein Ereignis, das letzten Endes auch mein Leben und vor allem dasjenige meiner Kinder beeinflusst. Die Zusammenhänge sind da. Die Frage lautet: Wie kreieren wir eine Partnerschaft unter den 191 Uno-Mitgliedern? Wie gestalten wir diese Partnerschaft? Dann zusätzlich: Wie gehen wir mit Staaten um, die bewusst die Grundsätze der Partnerschaft verletzen? Das sind nur einige der zentralen Fragen.

Können Sie die Fragen auf einen Satz reduzieren, und wie würde dieser lauten?

Wie kann einem Staat geholfen werden, der aus eigener Kraft nicht auf die eigenen Füsse kommt?

Reden wir über die Sicherheit. Was ist damit angesprochen?

Wir haben uns an die täglichen Meldungen über terroristische Anschläge gewöhnt; sie sind leider bereits Alltag. Das ist das Hintergrundgeräusch einer Mediengesellschaft, die dazu führt, dass die Aufmerksamkeit verflacht und untragbare Entwicklungen normal werden. Wollte man aber alle Risiken analysieren und ausrechnen, was da auf uns zukommen könnte … «Mein Gott», kann man da nur sagen.

Und wie steht es mit dem Themenkreis Wohlstand?

Wie schaffen wir wirtschaftlichen Fortschritt, der auch jene integriert, die bis heute draussen stehen? Auf diese drei Worte – Partnerschaft, Sicherheit und Wohlstand – kann man praktisch alles reduzieren.

Letztes Jahr stand die US-Administration am WEF in Davos wegen des drohenden Irak-Krieges stark in der Kritik. Fanden Sie das angebracht?

Ich komme zurück auf mein Beispiel des Hoteliers. Ich manipuliere nicht die Themen, indem ich meine eigenen Wertvorstellungen einbringe. Wir bieten eine gastfreundliche Atmosphäre für einen echten Dialog und stellen eine Plattform zur Verfügung. Für uns ist das Vertrauen aller Regierungen wichtig. Das kann aber nur erreicht werden, solange die Regierungen das Gefühl haben, man sei politisch neutral und unvoreingenommen.

Waren Sie letztes Jahr neutral? Haben Sie nicht alles getan, um den Irak-Krieg zu verhindern?

Als neutrale Plattform konnten wir nicht versprechen, einen Krieg im Irak zu verhindern. Das wäre unangemessen. Es gab ja auch gewichtige moralische Gründe, einen Despoten, der Hunderttausende seiner Landsleute umgebracht hat, zu beseitigen.

Sprechen wir über die Themen der Hotelgäste: Wir erkennen grosse Probleme im Mittleren Osten und im Irak. Sehen Sie die Möglichkeit einer Annäherung zwischen Parteien, so wie dies am WEF Anfang der Neunzigerjahre immer wieder gelungen ist?

Die Welt hat sich gewandelt. In den letzten fünf bis zehn Jahren ist die Welt wesentlich komplexer geworden. Es gibt nicht mehr Schwarz und Weiss, die westliche Welt und den Ostblock, Nord und Süd. Alles ist diffuser. Noch vor zehn Jahren waren die Regierungen die wesentlichen Entscheidungsträger. Heute hat sich der Prozess demokratisiert, und es gibt eine Vielzahl von Stakeholdern. Daher muss man sehr vorsichtig sein, um nicht mit einfachen Rezepten Scheinlösungen zu produzieren.

Wo sehen Sie hier die Aufgabe des WEF?

Wir können ein besseres Verständnis für die Komplexität der Probleme herstellen und alle Stakeholder in den Dialog einbeziehen. Das ist vielleicht weniger flamboyant und spektakulär, als dies früher der Fall war.

Sie untertreiben wohl ein bisschen. Immerhin läuft gerade auf politischem Parkett hinter den Davoser WEF-Kulissen stets vieles. Was ist es diesmal?

Praktisch jedes Jahr haben wir hinter den Kulissen in Davos einen Anlauf zur Friedensschaffung unternommen. Aber nehmen wir ein Beispiel: Angenommen, der armenische und der aserbaidschanische Präsident würden sich heute in Davos treffen, wäre der Medieneffekt gering, weil der Kaukasus nicht unbedingt im Vordergrund des öffentlichen Interesses steht. Würden sich jedoch Sharon und Arafat treffen, wäre das bestimmt anders. Aber eine solche Begegnung ist heute unrealistisch.

Ein anderes Beispiel?

Wir offerieren wahrscheinlich die einzige Plattform, wo sämtliche irischen Parteien akzeptiert und über die letzten Jahre zusammengebracht wurden, ohne dass wir dies in der Öffentlichkeit bekannt gemacht haben.

Beobachtet man die Berichterstattung der letzten Jahre, so fällt auf, dass der letzte grosse Handshake in Davos 1994 stattgefunden hat. Danach gab es diese ostentativen Versöhnungsgesten am WEF nicht mehr. Warum?

Da muss ich in der Geschichte zurückblättern, um Ihnen das an einem konkreten Beispiel zu zeigen. 1983 konnte ich beobachten, dass sich die Wirtschaftsminister in Europa nicht begegneten, auch nicht in der damaligen EG. Deshalb ergriffen wir die Initiative und bauten ein informelles Treffen der europäischen Wirtschaftsminister in Davos ein. Diese Initiative war über Jahre hinweg sehr erfolgreich. Heute treffen sich die Wirtschaftsminister x-mal pro Jahr. Die Welt und vor allem Europa sind heute überkonferenziert. Viele dieser Begegnungsstätten scheinen mir allerdings manchmal mehr Wert auf Form als auf Substanz zu legen. Dabei ist es heute praktisch unmöglich, seriöse Arbeit zu leisten, wenn man auf Publizitätseffekte aus ist.

Was unterscheidet das WEF noch von der restlichen, überkonferenzierten Welt?

Wir sind eine einmalige weltweite Begegnungsstätte. Dabei führen wir einen Balanceakt aus: Einerseits muss unser Jahrestreffen in Davos informell und effizient, anderseits aber auch repräsentativ sein, das heisst, wir müssen praktisch jedes Land einbeziehen.

Mit dabei sind in erster Linie die Industriestaaten.

Nein, wir haben bereits in den Achtzigerjahren aus prinzipiellen Gründen dafür gesorgt, dass Entwicklungsländer stark vertreten waren. So haben wir zum Beispiel bereits damals eng mit der Organisation der Vereinten Nationen für die industrielle Entwicklung (Unido) zusammengearbeitet und eine so genannte Nord-Süd-Börse in Davos eingeführt.

Warum sind Sie derart darauf erpicht, alle Nationen vertreten zu haben?

Obwohl es eine informelle Konferenz in Davos ist, müssen wir versuchen, möglichst jede Regierung und die repräsentativen Wirtschaftsführer aus jedem Land dabeizuhaben. Alle unsere Gäste kommen nach Davos in der Erwartung, mit jemandem kompetent über Vietnam oder Chile oder Moçambique reden zu können. Das ist unsere Balance: zwischen Repräsentativität und Informalität, zwischen politischer und intellektueller Ausrichtung des WEF.

Sie sind ein Wissenschaftler mit technischem und ökonomischem Hintergrund. Ist das WEF für Sie der Erkenntnisgewinn, den Sie sich über Jahre angeeignet haben und den Sie heute zur Verfügung stellen?

Ich habe mir natürlich auch darüber Gedanken gemacht, was mich treibt. Bin ich ein verkappter Politiker? Bin ich ein Unternehmer? Ich fühle mich jedoch eher als Künstler, als geistiger Künstler. Etwas zu kreieren, ist eine grosse Befriedigung für mich.

Warum sehen Sie sich als Künstler?

Zu meinen Freunden zähle ich auch Paulo Coelho. Ob er, der Schriftsteller, oder ein Regisseur, der Theaterstücke inszeniert, oder ein Bildhauer: Sie alle haben eine bestimmte Vision, die sie in Form eines literarischen oder visuellen Werkes gestalten. Für mich ist das genau das Gleiche. Mich fasziniert es, Probleme zu definieren und diese in Form eines Programms zu gestalten. Man könnte dies positive Gestaltungskraft nennen.

Was haben Sie leisten können?

Eine schwierige Frage.

Anders gefragt: Was waren die wesentlichen Höhepunkte in Davos 2003 oder 2002?

Da habe ich grosse Mühe, Ihnen eine Antwort zu geben. Ich zerlege ein Jahrestreffen nicht in einzelne Höhepunkte.

Haben Sie als Künstler das Gesamtkunstwerk im Auge, das Sie kreiert haben, und weniger die einzelnen Farben?

Sicherlich, aber nicht nur. Wenn Paulo Coelho eine Novelle geschrieben hat, dann ist sie für ihn passé. Für mich ist Davos im Februar jedesmal wieder passé, und ich konzentriere mich voll auf das Neue, die Zukunft. Das Wesentliche für mich ist dabei, weiterhin auf die Loyalität unserer Mitglieder zählen zu können. Wenn wir Mitglieder verlieren, ist das, wie wenn das Opernhaus Abonnenten verliert.

Das Opernhaus und das WEF haben Parallelen?

Sicherlich. Wenn Sie Opernhausregisseur sind, dann müssen Sie darauf bauen, das Vertrauen Ihres Publikums langfristig zu gewinnen, indem Sie Qualität, Kreativität und Avantgarde bieten.

Gehen Sie nach dem WEF 2004 in Davos Ski fahren?

Das wird nicht der Fall sein, weil meine Frau beim Klettern diesen Sommer den Fuss gebrochen hat. Wir unternehmen nun eine Reise nach Indien, wo wir die von der Schwab Stiftung geförderten «Social Entrepreneurs» besuchen werden. Und wenn ich zurückkomme, mache ich mich sofort an die nächste WEF-Ausgabe.

Sie haben nebst einem Hotel auch eine Marke kreiert. Das WEF ist ein internationaler Brand. Wie viel ist er wert?

Das habe ich mir noch nie so materiell überlegt. Er ist sicher viel wert. Aber Sie wissen auch, wie volatil eine Marke sein kann. Unsere Marke heisst «WEF – committed to improving the state of the world». Der zweite Satz ist sehr mit der Marke verflochten und ist für uns eine permanente Aufforderung. Eine Marke besteht aus den Assoziationen, die sie auslöst. Deshalb muss ich immer darauf achten, dass wir dem Anspruch Genüge leisten. Um dies sicherzustellen, haben wir innerhalb unseres Stiftungsrates ein Mission Compliance Committee gegründet, geleitet vom ehemaligen Erzbischof von Canterbury. Auch Königin Rania von Jordanien ist dabei. Es ist Aufgabe dieser Persönlichkeiten zu untersuchen, ob wir unserem Anspruch in der Marke gerecht werden. Ihr Bericht wird in Zukunft Teil unseres Jahresberichtes sein.

Ist die Marke WEF noch immer von Ihnen und Ihrem Namen abhängig?

Das ist wahrscheinlich so – und durchaus natürlich: Ich habe das WEF gegründet. Ich war in erster Linie der Garant des Vertrauens.

Sehen Sie in der Gleichung «WEF = Klaus Schwab» keine Gefahr?

Heute sehe ich es als meine Hauptaufgabe, das Geschaffene zu institutionalisieren und weniger personenabhängig zu machen. Dabei haben wir in den letzten zwei, drei Jahren sehr grosse Fortschritte gemacht.

Sie treten, eben 65 Jahre alt geworden, zurück?

Es gibt kaum etwas, das die Leute mehr emotionalisiert als dieses Rentenalter von 65 Jahren, das übrigens vor über 100 Jahren unter völlig anderen Bedingungen fixiert wurde; damals war die durchschnittliche Lebenserwartung unter 65 Jahren. Es geht doch nicht um eine künstliche Zahl, sondern darum, ob man noch will und noch kann, und darum, was man sich kollektiv überhaupt leisten kann. Auch die Grundauffassung, Arbeit sei Fron und als Kompensation solle man das Alter geniessen, ist falsch. Wenn man wie ich seine Tätigkeit als Beruf beziehungsweise Berufung auffasst, gibt es keine künstliche Altersgrenze. Nach wie vor gilt auch: Wenn ich nicht mehr am Engadiner mitmachen kann, dann …

Können Sie noch mitmachen?

Ja.

Und einen Viertausender besteigen Sie auch noch jeden Sommer?

Natürlich. 2003 habe ich allerdings keinen bestiegen, weil im letzten Sommer prekäre Verhältnisse auf den Gletschern herrschten. Wir wollten eigentlich mit einer Gruppe von WEF-Mitarbeitern ins Monte-Rosa-Massiv. Alles war vorbereitet, aber es war einfach zu gefährlich.

Letztlich ist das WEF aber noch immer übermässig personalisiert.

Unterschätzen Sie nicht die Fortschritte, die wir gemacht haben. Heute ist der Stiftungsrat ein sehr professionelles Gremium. Persönlichkeiten wie Peter Brabeck, Michael Dell und Heinrich von Pierer können nicht instrumentalisiert werden und vertreten eine unabhängige Meinung. Ausserdem verfügen wir in unserer Organisation über moderne Strukturen wie ein Audit-Committee, das vor jeder Stiftungsratssitzung mit unseren Finanzleuten zusammenkommt. Hier findet echte Corporate Governance statt. Dazu gehört auch, dass wir jetzt die Funktionen von Chairman und CEO getrennt haben. Meine Funktion hat sich dahin gewandelt, dass ich heute mehr der Chief Strategist, der Chief Mentor im Haus bin, vielleicht auch noch der Chief Representative. Ins Operative indes bin ich heute relativ selten eingeschaltet.

Sie haben zwei Co-CEOs. Das gibt es ganz selten. Waren Sie bei der Nachfolgeregelung in Not?

Bei uns ist das «Co» ganz natürlich. Das Forum ist die Partnerschaft zwischen
Unternehmertum und Gesellschaft. Daher auch die zwei CEOs, die Unternehmertum und Gesellschaft vertreten: Philippe Bourguignon als ehemaliger CEO von Club Méditerranée mit seinen unternehmerischen Erfahrungen und José María Figueres als ehemaliger Staatspräsident von Costa Rica mit seinen Erfahrungen im politischen und gesellschaftlichen Bereich. Damit decken wir beide Bereiche optimal und gleichgewichtig ab.

Seit wann haben Sie diese Struktur?

In der neuen Form mit den beiden Co-CEOs seit dem 1. September 2003.

Kann man sagen, dass Sie sich schrittweise zurückziehen?

Ich bin jetzt 65 Jahre alt und wurde vom Stiftungsrat gebeten, noch für mindestens fünf weitere Jahre als Executive Chairman zu wirken.

Funktioniert beim WEF etwas so, wie Sie es nicht wollen?

Nein, da haben Sie nicht verstanden, dass die Gründungsjahre jetzt durch ein kollektives Führungssystem abgelöst worden sind.

Was treibt Sie noch nach 34 Jahren?

Ein unabdingbarer Wille, weiterhin kreativ wirken und einen Beitrag zu einer besseren Zukunft leisten zu können.

Was wollen Sie?

Versuchen, den Puls des Weltgeschehens zu spüren, um Herausforderungen frühzeitig zu erkennen und dann im Dialog mit allen Beteiligten rechtzeitig den Handlungsbedarf zu definieren.