Drei Wochen vor der Abstimmung am 7.  März, bei der das Volk darüber befinden wird, ob der Mindestumwandlungssatz in der beruflichen Vorsorge von 6,8 auf 6,4 Prozent gesenkt werden soll, liegen bei den Befürwortern die Nerven blank. Vor allem die Oberen aus der Pensionskassen- und Versicherungsbranche reagieren gereizt auf Kritik.

Da wird postwendend teilweise grob dreingehauen. Etwa mit einem Brief an die Chefredaktion des «Tages-Anzeigers», in dem sich der Pensionskassenverband ASIP beklagt, dass dem einstigen Preisüberwacher und Ex-SP-Nationalrat Rudolf Strahm für dessen Kolumne mit dem Titel «Pensionskassen sind Selbstbedienungsläden» eine «prominente Plattform» geboten werde, wobei dieser «mit Polemik und irreführenden Behauptungen gegen das schweizerische Altersvorsorgesystem Stimmung» mache. Dadurch werde die «journalistische Pflicht der ausgewogenen Berichterstattung aufs Gröbste verletzt».

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Fünf Tage später war die Reihe am Versicherungsverband SSV. Mit der Überschrift «Neue Folge des Märchens vom Rentenklau» verschickte die Dachorganisation der Versicherungswirtschaft eine Medienmitteilung, in der SP-Nationalrat Rudolf Rechsteiner sein Fett abbekam. Gut eine Woche darauf fuhr der SSV noch gröberes Geschütz auf; er prangerte die Medienpartnerschaft der SF-Sendung «Kassensturz» mit dem Magazin «K-Tipp» an und reichte beim Bundesamt für Kommunikation Klage ein. Grund: Das Fernsehen zeigte in einer Einblendung die Titelseite des «K-Tipps» mit der Schlagzeile «Nein zur Rentenkürzung».

Die wachsende Nervosität in der Pensionskassenlandschaft hat ihren Grund: Es geht um sehr viel Geld. Ende 2007 – neuere Zahlen existieren nicht – besassen gemäss BSV 4,4 Millionen Versicherte und Rentenbezüger ein Vorsorgekapital von 799 Milliarden Franken. Gemäss Schätzungen der BILANZ, fortgeschrieben auf Wachstumsraten der Vergangenheit, sollte das Volksvermögen in der zweiten Säule aktuell runde 830 Milliarden betragen. Berücksichtigt wurde dabei, dass gemäss dem von Credit Suisse errechneten Pensionskassenindex – dieser bildet das Anlageverhalten von über 100 Pensionskassen ab – 2008 eine Negativperformance von 13,2 Prozent resultierte, im vergangenen Jahr dagegen ein Plus von 10,8 Prozent.

Die mit rund 830 Milliarden Franken prallvollen Honigtöpfe ziehen Heerscharen von Profiteuren wie Verwaltern, Beratern, Buchprüfern, Vermögensverwaltern, Bankiers sowie Versicherern an. Zwar sind die autonomen Pensionskassen von Gesetzes wegen als nicht gewinnorientierte Stiftungen organisiert. Das hält jedoch kaum jemanden davon ab, sich reichlich zu bedienen. Die Kosten für die Bewirtschaftung dieses Geldberges sind immens; 2007 wurden den rund 2500 Vorsorgeeinrichtungen 784 Millionen Franken an Verwaltungsaufwand sowie 1948 Millionen an Vermögensverwaltungskosten belastet.

Kostenexplosion. Bedenklich ist das überproportionale Wachstum. Seit 1990 haben die Gesamtkosten um 136 Prozent zugenommen, die Kapitalerträge auf den PK-Vermögen dagegen nur um 41 Prozent. Anders gerechnet: Vor zwanzig Jahren mussten vom Kapitalertrag aller Pensionskassen 10,5 Prozent für die Verwaltungskosten herhalten, 2007 waren es bereits 17,7 Prozent. Selbst Vorsorgespezialisten können nicht mit Erklärungen für die Kostenexplosion aufwarten.

Zu den Gesamtkosten von 2,7 Milliarden Franken kommen 1317 Millionen, welche die Lebensversicherer geltend machen. Zusammen macht das gut 4 Milliarden Franken aus, die den 4,4 Millionen Pensionskassenmitgliedern an Kosten belastet werden. Die Zuwachsraten über die letzten Jahre fortgeschrieben, dürften die Gesamtkosten bis 2009 auf rund 4,5 Milliarden Franken angewachsen sein.

Ein gewaltiger Kostenblock – doch längst nicht die ganze Wahrheit. Zwar hat Bundesbern via BVG-Revision mehr Transparenz ins Pensionskassenwesen gebracht, doch nicht genügend, weshalb sich Kostenvergleiche kaum bewerkstelligen lassen. «Eine generelle Beurteilung der Kostenhöhe oder der Kostenstruktur bei Pensionskassen ist schwierig, da diese kassenspezifisch ist. Speziell bei den Lebensversicherern herrscht diesbezüglich kaum Transparenz», sagt Werner Hug, Chefredaktor «AWP Soziale Sicherheit». Und so fallen bis heute einige Milliarden Franken verdeckter Kosten an.

Nun muss man den Pensionskassen zugutehalten, dass die Kosten gerade in der Vermögensverwaltung nicht mehr derart rapide steigen wie auch schon, gewisse Aufwendungen nehmen gar leicht ab. Für den einstigen Preisüberwacher Rudolf Strahm ist das Augenwischerei: «Wenn die in den Jahresberichten ausgewiesenen Vermögensverwaltungskosten optisch zurückgehen, muss das noch lange nicht heissen, dass sie auch tatsächlich sinken. Denn solche Kosten rechnen die Banken zunehmend in ihre Finanzprodukte ein, um sich selbst aus der Schusslinie zu nehmen.» Gerade das Geschäft mit Anlagefonds lässt Kostentarnungen zu. Unerfahrene Pensionskassenverwalter halten sich gerne an Anlagefonds, denn so wird ihnen die Investmentstrategie vereinfacht.

Nur sind Fonds ausgesprochen teuer: Je nach Ausrichtung fallen Kosten von 0,8 bis über 2 Prozent des investierten Volumens an. Auf diese Weise wird die Performance der Kasse zusätzlich beschnitten. Dabei sieht der Verwalter lediglich die ihm direkt belasteten Kosten und Gebühren. Die bankseitigen Kosten – bei einem Aktienfonds Courtagen sowie andere Gebühren, die beim Kauf und Verkauf von Aktien anfallen – sind dagegen nicht ersichtlich. Sie schmälern die Gesamtrendite des entsprechenden Fonds.

Die Fondsmanager haben über die letzten Jahre ihre dem Kunden verrechneten Kosten zurückgefahren, ja räumen grossen Pensionskassen Nachlässe ein. Nicht wenige Fondshäuser halten sich dafür bei den verdeckt überwälzten Kosten schadlos. Beliebt ist das im Investmentjargon «Depot drehen» genannte Vorgehen: Dabei werden wie wild Aktien gekauft und verkauft, die Bank kassiert zusätzliche Courtage-Einnahmen. Der Kunde bekommt diese unnötigen Tradingaktivitäten nicht zu sehen, dafür fällt die Rendite des Fonds umso schlechter aus. Wie viel die Fondsanbieter ihren Pensionskassenkunden an verdeckten Kosten belasten, wird wohl für immer ein Geheimnis bleiben. Branchenkenner beziffern sie im Durchschnitt mit einer runden Milliarde Franken.

Teure Legal Quote. Einen mächtigen Kostenberg bürden im Weiteren die Versicherungsgesellschaften den von ihnen verwalteten Kassen auf. «Die Lebensversicherer haben sich über die letzten zwei Jahre auf der Kostenseite verbessert. Sie wurden effizienter, weil sie der Markt dazu gezwungen hat», meint zwar Stefan Thurnherr, Vorsorgeexperte beim VZ VermögensZentrum. Nur hat die Branche längst einen anderen Weg gefunden, wie sie sich schadlos halten kann: über die sogenannte Legal Quote. Dabei handelt es sich um einen Gewinnverteilungsmechanismus: Die Lebensversicherer müssen vom Ertrag 90 Prozent den Versicherten gutschreiben, die restlichen 10 Prozent dürfen sie behalten.

Zehn Prozent wovon genau? Vom Brutto- oder vom Nettogewinn? Das Gesetz spricht von Überschuss, die Versicherer verstehen darunter die Bruttoeinnahmen. Deswegen schüttelt Christine Egerszegi, FDP-Ständerätin und Vizepräsidentin der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit, auch noch Jahre nach den Parlamentsdiskussionen verständnislos den Kopf. «Die Auslegung der Legal Quote durch die Versicherer ist eine Sauerei. Es kann doch nicht sein, dass diese zehn Prozent des Bruttogewinns abzwacken, und zwar ungeachtet ihrer Leistung.» Dagegen erhebt der PK-Experte Stefan Thurnherr Einspruch: «Ich verstehe die Diskussion um die Legal Quote nicht. Das Prozedere wurde ja ausgiebig im Parlament diskutiert, und damals haben alle ihr Okay gegeben.» Was wiederum die in BVG-Belangen unverändert streitlustige Egerszegi nicht gelten lässt; für sie ist klar, dass mit Überschuss nur ein Nettogewinn gemeint sein kann. «Wir wurden geleimt. Bei den damaligen Verhandlungen haben sich die Versicherer lange gewehrt gegen unsere Vorschläge, und plötzlich waren sie einverstanden. Das kam mir seltsam vor. Doch dass die auf den Trick mit dem Bruttogewinn gekommen sind, haben wir damals nicht realisiert», erinnert sich die FDP-Frau. Das Bruttogewinn-Prinzip schenkt den Versicherungsunternehmen schwer ein. Gemäss SP-Nationalrat Rudolf Rechsteiner, dem PK-Experten der Sozialdemokratischen Partei, sind den Versicherten über die Legal Quote allein 2007 rund 540 Millionen Franken entgangen.

Alternativ-Risiken. Ein sprudelnder Quell frischer Einnahmen hat sich vor einem Jahr den Banken aufgetan. Seit Anfang 2009 dürfen Pensionskassen bis zu 15 Prozent ihres Kapitals in alternative Anlagen stecken. Hinter dieser harmlosen Bezeichnung verbergen sich weniger harmlose Anlageformen wie Hedge Funds, Rohstoffe oder Private Equity. Nun weibeln die Banken, um den Vorsorgeeinrichtungen Hedge Funds schmackhaft zu machen. Mit gutem Grund: Hedge Funds, vor allem Dach-Hedge-Funds, sind für die Anbieter höchst einträglich, für den Käufer allerdings etwas vom Teuersten, was es in Finanzboutiquen zu erstehen gibt. «Hedge Funds sind enorm teuer. Bei den guten kommt oft noch eine hohe Prämie dazu», sagt Martin Mayer, Pensionskassen-Versicherungsexperte der Dr. Martin Wechsler AG (Firmenchef Martin Wechsler ist Pensionskassenexperte der BILANZ). Rudolf Strahm bestätigt: «Auch bei Hedge Funds sind die versteckten Kosten ausgesprochen hoch.»

Erlassen wurden die neuen Anlagerichtlinien vom Ausschuss Anlagefragen. Dieser setzt sich zusammen aus 17 Personen, 11 davon sind stimmberechtigt. Davon gehören 3 zur Banken- und 2 zur Versicherungsbranche, dazu kommen 2 Pensionskassenberater. Knapp zwei Drittel der Kommission bestehen aus Interessenvertretern, deren Branchenkollegen wiederum die Pensionskassen bei der komplexen Materie rund um alternative Anlagen beraten. Erstaunlich zudem, dass einem derart folgenreichen Entscheid keine Vernehmlassung folgte.

Nicht weniger erstaunlich der Umstand, dass überhaupt eine Maximalgrenze von 15 Prozent eingeführt wurde. Alternative Anlagen waren auch bislang möglich – falls die Pensionskasse aufzeigen konnte, dass sie risikofähig ist. Nun jedoch können solche Investments ohne rigorose Kontrolle durchgeführt werden. Colette Nova vom Gewerkschaftsbund SGB und Mitglied der BVG-Kommission sowie im Ausschuss Anlagefragen beschwichtigt: «Alternative Anlagen verlangen einiges an Wissen. Deshalb sind sie gar nicht gross gesucht.» Stimmt. Im Pensionskassenindex der Credit Suisse hielten die über 100 Vorsorgeeinrichtungen nur 4,3 Prozent an alternativen Anlagen. Aufgerechnet auf das Gesamtvermögen, entspricht dieser Minianteil zwar nur einem Wert von 30 Milliarden Franken, doch er lässt den Banken doch einige hundert Millionen Franken zuströmen.

Zudem dürften künftig mehr Gelder in diesen Bereich fliessen. Joseph Steiger vom Bundesamt für Sozialversicherung, der als Sekretär im Ausschuss Anlagefragen wirkt: «Keine Vorsorgeeinrichtung wird dazu gezwungen, nun alternative Anlagen zu tätigen. Doch dank den neuen Richtlinien werden sie diversifizierte und damit insgesamt sicherere Produkte bevorzugen.» Allerdings bergen auch strukturierte Produkte hohe Risiken, wie die Finanzkrise gezeigt hat. Ebenso beträchtliche Renditechancen. Und so wird wohl manch angeschlagene Pensionskasse auf Hedge Funds setzen, in der Hoffnung, die Unterdeckung wegzubringen. Eine gefährliche Strategie, die viel Know-how voraussetzt. Dazu Herbert Brändli, Geschäftsführer B+B Vorsorge: «Ein Pensionskassenverwalter sollte generell nur Anlagen machen, von denen er auch etwas versteht. 99 Prozent aller Stiftungsräte dürften Hedge Funds eigentlich gar nicht anfassen, weil sie sich in dieser komplexen Materie nicht auskennen.»

Das Schweizer PK-Wesen ist ein Milizsystem, etwa 20  000 Stiftungsräte führen die Vorsorgestiftungen fast nebenbei. Ihr Wissen über Buchführung, Versicherungsmathematik oder moderne Portfoliotheorien hält sich in Grenzen. Davon lebt ein Heer von Anlageexperten, Beratern, Vermögensverwaltern sowie Buchführungsexperten. Vor allem die Dienste von Pensionskassenberatern sind gesucht. Dennoch beklagt sich Herbert Brändli. «Die vier grossen Beratungsfirmen haben eine immense Macht, sie kontrollieren den Markt fast nach Belieben.» Die vier Grossen, das sind PPCmetrics und Complementa, die je geschätzte 30 Prozent Marktanteil halten, sowie die deutlich kleineren Ecofin und Coninco.

Beraterkartell. Die «Viererbande», wie man sie auch nennt, lässt sich untereinander in Ruhe, versucht, den Markt abzuschotten, damit die Honorare fett bleiben. PPCmetrics verlangt pro Stunde 350 bis 400 Franken, bei speziellen Aufträgen können es auch 500 sein. Trotz solchen Ansätzen winkt Professor Martin Janssen, Chef der Ecofin-Gruppe, ab: «Die Pensionskassenberatung ist gar nicht so attraktiv, wie viele meinen. Ecofin erzielt in diesem Bereich nur einen geringen Gewinn.» Dennoch überweisen die Pensionskassen insgesamt wohl über 100 Millionen Franken an Beratungshonoraren.

In der Branche ist es ein offenes Geheimnis, dass viele Berater ihre Honorare damit aufbessern, dass sie den Pensionskassen bestimmte Finanzprodukte bestimmter Banken empfehlen. Die Bank bedankt sich dafür mit sogenannten Retrozessionen. Die Berater scheuen dieses Wort wie der Teufel das Weihwasser. «Falls einer meiner Leute Retrozessionen annähme, würde ich ihn fristlos auf die Strasse stellen», versichert Martin Janssen. Ins selbe Horn bläst Werner Strebel, Mitgründer und Partner PPCmetrics: «Wir nehmen strikt keine Retrozessionen.» Dennoch fliessen die Belohnungen. Daniel Dubach, Leiter Vermögensanlagen der Avadis Anlagestiftung: «Im Fondsgeschäft sind Retrozessionen die Regel. Sie machen schnell einmal die Hälfte der Gesamtkosten aus.» Das sieht auch Martin Mayer so: «Retrozessionen sind im Pensionskassengeschäft immer noch weit verbreitet. Sie wurden einfach in eine andere, auf den ersten Blick nicht offensichtliche Form gegossen.»

Im Pensionskassengeschäft dürften gegen drei Milliarden Franken an verdeckten Kosten anfallen. Etliche Beobachter vermuten noch mehr verschwiegene Kosten. Laut Martin Mayer könnten sich die Gesamtkosten «durchaus im Rahmen von acht bis zehn Milliarden Franken bewegen». Auch Martin Janssen kann sich Kosten dieser Grössenordnung vorstellen. Er fordert: «Weil man den Umwandlungssatz senken muss, müssen wir alles unternehmen, damit auch die Kosten sinken.»

In der Realität fallen pro Versicherten Kosten von 1820 bis 2270 Franken an – jährlich. Ein enormer Betrag. Wer während 35 Jahren einzahlt, den kommt die Verwaltung seines Alterskapitals durchschnittlich auf 111  000 Franken zu stehen. Schätzungs- und Rechnungsfehler einbezogen – das ist der neue Rentenklau.