BILANZ: Haben Sie die Helikopter-Prüfung geschafft?
Peter Rothwell:
Nein, das braucht noch eine Weile. Das Bundesamt für Zivilluftfahrt nimmt die Prüfungen in Deutsch ab, was für mich als Engländer nicht einfach ist. Aerodynamik ist schon schwierig genug – und erst recht in einer Fremdsprache.

Sie haben immerhin bereits die Lizenz für Motorflieger.
Ja, aber Helikopter sind schwieriger in der Luft zu halten. Mein Lehrer ist ein cooler Typ. Wenn ich glaube, ich käme nie mehr lebend aus der Kabine, blickt er locker auf seine Fingernägel.

Partner-Inhalte
 
 
 
 
 
 

Im Touristikgeschäft sind Sie der Branchenprimus, da bleibt Zeit zum Büffeln.
Sicher nicht. Ich bin mit der Reorganisation von Kuoni voll beschäftigt. Deshalb verzögert sich der Schlusstest.

Merrill Lynch empfiehlt Kuoni zum Kauf, die Bank of America setzt auf Kuoni. TUI und Thomas Cook wurden abgestraft.
Ich freue mich über unsere Entwicklung, weil die letzten zwei Jahre nicht einfach waren. Nun habe ich den Eindruck, dass das Geschäftsmodell von Kuoni verstanden wird. Die Finanzwelt realisiert, dass Kuoni anders ist.

Anders?
Die internationale Konkurrenz, also die grossen börsenkotierten Unternehmen wie TUI Travel und Thomas Cook, hat einfach ständig die Kosten gesenkt. Dies kann keine nachhaltige Strategie sein. Woher soll das Wachstum kommen?

Kuoni wächst auch nicht im Übermass. Im ersten Halbjahr hat man Umsatz verloren.
Die zweite Hälfte wird besser. Unser Wachstumsmodell beginnt zu greifen: Das Destinationsmanagement wächst, das Visa-Business wächst, Skandinavien ist stark, Asien wächst.

Auch die anderen wollen wachsen.
Die anderen grossen Reiseunternehmen füllen ihre Flugzeuge und bringen die Leute von England nach Spanien oder von Deutschland in die Türkei. Das ist kein Geschäft, das auf Wachstum ausgelegt ist. Kuoni dagegen verschiebt nicht nur Leute von zu Hause auf Inseln. Wir generieren ein Drittel des Umsatzes und des Gewinns in Asien und sind in den vielfältigsten Geschäftsfeldern wie zum Beispiel dem MICE-Business (Meetings, Incentives, Conventions, Events) tätig.

Kuoni macht doch keine hochkomplexe Rocket Science. Vielleicht ist einfach die Konkurrenz schwach?
Ich habe nie behauptet, dass Touristik eine Wissenschaft sei, die niemand verstehe. Wir haben nur ein anderes Geschäftsmodell.TUI oder Thomas Cook haben über 200 Flugzeuge, die täglich mindestens zweimal bewegt werden müssen. Sie müssen mehrere Millionen Sitzplätze pro Jahr füllen. Da ist also der Ladefaktor entscheidend. Diese Art von Geschäft bezeichnete ich als Wurstfabrik: Man muss das Produkt permanent abfüllen.

Ist Kuoni keine Wurstfabrik? Auch Sie füllen Kontingente.
Eben nicht. Wir sind viel flexibler, wir buchen für die Kunden die Daten, die Klasse und die Airline, die sie sich wünschen. Wir haben keine Fixkosten für Hotels, Busse oder Airlines. Wir haben die Edelweiss Air zum richtigen Zeitpunkt verkauft. Damit binden wir fast kein Kapital für Infrastruktur und sind sehr kapitaleffizient. Ich sehe Kuoni eher als eine weltweite Wissens- und Dienstleistungsorganisation, nicht als Wurstfabrik.

Sie haben als Chief Operating Officer von TUI selber einmal Würste fabriziert.
Ja, das habe ich, und ich habe dabei viele wertvolle Erfahrungen gesammelt.

War es schwierig, zum Chef einer exklusiven Reiseboutique oder, wie Sie sagen, einer «Wissensorganisation» zu werden?
Anspruchsvoller, weil die Firma komplex und fragmentiert ist. Dem kommt unsere Schweizer Herkunft entgegen. Wir sind Swiss-based, doch die Firma ist es gewohnt, international zu kooperieren. Zum Beispiel in Indien. Da sagt ein deutsches Management: «Immer geradeaus.» Die Amerikaner sagen: «Wir verstehen euch zwar nicht, aber man kann mit Dollars einkaufen.» Die Engländer haben sich in ihrer Geschichte nicht überall Freunde geschaffen. Die Schweizer sind prädestiniert, andere Kulturen zu verstehen und neue Geschäftsmodelle zu betreiben. Das hilft uns im arabischen Raum, in den USA, in Indien, in China. Da sind wir überall erfolgreich unterwegs.

Moment, gerade Ihr China-Geschäft ist ins Stottern geraten. Die Übernahme der Touristikfirma ET-China klemmt.
Es gibt einige rechtliche und regulatorische Probleme zu lösen, deshalb verzögert sich die Übernahme. Jeder, der in China geschäftet, weiss, dass dies kein Spaziergang ist. Wir haben klare Vorstellungen über unser Engagement in China. ET-China ist zweifellos ein spannendes Übernahmeobjekt, ihre Wachstumsaussichten sind ausgezeichnet. Speziell ihre Tochterfirma GZL International Travel Service ist sehr interessant.

GZL offeriert auf ihrer Homepage das Programm «Heiraten Sie chinesische Frauen». Kuoni als Kuppler?
Reisen hat viel mit Kennenlernen von Menschen zu tun. GZL ist einer der grossen Tour Operators in Guangzhou. Sie betreibt 160 Reiseshops und macht über 300 Millionen Franken Umsatz.

Vertrauen Sie den chinesischen Buchhaltern?
Wir haben Erfahrung mit Geschäften in China, weil wir selbst seit Jahren mit Kuoni dort aktiv sind. Wir haben ein erprobtes Management in Hongkong. ET-China kennen wir seit bald zwei Jahren, haben eine Person im Verwaltungsrat. Wir steigen nicht ganz ohne Erfahrung ins Geschäft ein.

Dennoch verzögert sich der Kauf von ET-China.
Zwischen der Mutterfirma ET-China und GZL-Minderheitsaktionären gibt es ein paar rechtliche und regulatorische Fragen zu klären. Mit unserem Übernahmeangebot hat das nichts zu tun. Wenn das überwunden ist, steht der Übernahme nichts mehr im Weg. Kuoni ist bereits mit 33 Prozent an ET-China beteiligt.

Und wenn der Deal scheitert?
Eine Garantie gibt es bei solchen Übernahmen nie. Doch selbst wenn der Deal nicht zustande käme, würden wir dank unserer Beteiligung am Wachstum partizipieren.

Was lockt an China?
ET-China beziehungsweise GZL sind derzeit im Massenmarkt mit Macao und Hongkong aktiv. Da wird primär in Gruppen gereist, im Charterflugzeug, im Bus. Der Anteil der Individualtouristen aus China ist noch klein, aber die Wachstumsraten sind enorm. Wenn die Liberalisierung und das Wachstum im Land anhalten, wird das ein riesiger Markt. Die gleiche Entwicklung sahen wir in Indien und Japan: Zuerst reisen die Leute in Gruppen, besuchen sechs Städte und Länder in einer Woche, in einer zweiten Stufe beginnen sie mit Individualreisen, geben mehr Geld aus.

Deshalb zahlen Sie eine Prämie von 220 Prozent auf den Aktienkurs von ET-China? Das ist doch völlig überrissen.
Wir haben das Unternehmen genau angeschaut. Auf Basis unserer Berechnungen würden wir rund 50 Millionen Pfund in eine Wachstumsfirma investieren.

In Indien betreiben Sie mit VFS Global ein hochlukratives Geschäft mit der Bewirtschaftung von Visa-Anträgen.
Wir machen mit Visa Facilitation Services (VFS) im Jahr über 100 Millionen Franken Umsatz und wachsen zweistellig. Wir sind weltweit an rund 350 Orten in über 40 Ländern präsent, wo wir zuhanden der Regierungen Visa-Anträge vorbereiten.

Gibt es bald schon einen VFS-Börsengang in Mumbai?
Wir diskutieren immer über unser ganzes Portfolio, wie wir Aktivitäten ausbauen können oder was wir verkaufen wollen. Wir können auf VFS durchaus stolz sein: Kuoni hat dieses Visa-Geschäft erfunden, heute haben wir einen weltweiten Marktanteil von 50 Prozent. Geleitet wird das Geschäft von Indien aus, weil dort der Ursprung und am meisten Erfahrung liegen. Das Geschäft entstand nach 9/11 in New York. Damals wurden weltweit die Visa-Bestimmungen verschärft. In der Folge standen die Leute in der Hitze und im Regen vor den Botschaften Schlange für ein Visum. Das stellte Logistikprobleme und warf Sicherheitsfragen auf. Indem wir den Visa-Antragsprozess von Anfang an extern begleiten und die richtigen Unterlagen besorgen, erhalten wir eine Gebühr von den Botschaften.

Ein Wachstumsmarkt?
Zweifellos. Erst 15 Prozent der Botschaften haben diesen Visa-Prozess ausgelagert, viele werden folgen. Wenn sich eine Botschaft in Nigeria nicht lange mit dem Prüfen von Visa-Anträgen herumschlagen möchte, übernehmen wir diesen Service.

Was tun Sie gegen Korruption und gefälschte Papiere?
Dass gefälschte oder gekaufte Papiere vorgelegt werden, kann in bestimmten Ländern nicht verhindert werden. Deshalb bauen wir auf lokale Leute, die mit den Bestimmungen vor Ort bestens vertraut sind und Fälschungen erkennen. Derzeit versuchen wir einen weiteren Grossauftrag zu erhalten: Saudi-Arabien will das Bearbeiten der Visa-Anträge für Mekka auslagern. Dann könnten wir theoretisch auch Pilgerreisen nach Mekka organisieren.

Indien, China und der arabische Raum sind Zukunftsmärkte. Doch ausgerechnet im Heimmarkt Schweiz kommt der Marktleader nicht auf Touren. Weshalb?
Die Schweiz kommt langsamer aus der Krise als andere Länder. Ein Gewinn von 30 Millionen Franken könnte zu gegebener Zeit aber wieder machbar sein.

Wann? Nächstes Jahr?
Das nächste Jahr wird nicht einfach. Immerhin wird 2011 besser als 2010. Die Buchungen für 2011 sind besser angelaufen. Wir wollen ein nachhaltiges und gutes Ergebnis erreichen. Aber die Konkurrenz ist hart und handelt manchmal nicht sehr rational.

Sie meinen, andere Anbieter wie Hotelplan oder TUI haben die Preise zu stark gesenkt.
Sagen wir es so: Der Markt ist sehr umkämpft. Und dann gab es Ereignisse, die auf den Umsatz drückten: Vulkanausbruch in Island, Unruhen in Thailand, Ausschreitungen in Griechenland.

Können Sie wieder an die alten Kuoni-Zeiten in der Schweiz anknüpfen? Machen Ihnen da nicht aggressive Preisangebote und das Internet einen Strich durch die Rechnung?
Wir haben viele Initiativen ergriffen: Die Kundenbeziehungen werden verstärkt, die Filialen umgebaut, moderne Verkaufskonzepte eingeführt. Dies wird sich positiv auswirken.

Eine Fusion mit der Nummer zwei, Hotelplan, ist vom Tisch?
Man sollte niemals nie sagen. Es gab letztes Jahr Gespräche mit Hotelplan, und es gab auch einige rationale Gründe dafür. Derzeit finden keine Gespräche statt.

Haben Sie auch schon mal zu Migros-Chef Herbert Bolliger gesagt, seine Preisaktionen seien ungesund? Immerhin ist die Migros Grossaktionärin von Kuoni.
Ich habe keinen Kontakt zu Herrn Bolliger. Allen Schweizer Anbietern könnte es jedoch besser gehen, wenn alle ein nachhaltiges Geschäft daraus machen wollten.

Falls es doch zur Fusion Kuoni/Hotelplan käme: Wäre es eher ein Traum oder ein Albtraum, im neuen Konzern unter Chairman Hans Lerch zu arbeiten?
Wie gesagt, es gibt keine Gespräche. Hans Lerch hat einen engen Bezug zu Kuoni, die er jahrelang führte. Und er kennt mit seiner Erfahrung die Mechanismen der Touristikindustrie.

 

Peter Francis Rothwell (51) ist ein erfahrener Touristiker. Er abeitete nach einem Germanistik- und Französischstudium (Universität Oxford) bei Thomson Travel, Airtours und TUI Travel. Rothwell, passionierter Flieger und Tourenfahrer, lebt in Zug und in Little Gaddesden bei London.