Greenwich, Stamford, Westport: drei Orte im Süden Connecticuts, nicht von Bedeutung. Und doch haben alle drei Städtchen indirekt etwas mit dem Ölpreis zu tun. In diesen gut betuchten Vorstadt-Schlafgemeinden wohnen einige der erfolgreichsten Hedge-Fund-Manager der Welt. Die Hauptakteure sind Personen, deren Namen kaum je an die Öffentlichkeit gedrungen sind, Leute, die für nahezu unbekannte Firmen arbeiten und die doch zig Milliarden von Dollars verwalten. Nicht einmal deren Nachbarn wissen, dass gerade diese Schattenmänner mit ihren Wetten auf das schwarze Gold eine Preisrallye sondergleichen zu verantworten haben.

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Vor wenigen Wochen wurde bekannt, dass China dieses Jahr 15 Prozent mehr Öl importieren wird als ursprünglich angenommen. Und wir wunderten uns noch, dass niemand diese Entwicklung vorhersah, obwohl viele Organisationen mit nichts anderem beschäftigt sind, als tagein, tagaus Statistiken über das weltweite Verhältnis von Angebot und Nachfrage zu erheben.

Was ist ein Hedge-Fund?
Das Ziel jedes Hedge-Fund ist es, sowohl in steigenden wie auch in fallenden Märkten positive Renditen zu erwirtschaften, und zwar bedeutend höhere, als traditionelle Fondsmanager üblicherweise auszuweisen vermögen. Hedge-Fund-Manager verfolgen ihre eigene Anlagestrategie, die häufig auch Derivate und risikoreiche Geschäfte mit geliehenem Kapital umfasst. Der «Hennessee Hedge Fund Manager Report» schätzt die Zahl der Hedge-Funds weltweit auf rund 7000. Anleger benötigen zum Einstieg je nach Hedge-Fund zwischen 100 000 und zehn Millionen Dollar, weshalb diese seit jeher ein Investmentvehikel gut betuchter Investoren sind.

Die Öl fördernden Länder haben ihre Produktionskapazitäten massiv in die Höhe gefahren; täglich fördern sie rund 1,2 Millionen Tonnen Barrel mehr Öl, als auf den Märkten eigentlich nachgefragt wird. Einer Nachfrage von 81,1 Millionen Tonnen pro Tag steht ein Angebot von 82,3 Millionen Tonnen gegenüber. Es hat nichts genützt, der Ölpreis ist dennoch auf 49,40 Dollar pro Fass und damit nahe an die psychologisch wichtige Grenze von 50 Dollar emporgeschossen. Der Schock war gross – Erklärungen mussten her: Anschläge auf Pipelines im Irak, Probleme beim russischen Ölkonzern Yukos, Wirbelstürme, limitierte Kapazitäten der Raffinerien und anderes wurden als Gründe für den Preisanstieg genannt. Im Nachhinein gestand die Internationale Energieagentur (IEA), die Nachfrageentwicklung nicht richtig eingeschätzt zu haben. «Weit daneben» wäre wohl treffender gewesen.

So ungenau die Prognosen sind, so undurchsichtig sind die Statistiken. Wie ein Zauberer Kaninchen aus seinem Hut zieht, präsentieren die im Ölbusiness involvierten Parteien Zahlenreihen. «Keine Statistik scheint zu stimmen», kritisiert Jürg Klossner, langjähriger Insider der Ölbranche und Geschäftsführer der Avia-Firma A.H. Meyer.

Die Ölbranche selbst gibt sich völlig verschlossen. «Kein Kommentar», heisst es unisono bei Royal Dutch und Konsorten. Äusserungen sind strengstens untersagt, denn diese könnten der Gegenseite, also den Käufern und Spekulanten, Rückschlüsse auf Kapazitäten und Preise geben. Man ist vorsichtig geworden. Die Milliardenkonzerne haben im Laufe der Jahre auf dem Ölmarkt viel Macht verloren. «Früher hatten die BPs, Essos und Shells dieser Welt den Markt in der Hand. Heute besitzen die Spekulanten die gleiche Macht», so Walter Schneider, Direktor beim Rohstoffbroker La Salle in Zürich.

Purnomo Yusgiantoro, der Vorsitzende des Opec-Kartells, wies den an seine Organisation gerichteten Vorwurf der Preistreiberei zurück: «Spekulanten trieben die Preise zusätzlich um 15 bis 20 Dollar hoch.» William Ramsay, stellvertretender Direktor der Internationalen Energieagentur, schloss sich dieser Meinung an. In dasselbe Horn stösst auch der stellvertretende chinesische Vorsitzende der staatlichen Entwicklungs- und Reformkommission, Zhang Guabao, der die Verantwortung Chinas für den hohen Ölpreis vehement bestritt. Informationen, Hintergründe oder Zahlen legen jedoch alle nicht vor.

Einzig eine amerikanische Studie bringt Licht ins Dunkel, der «Commitments of Traders Report». Dieser befasst sich wöchentlich mit den gesamten Handelsaktivitäten der New York Mercantile Exchange, kurz Nymex. Die Nymex ist mit einem Marktanteil von 65 Prozent die wichtigste Börse für den Ölhandel, gefolgt von der International Petroleum Exchange in London mit 30 Prozent. Beide Handelsplätze sind Papierbörsen, an denen im Gegensatz zur Warenterminbörse in Chicago keine Waren real angedient werden.

Die Statistik der Commodity Futures Trading Commission (CFTC) belegt, dass seit rund einem halben Jahr so viele Hedge-Funds wie noch nie im Ölsektor mitmischen. Dabei hat sich der Anteil der Spekulanten innerhalb von nur zwei Jahren auf 47 Prozent verdoppelt. Aus diesem Grund kontrollieren diese heute beinahe die Hälfte des weltweit täglich gehandelten Öls.

Mehr als eindrücklich zeigt die Statistik auf, wie die Wetten der Hedge-Funds den Ölpreis während der letzten drei Jahre beeinflussten (siehe «Am Gängelband der Hedge-Funds» auf Seite 150). Per 27. April 2004 beispielsweise hielten die Spekulanten 200 416 Kontrakte zu einem Kurs von 37.53 Dollar. Zwei Wochen später notierte der Ölpreis bei 40.06 Dollar. Der Grund für den raschen Preisanstieg: Die Hedge-Funds hatten sich zusätzlich mit rund 15 000 Kontrakten eingedeckt. Gleiches Szenario an den Tagen darauf. Auch in die Gegenrichtung wurde dieses Spiel getrieben. Vom 1. bis 15. Juni spekulierten die Hedge-Funds auf sinkende Ölnotierungen, sie verkauften in grossen Mengen Öl auf Termin; prompt sank der Preis.

Die Macht, den Preis der wichtigsten Handelsware der Welt (der Ölhandel macht 20 Prozent des gesamten Welthandels aus) so stark beeinflussen zu können, liegt in der Finanzkraft von Hedge-Funds und deren Funktionsweise. Die meisten arbeiten mit geliehenem Geld und Leverage (Hebeleffekt), was ihre Gewinnchancen um ein Vielfaches erhöht. Eine risikoreiche, aber hochprofitable Investition, wie folgendes Beispiel zeigt: Die Preise der Kontrakte werden in Dollar je Barrel notiert. Eine Kursveränderung von nur einem Dollar entspricht einer Wertsteigerung oder einem Verlust von 1000 Dollar und damit 1000 Prozent.

Diese geballte Marktmacht wird tagtäglich von einem Kreis von rund 450 Commodity Trading Advisers (Manager der auf Rohstoffe spezialisierte Hedge-Funds) unter Beweis gestellt. Vor vier Jahren waren es gemäss Tremont Tass Research erst 136 so genannte CTAs. Gemeinsam managen sie ein Vermögen von rund 70 Milliarden Dollar. Zum Kreis der «Jungstars» zählt auch John Arnold, ein ehemaliger Mitarbeiter bei Enron. Er leitet heute den 600 Millionen Dollar schweren Centaurus Energy Hedge Fund, der letztes Jahr mit Wetten auf Öl und Gas einen Gewinn von 200 Millionen Dollar einfuhr. Auch der Ölindustrie-Veteran Boone Pickens leitet zwei Hedge-Funds, die zu den grössten Playern im Öl- und Gassektor zählen. Der Erfolgsausweis: 550 Millionen Gewinn in den letzten zwei Jahren. «Doch im Prinzip sind beinahe alle Hedge-Funds in irgendeiner Form ins Ölgeschäft eingestiegen, sei es via Futures, Aktien oder Indizes», erzählt ein Insider.

Dies liegt daran, dass die meisten Spekulanten die gleichen Analysesysteme und Charttechnikprogramme verwenden, welche die Community zeitgleich mit Kaufsignalen oder Verkaufssignalen überschwemmen. Und man kennt sich in der Branche, hat oft das gleiche College besucht und sich die Sporen bei der gleichen Wall-Street-Company abverdient. Daniel Och etwa, der letztes Jahr mit seinem Och Ziff Fund eine Performance von 40,5 Prozent hinlegte, lernte ebenso bei Goldman Sachs wie Tom Steyer, der mit seinem Farallon Fund 22,3 Prozent erwirtschaftete.

Eine Vielzahl anderer talentierter Hedge-Fund-Manager gingen beim legendären Julian Robertson in die Schule, der seinen Tiger Fund im Jahr 2000 schloss. Man verkehrt in den gleichen Clubs, trifft sich beim Charity-Abendessen. Und man hat beste Beziehungen wie etwa George Walker, Leiter des Hedge-Fund-Geschäfts bei Goldman Sachs und Cousin von US-Präsident George W. Bush.

Diese Kontakte gereichen immer wieder zum gemeinsamen Vorteil, wie Beispiele aus der Vergangenheit zeigen. Etwa im Fall des Niederganges der Deutschen Metallgesellschaft im Jahr 1993, einer Tochtergesellschaft der US-Metallgesellschaft. Das Unternehmen kaufte damals Ölkontrakte in ganz grossem Stil. Von dieser Strategie erfuhr dummerweise auch eine Hand voll Wall-Street-Spekulanten, die daraufhin eine konzertierte Aktion starteten: Gemeinsam deckten sie sich mit grossen Positionen der Gegenseite ein, verkauften also Öl auf Termin. Prompt geriet der Ölpreis unter Druck. Die Metallgesellschaft, die auf steigende Preise spekulierte, rutschte mit einem Gesamtverlust von 3,5 Milliarden D-Mark an den Rand des Konkurses. «Heute könnte so ein Skandal wohl nicht mehr passieren. Es dürfte sich herumgesprochen haben, dass grosse Kaufaufträge über viele verschiedene Adressen gesplittet und vor allem nicht an die grosse Glocke gehängt werden sollten», so Ralf Wenzel, Rohstoffhändler bei Portfolio Concept.

Wie viele solcher Transaktionen im Ölmarkt gestartet wurden, die nie an die Öffentlichkeit kamen, weiss niemand. Klar ist nur, dass es sie immer wieder gibt. Auch 1997/98, munkelt man in Händlerkreisen, sollen Hedge-Fund-Manager ihre Finger mit im Spiel gehabt haben. Damals hatte die Asienkrise zu einem Nachfrageeinbruch in Fernost geführt. Gleichzeitig drehte die Opec, die sich mit ihren Absatzprognosen arg vertan hatte, die Hähne zu weit auf, worauf die Preise kollabierten.

Diese Gelegenheit nutzten Hedge-Funds und verstärkten mit massiven Leerverkäufen den Preistrend nach unten. Genüsslich konnten damals Ölkonsumenten auf der ganzen Welt ein Ereignis mit Seltenheitswert verfolgen: Der Ölpreis fiel zwischen Januar 1997 bis Dezember 1998 von 26,74 Dollar auf ein Zwölf-Jahres-Tief von 10,16 Dollar.

Die Funktion der Hedge-Funds in den Märkten ist somit ziemlich umstritten: Hedge-Funds verstärken grundsätzlich gewisse Trends. Ohne bereits bestehende Auf- und Abwärtstrends könnten auch Hedge-Funds nichts bewirken. Doch die Auswirkungen auf die Weltkonjunktur sind in diesem Fall so massiv, dass sich die Regierungen etwas einfallen lassen sollten. William J. Crerend, Autor des 1998 verfassten Buches «Fundamentals of Hedge Fund Investing», fand einen treffenden Vergleich: «Ein wenig poetisch ausgedrückt, sind Hedge-Funds wie die alten Piratenschiffe von damals. Eine Gruppe reicher Investoren übernimmt ein Schiff und teilt die Beute nur mit seiner Crew.»

Nur dass die Piratenschiffe der Gegenwart ein Öltanker angegriffen haben, von dem die ganze Welt abhängig ist. Und diese ist nun sauer.