Der 11. September hatte an den internationalen Finanzmärkten ganz normal begonnen. Und noch kurz vor 15 Uhr spendeten in Europa Tausende Fondsmanager und Händler begeistert Applaus, als Nokia zur Überraschung aller verkündete, dass die Nachfrage nach Mobiltelefonen wieder zugenommen habe. Die Freude währte nur kurz. Wenige Augenblicke später kam die Nachricht über die Ticker, dass auf das World Trade Center in New York ein Attentat verübt worden sei.

In den Handelsräumen brach Hektik aus. Binnen Sekunden setzten die Kurse in Europa zur Talfahrt an. Die grosse Frage war: Würde die Wall Street halten? Doch Amerika blieb stumm. Zum ersten Mal seit mehr als fünfzig Jahren wurde der Börsenhandel in New York ausserplanmässig ausgesetzt. «Warum handeln wir eigentlich noch?», fragte ein deutscher Händler fassungslos, als die ersten Bilder der Katastrophe über CNN gesendet wurden.

Der Abwärtstrend an den internationalen Aktienmärkten hatte sich bereits über Monate hingezogen. Wenige Tage vor den Anschlägen in den USA hatten einige Grossbanken begonnen, sich von ihren eigenen Aktienfonds im grossen Stil zu trennen. Mit der Terrorkatastrophe wurde aus der kontrollierten Verkaufswelle eine unkontrollierte Flut. Voll Panik stiessen Investoren nun ihre Aktienpakete ab. In Bangkok sank der SET Index in nur einer Minute um fast zehn Prozent.

Das vermeintlich sichere Gold war der Favorit der Stunde. Öl- und Gaspreise kletterten zunächst rasant. Inzwischen haben sich die Kursausschläge allerdings wieder beruhigt.

Nach den ersten Schockreaktionen werden die Investoren die Lage sicher rationaler beurteilen. Die ZKB nahm sich Zeit, um die Lage fundamental neu zu bewerten. Zur Sicherheit empfehlen die Kantonalbanker zunächst, Aktien unterzugewichten. Ein voreiliger Verkauf scheint jedoch nicht das richtige Mittel zu sein. Nach einer Umfrage des US-Meinungsforschungsinstituts Harris Interactive will nur etwa ein Prozent der US-Bürger jetzt die Aktien verkaufen.

Der grosse Schlussverkauf nach den Terrorakten gab den institutionellen Anlegern auch die Chance, sich von zweifelhaften Positionen zu trennen. Fondsmanager mussten inmitten des ersten Schocks keine Rücksicht mehr nehmen. Einige Werte im Nemax, dem deutschen Index für Technologiewerte, mussten beispielsweise massive Verluste hinnehmen. Es dauerte einen ganzen Tag, bis die Fondsgesellschaften den Handel meist freiwillig einstellten, um die Märkte nicht noch weiter unter Druck zu bringen.

Die Erfahrung aus vergangenen Krisensituationen zeigt jedoch, dass die Finanzmärkte eigene Mechanismen entwickelt haben, wie sie auf die veränderte Lage reagieren. Mit der Verunsicherung und der ersten panikartigen Verkaufswelle steigt zunächst die Volatilität an den Märkten. Der VDAX-Index beispielsweise ist ein Indikator, der die Schwankungsbreite des wichtigsten deutschen Börsenbarometers anzeigt.

In Tokio wurden die üblichen Preislimiten halbiert, um die Volatilität zu reduzieren. Durch diesen Eingriff soll verhindert werden, dass die ohnehin niedrigen Aktienkurse in noch grösseren Schritten sinken können. Hohe Volatilitäten haben allerdings auch den Vorteil, dass sie ein grosses Kurserholungpotenzial bieten. Die Kurse können in einem solchen Umfeld sehr schnell nach oben schnellen. So war es auch nach Pearl Harbor, bei der Kuba-Krise und dem Vietnamkrieg. Zunächst sackten die Kurse massiv ab, doch dann setzte in der Regel eine deutliche Kurserholung ein. Am 7. Dezember 1941, dem japanischen Angriff auf Pearl Harbor, rutschte der S&P 500 um fast vier Prozent ins Minus. Der Dow Jones Industrial Average (DJIA) reagierte mit einem Minus von 2,9 Prozent. Etwa zwölf Monate später war der Einbruch überwunden; die Investoren konnten wieder eine positive Performance verzeichnen.

Im Januar 1968 begann der Vietnamkrieg, und die US-Märkte schlossen in jenem Monat mit einem Plus von rund sechs Prozent. Für das gesamte Jahr betrug die Performance immer noch über vier Prozent. Auch der Jom-Kippur-Krieg im Oktober 1973 bescherte den US-Märkten noch ein Plus von rund einem Prozent.

Als am 2. August 1990 Saddam Hussein Kuwait überfiel, notierte die Wall Street am Ende des Tages mit rund zwei Prozent im Minus. Als einen Tag später das ganze Ausmass der Invasion klar wurde, fiel der DJIA noch weiter. Am Ende des Monats notierten die US-Märkte rund zehn Prozent im Minus. Für das gesamte Jahr mussten Anleger ein Minus von rund vier Prozent hinnehmen. Doch als im Januar 1991 der Golfkrieg ausbrach, quittierte die Wall Street den Konflikt mit einem Plus von fast vier Prozent. Exakt ein Jahr nach der Invasion verzeichnete der DJIA im Zwölf-Monats-Vergleich ein Plus von rund fünf Prozent. Der S&P 500 notierte auf gleicher Basis sogar etwa zehn Prozent höher.

Robert McTeer, Prasident der Dallas Fed, bezeichnet die Marktreaktionen auf Krisen als sehr kurzlebig. Einzelne Vergeltungsaktionen der USA, so etwa die Bombardierung Libyens, hatten in der Vergangenheit kaum Auswirkungen auf die Börse.

In diesem schwierigen Umfeld fühlen sich abgebrühte Hedgefund-Manager ganz in ihrem Element. Die unklare Marktsituation bietet ihnen ein ideales Umfeld, um ihre Long/Short- oder Arbitrage-Strategien umzusetzen. Einige dieser Anlagevehikel konnten in den sinkenden Märkten vor den Terrorakten bereits eine gute Performance erzielen, nun können geschickte Manager noch zulegen.

US-Präsident Bush wird zudem einige seiner wichtigsten Projekte vorantreiben müssen. Dazu gehört vor allem, die Abhängigkeit der USA von Ölimporten zu reduzieren. Das Problem war angesichts der kalifornischen Energiekrise der vergangenen Monate schon drängend, nun ist die verstärkte Energieförderung im eigenen Land unausweichlich. Der Energiesektor und die Explorationsgesellschaften gehören sicher zu den Profiteuren der aktuellen Situation. Bei Baring Asset Management hatte man bereits kurz vor dem Attentat auf Exxon, Mobil und Chevron gesetzt.

George W. Bush dürfte jetzt auch weniger Schwierigkeiten haben, einige seiner ehrgeizigen Rüstungspläne zu verwirklichen. Titel der Luft- und Raumfahrtindustrie, so etwa Boeing mit ihrem hohen Rüstungsanteil, werden wohl bald wieder zu den Favoriten der Investoren gehören. Versicherungen, Airlines, Reiseveranstalter und Hotelketten werden hingegen vorerst zu den Verlierern gehören. Eine prognostizierte vorläufige Reduktion des zivilen Luftverkehrs hätte allerdings auch den Effekt, dass der Ölpreis wohl stabil bleiben würde. Konsumwerte hingegen könnten weiterhin unter der tiefen Verunsicherung der US-Bevölkerung leiden.

Wie gespalten das Lager der Experten derzeit ist, zeigen folgende Standpunkte: Bei der Investmentbank Morgan Stanley Dean Witter ging man unmittelbar nach den Anschlägen von einer drohenden Rezession aus. Konträrer Meinung war der kämpferisch auftretende Chef der Börsenaufsicht SEC, Harvey L. Pitt: «Die Angriffe werden die USA nicht in die Rezession bringen. Dies ist der Zeitpunkt, positiv zu den Märkten eingestellt zu sein.»

Wie gezeigt, gibt ihm die Geschichte zwar Recht, doch ist trotzdem Vorsicht geboten. Die Analysten von Lombard Street Research geben zu bedenken, dass der US-Markt gegenüber seinem Niveau vor den Anschlägen noch um weitere 30 Prozent fallen müsste, um seine traditionelle Bewertung wieder zu erreichen. Doch ganz so schlimm muss es nicht kommen. Positiv für die Märkte könnte sich nämlich auswirken, dass die US-Notenbank bereits mehr als genügend Geld zur Verfügung gestellt hat, und auch das kurzfristige Notprogramm der US-Regierung könnte die Wirtschaft schnell ankurbeln. Das sieht auch Yves Bonzon so, Head of Investment Policy bei Pictet in Genf: «Längerfristig sehe ich keine negativen Auswirkungen auf die US-Wirtschaft.» Wie Bonzon sehen es viele Experten. Schliesslich muss, was zusammengebrochen ist, auch wieder aufgebaut werden. Vor dem Terroranschlag waren die Amerikaner sehr stark auf den Technologie-Crash fokussiert. Das kann sich jetzt ändern. Vielleicht entsteht in den USA aus der Not heraus eine Art zukunftsgerichtete Going-forward-Stimmung. Nach meinen Erfahrungen kann ich sagen, dass sich Engagements in erstklassige Aktien in Zeiten politischer und wirtschaftlicher Turbulenzen auf einen Zeithorizont von ein bis zwei Jahren fast immer ausbezahlt haben. Durch die Ereignisse in den USA wird der Abschwung nicht verlängert, sondern beschleunigt. Das schafft wiederum Raum für einen kräftigen Aufschwung im vierten Quartal dieses Jahres.» Börsenpsychologen bezeichnen dies als Trotzreaktion.

Ähnlich positive Effekte sieht auch Tom Wilson, Chefstratege bei Newton Investment Management, der glaubt, dass einige Probleme, die man vor sich hergeschoben hat, nun schneller als gewöhnlich gelöst werden.

Das bislang scheinbar ungetrübte Vertrauen in den US-Dollar hat vorerst gelitten. Ob der Euro als Alternative überzeugen kann, scheint angesichts der wenig erfreulichen Wachstumsaussichten der wichtigsten EU-Länder fraglich. Der Schweizerfranken würde wieder der «save haven» sein. Eine Aufwertung des Frankens hätte jedoch negative Auswirkungen auf die heimische Exportindustrie.

Was sollten Anleger also tun? «Keine Risikopositionen eingehen, Devisenpositionen glattstellen, in Aktienmärkten bleiben», rät Thomas Schmidt, CIO bei der Coutts Bank Schweiz, der die Lage vorsichtig optimistisch beurteilt. Auch William Thomson, Leiter des US-Specialist-Investment-Teams bei Baring Asset Management, rät Investoren dazu, ihre Risiken derzeit nicht zu erhöhen.

Beflügelt wurden bereits die Bondmärkte. Staatsanleihen mit guter Bonität werden in den kommenden Monaten für die Anleger sicherlich attraktiv sein. Anleihen aus den G-7-Staaten stehen damit oben auf der Wunschliste der Investoren. Die Analysten der UBS Warburg rechnen damit, dass die Renditen der US-Anleihen durch die erhöhten Rüstungsausgaben steigen könnten. Und in einem sind sich die Experten einig: Langfristig wird Gold wohl wieder nicht zu den Gewinnern gehören.
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