Donnerstag, 11. Mai 2023, Einkaufszentrum Sihlcity in Zürich. Der bekannte Bordeaux-Händler Daniel Gazzar hat zur Degustation des neusten Bordeaux-Jahrganges 2022 sowie diverser älterer Jahrgänge geladen. Der 22er ist nur eine Fassprobe, die abgefüllt wurde, der Wein ist noch gar nicht fertig vinifiziert. 

Ein überraschend junges Publikum strömt in die Papierhalle an der Sihl und lässt sich die Weine kredenzen. Inmitten des Trubels, der lockeren Atmosphäre, der Menschenmassen, schenkt an einem Stand im hinteren Teil des Saales ein älterer, distinguierter Herr seelenruhig seinen Wein aus. Lärmige Youngsters drängen nach vorne, halten ihm ein Glas unter die Nase, plaudern, prosten, schwenken die Gläser und schwanken schon ziemlich. Der gesittete Gentleman schenkt nach, ohne dabei eine Miene zu verziehen. Die wenigsten erkennen ihn. Michel Sartorius Barton, mit seiner Frau Lilian Barton Sartorius, Besitzer eines der berühmtesten Weingüter des Bordelais, ist sich nicht zu schade, seinen Hammerwein, einen der besten der Welt, selber vorzustellen. 

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Michel Sartorius Barton ist sich nicht zu schade, seinen Wein selbst auszuschenken.

Michel Sartorius Barton ist sich nicht zu schade, seinen Wein selbst auszuschenken.

Quelle: ZVG

Jahrzehntelang wurde das Vertrauen der Kunden belohnt

Seit 300 Jahren verdient die irischstämmige Familie ihr Geld mit dem Handel von Weinen aus dem Bordelais. Seit 200 Jahren gehören ihr die beiden Weingüter Langoa Barton (1821) und Léoville Barton (1826). Vor allem Léoville Barton gehört seit Jahren zu den besten Weinen im Bordelais. Er hat schon die Maximalzahl von 20 Punkten erreicht, er war 2016 Wein des Jahres im renommierten US-Magazin «Wine Spectator», er ist gefragt und beliebt. Wie fast alle wichtigen Bordeaux-Häuser verkauft auch die Familie Barton ihre Weine «en primeur». Das heisst, die Weine werden schon anderthalb Jahre bevor sie in den Handel gelangen an die Kunden verkauft. Der Kunde weiss noch nicht, wie sein Wein sein wird, er kann nur hoffen und sich auf die Meinung der Händler und Journalisten verlassen, die im Frühling die Fassproben der Weine probieren dürfen.

Das Subskriptionsgeschäft ist quasi ein Optionsgeschäft, nur dass man hier nicht vom Vertrag zurücktreten kann. Jahrzehntelang wurde der Kunde für sein Vertrauen belohnt. Kamen die Weine dann endlich in den Handel, waren die Preise meist höher als die Preise, die die Subskribierenden bezahlt hatten. «Und viele Weine waren dann auch gar nicht mehr erhältlich», sagt Wein-Papst René Gabriel. Wer sicher sein wollte, dass er seinen Lieblingstropfen auch wirklich in den Keller legen konnte, musste subskribieren. 

Eine Win-win-win-Situation: Der Produzent erhielt sein Geld sehr früh, der Handel konnte das Risiko verkleinern und die Kundinnen und Kunden profitierten von besseren Konditionen. Rund 1,5 Milliarden Euro wurden 2010 mit Optionen auf Bordeaux wie Mouton-Rothschild, Lafite, Figeac oder Montrose umgesetzt, schätzt Justin Gibbs, Deputy Chairman der Liv-Ex in London, der grössten Weinbörse der Welt. «Subskription war eine Safe Bet», bringt es René Gabriel auf den Punkt, «man konnte eigentlich gar nicht verlieren.» Doch dann kam der Bruch.

Die Winzer reizten die Preise aus

Das so gut geölte System begann zu harzen. Was war passiert? «Nach der Finanzkrise 2007 wurde die Welt mit billigem Geld überschwemmt», sagt Justin Gibbs. «Zwei Jahrhundert-Jahrgänge, 2009 und 2010, trieben zudem die Preise in die Höhe.» 2011 kam dann einer der schwächsten Jahrgänge seit langem in die Subskription und das Interesse war dementsprechend mässig. Die Winzer aber, noch immer im Hochgefühl der beiden Topjahrgänge schwebend, reizten die Preise aus. Resultat: Das Geschäft brach ein, die Produzenten und der Handel blieben auf den Weinen sitzen. Und die Kunden, die trotzdem wie immer kauften? Sie hatten schon bei den überrissenen Preisen 2010 nichts mehr gespart und 2011 ging es ihnen gleich. Von diesem Schock hat sich das Subskriptionsgeschäft irgendwie nie mehr richtig erholt. Liv-Ex-Mitbegründer Justin Gibbs schätzt, dass das En-primeur-Geschäft von 2010 bis 2022 von etwa 1,5 Milliarden auf noch gut 500 Millionen Euro eingebrochen ist. Dennoch gibt es Händler, die keinen Rückgang verkraften mussten. Max Gerstl etwa, einer der grossen Schweizer Bordeaux-Händler, sagt: «Bei uns ist das Primeur-Geschäft konstant geblieben.» Aber für den Gesamthandel ist der Peak schon lange vorbei. Mövenpick-CEO Gernot Haack sagt etwas euphemistisch: «Die Zahl der Kunden steigt sicher nicht mehr an.» Master of Wine Jan Schwarzenbach schätzt das Business gar als seit zwanzig Jahren rückläufig ein. Weinhändler Chris Ettinger, der einen breiten Kundenstamm beliefert: «Viele Liebhaber sind enttäuscht und haben aufgehört zu subskribieren, da sie die Weine ja eh meist im Detailhandel finden und die Preise nicht substanziell höher sind.» Zwei weitere Faktoren beeinflussen das Geschäft negativ: In den letzten Jahren haben so viele gute Jahrgänge den Markt geflutet (2015, 2016, 2019, 2020), dass man sich ohne Probleme gute Weine sichern konnte, ohne subskribieren zu müssen. Und die Weingüter fangen an, die Weine selber einzulagern und erst später auf den Markt zu bringen. Gibbs dazu: «Wir schätzen, dass heute die bekannteren Güter etwa einen Viertel der Produktion gar nicht mehr in die Subskription geben. Einige bekannte sogar bis zur Hälfte.»

Tipps für die ­Bordeaux-Subskription: Informieren, differenzieren, Ordnung halten

Die Strategie von François Pinault

Der vielleicht legendärste Brand der Welt, Château Latour, geht noch einen Schritt weiter: Das Weingut, das dem französischen Unternehmer François Pinault (41 Milliarden Euro Vermögen) gehört, verkauft seine Weine seit Jahren nicht mehr en primeur. Man lagert sie selber ein und bringt sie dann auf den Markt. Das bindet Hunderte von Millionen an Kapital – scheint sich aber offenbar zu lohnen. «Das Machtgefüge hat sich im Bordeaux klar verschoben», sagt Max Gerstl. «Die grossen Weingüter haben mehr Macht, zuungunsten von Handel und Négociants.» 

Kommt hinzu, dass sich in den letzten zwanzig Jahren das Konsumverhalten deutlich verändert hat: Wer kauft heute noch Weine, die man am besten erst in zehn bis zwanzig Jahren trinkt? Wer hat heute noch einen so grossen, klimatisierten Keller, dass er Dutzende von Kisten einlagern kann? Und: Bordeaux hat neben dem Burgund nicht mehr die Oberhoheit in Sachen Hammerweine: Hier haben Italien, Kalifornien, Australien oder Spanien nachgezogen. 

Subskribieren kann sich trotzdem lohnen

Dass die Endkunden in den letzten Jahren eigentlich nie mehr so richtig profitieren konnten, zeigt eine exklusive Analyse der Weinbörse Liv-Ex. Vor allem die Kundinnen und Kunden, die ihre Weine nach der Lieferung direkt weiterverkauften, haben fast nie profitiert. Für die Schnäppchenjäger ist das Geschäft gelaufen.  

Game over für Schnäppchenjäger

Und dabei hängt bei all den Problemen noch das «Damoklesschwert 2021» über der ganzen Branche. Die Preise des durchschnittlichen Jahrgangs 2021 wurden von den Weingütern nach den Superjahrgängen 2019 und 2020 nicht genügend reduziert. Fazit: Der Jahrgang hängt immer noch in den Lagern rum, «dabei kann der Markt den 21er nach all den guten Jahrgängen gar nicht mehr aufnehmen», sagt René Gabriel. Wieso also sollte man trotzdem noch Weine auf Option kaufen? «Die Blue Chips sind in besten Jahren halt immer noch schnell ausverkauft und wenn überhaupt nur zu deutlich höheren Preisen nachzukaufen», sagt Mövenpick-CEO Haack. Sprich: Wer sein Lieblings-Château wirklich kriegen will, muss subskribieren. «Wer den Markt gut beobachtet, findet auch heute noch sehr gute Preise», sagt auch Martin Flury, einer der grössten privaten Kunden in der Schweiz. Beispiel gefällig? In der Subskription kostete Giscours 2019 46.85 Franken, heute ist der Preis bei 65.85 Franken. René Gabriel hat für Mouton-Rothschild 2019 in Subskription 387 Franken bezahlt, heute ist der Preis bei 550 Franken.

Und es gibt sie durchaus noch, die Weingüter, die seit Jahren mit fairen Preisen und sauberer Preisgestaltung glänzen. Bei denen man bei der Auslieferung der Weine nicht jedes Mal feststellen muss, dass die Preise unterdessen getaucht sind. «Millionär» hat wichtige Exponenten aus der Szene befragt und die «Liste der Vertrauens-Weingüter» zusammengetragen. Und wen wunderts: An der Spitze der Liste steht mit drei Nennungen ein Weingut, dessen Besitzerehepaar sich nicht zu schade ist, seine Weine persönlich dem Zürcher Publikum auszuschenken. Womit wir am Anfang der Geschichte wären …

Die «Châteaux des Vertrauens»

Welche Topproduzenten im Bordeaux haben in der Regel faire Subskriptionspreise und ziehen ihre Kunden nie über den Tisch? «Millionär» hat sich bei den Experten umgehört.

Dieser Artikel ist im Millionär, dem Magazin der «Handelszeitung», erschienen (März 2024).