BILANZ: Herr Wittwer, wir sitzen hier im Luzerner Hotel Palace. Verdient das Haus seinen Namen?
Reto Wittwer: Architektonisch bestimmt, es ist ein wunderbares Stadtpalais, eine Ikone der Schweizer Hotellerie. So viel zur Hardware. Relevanter aber ist der Service, die Software.

Warum ist das wichtiger?
Die Fassade kann man nicht heimnehmen, gute und schlechte Erfahrungen aber schon. Was mich sehr erstaunt, ist die permanente persönliche Ansprache – Herr Witter hier, Herr Wittwer dort. Das kann schmeichelhaft sein, aber auch störend. Ich will ja vielleicht auch einmal anonym unterwegs sein.

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Sie sind der mächtigste Schweizer Luxushotelier der Welt.
Bin ich das?

Natürlich sind Sie das, mit 76 Hotels, darunter dem Emirates Palace in Abu Dhabi und dem Adlon in Berlin.
Nun ja. 1998 war Kempinski praktisch bankrott, heute schreiben wir einen Umsatz von einer Milliarde Euro und ein Ebitda von 20 Millionen. Was wichtiger ist: Unser thailändischer Hauptaktionär ist vor allem an der Wertsteigerung der Hotelgruppe interessiert. Und da ist einiges passiert. Von einst 15 Millionen Euro ist der Wert auf aktuell 600 Millionen gewachsen; 2015 dürfte er bei einer Milliarde liegen. Ein paar Dinge haben wir sicher richtig gemacht.

Wie laufen die Geschäfte gegenwärtig?
Blendend. Kempinski hatte 2012 das beste Jahr seit Bestehen. 2013 sieht noch besser aus. Ich sage nicht, dass es keine Krise gibt. Aber wenn man das Luxusgeschäft richtig macht, läuft es auch gut. Wir erreichen 2013 wohl ein organisches Umsatzplus von mindestens zehn Prozent. Rechne ich die weiteren zehn Hotels ein, die 2013 hinzukommen – davon je eines in Kenia und in Ghana –, liegt das Umsatzwachstum wohl bei 25 Prozent.

Und bald kommt auch ein Hotel in Zürich hinzu.
Ich komme eben von einer Geschäftsreise aus Conakry, Guinea, zurück. Afrika interessiert mich definitiv mehr als Zürich.

Kempinski peilt Zürich schon lange an.
Das ist so, seit zehn und mehr Jahren. Man muss kein strategischer Hexenmeister sein, um zu sehen, dass wir dort sein müssen. Zürich ist die logische Ergänzung zu unseren drei Schweizer Standorten Genf, Mont-Pèlerin und St. Moritz.

Warum hat es so lange nicht geklappt?
Wir sind eine Firma mit deutschem Ursprung. Zürich lebt zu einem guten Mass von deutschen Gästen. Ohne Standort in Zürich verlieren wir unsere Gäste. Wo steigt denn ein Gast, der in Berlin ins «Adlon» geht oder in München ins «Vier Jahreszeiten», in Zürich ab? Im «Baur au Lac», im «Widder» oder im «Dolder». Die Familie Kracht ist wohl nicht daran interessiert, dass aus ihrem «Baur au Lac» ein Kempinski wird. Das «Widder» gehört der UBS. Die sind auch nicht an uns interessiert, obwohl ich schon oft bohrte. Und Urs Schwarzenbach sitzt immer noch auf seinem «Dolder Grand», aber irgendwann wird er überzeugt werden. Das wären die idealen Objekte, weil unsere Gäste dorthin gehen. Aber alle drei sind derzeit nicht disponibel.

Deshalb übernimmt Kempinski das Management des ehemaligen «Sheraton Atlantis» im Triemli-Quartier. Ein Risiko.
Als Einheimischer weiss ich, dass das Triemli nicht unbedingt das Beverly Hills von Zürich ist. Kommt dazu, dass meine Mutter vor vier Monaten im Triemli-Spital starb. Als ich an ihrem Bett sass, sah ich direkt zum «Atlantis» hinüber – traurig. Tatsächlich war ich, als die «Atlantis»-Besitzer vor ungefähr drei Monaten auf uns zukamen, zunächst skeptisch.

Was hat Sie umgestimmt?
Punkt 1: Das Hotel gehört einem der bedeutendsten Investoren in Katar, dem heute grössten Trophäen-Hotel-Käufer der Welt. Was ist unser Geschäft? Trophäen-Hotels managen. Punkt 2: Aufgrund des Eigentümers kann man davon ausgehen, dass es standesgemäss renoviert wird. Die ganze obere Etage wird zum Beispiel für dessen Eigengebrauch zur Verfügung stehen.

Man hört, der Emir von Katar investiere persönlich.
Ich kann nur bestätigen, dass es ein Investor aus Katar ist.

Wie steht es mit den Plänen?
Der Deal steht zu 90 Prozent, in den nächsten Wochen wird er finalisiert. Wenn alles gut läuft, ist mit einer Wiedereröffnung Ende 2014 oder Anfang 2015 zu rechnen. Ein tolles Restaurant und zwei fantastische Bars sind geplant.

Reichen 100 Millionen Franken für die Renovation?
Das ist Privatsache des Investors. Es wird sich wohl um eine Summe in ungefähr dieser Höhe handeln.

Bleibt Zürich ein guter Markt? Wenn das Banking schrumpft, könnte auch der Zürcher Geschäftsreisemarkt leiden. Davor habe ich nun wirklich gar keine Angst.Was macht Sie so sicher?
Weil Kempinski weltumspannend tätig ist, habe ich auch weltweite Bankenkontakte. Effizienz im Bankengeschäft ist Gold wert. Und da, glauben Sie mir, kommt niemand an die Effizienz der Schweizer Banken heran. Niemand.

Das Kempinski-Projekt in Pyongyang wurde sistiert. Weshalb?
Heikles Thema. Durch die aktuelle Verschärfung der Situation in Nordkorea gelten Uno-Sanktionen, die wir nicht umgehen können – auch wenn es eine fantastische Chance gewesen wäre. Wir sind seit 27 Jahren in China tätig, wir sahen dort den ganzen Wandel. Auch Nordkorea wird sich irgendwann öffnen.

Der Hotel-Bauherr, Samih Sawiris’ Bruder Naguib, scheint aber am Projekt weitermachen zu wollen.
Dazu kann ich nichts sagen. Solange Sanktionen bestehen, die uns weitere Geschäfte ganz klar verbieten, müssen wir die Zelte leider abbrechen und warten. Wenn es wieder möglich sein sollte, wird auch Nordkorea wieder zum Thema.

Ob Zürich oder Pyongyang: Was macht ein Hotel erfolgreich?
Man muss mit dem richtigen Produkt am richtigen Ort sein – zum richtigen Preis. Erfolgreich wird man erst, wenn ein Hotel lokal verankert ist. Das passiert vor allem durch seine Restaurants. Wenn man – pardon – «Schlangenfrass» serviert, dann schadet das auch dem Bankettgeschäft. Innovatives Food-und-Beverage-Management ist der Schlüssel zur lokalen Integration. Ist das einmal geschafft, zieht man auch ortsfremde Gäste an.

Zimmer rentieren aber besser als Hotel-Restaurants.
Da haben Sie recht. Die Brutto-Profitmargen liegen beim Zimmergeschäft etwa doppelt so hoch wie bei den Restaurants. Aber mich interessieren Zahlen eigentlich gar nicht so sehr.

Das müssen Sie genauer erklären.
Im brasilianischen Salvador geriet ich einmal in eine missliche Situation, hatte plötzlich ein Messer am Hals und einen Revolver am Kopf. Ich war vollkommen paralysiert und hatte nur einen Wunsch: Weg mit Messer und Revolver, please!

Was hat das mit Zahlen zu tun?
Wer nur mit Zahlen im Kopf auf seine Leute losgeht, setzt ihnen quasi den Revolver an den Kopf. Wer im Luxusgeschäft seine Leute so behandelt, sorgt dafür, dass sie ihren Fokus verlieren: Luxusdienstleistungen erbringen, Glück verkaufen. Dann sind sie nur noch auf Zahlen fixiert und reduzieren alles, was Kosten verursacht. Kommt dazu: Wenn ich Zahlen analysiere, werden sie nicht besser. Sie bleiben so, wie sie sind.

Kauft Ihnen das Ihr Investor auch ab?
Nun, wir haben 2012 für Kempinski ein Ebitda von 20 Millionen Euro erreicht. Wenn ich meinem Hauptaktionär sage, dass er nächstes Jahr 25 Millionen erhält, dann ist ihm egal, wie wir das schaffen. Wenn es nicht drinliegt, sage ich, 25 gehen nicht, aber ihr kriegt 22. Ich muss das dann einfach gut erklären.

Ohne Analyse laufen die Kosten aus dem Ruder.
Am Ende des Tages interessieren sich unser Hauptaktionär, die Immobilienbesitzer und unsere Hotelmanager nur für eine Zahl: Wie hoch ist der Profit? Mit Cost Cutting erreicht man in unserem Geschäft nichts. Derzeit forciere ich intern ein Projekt namens «Beyond Budgeting». Weg mit den dicken Schinken, die versuchen, ein Budget zu planen. Das geht nicht. Das Unternehmertum unserer General Manager muss es richten.

Sie reisen sehr viel herum und haben schon 170 Länder besucht.
Um genau zu sein: 173.

Wo sind Sie eigentlich zu Hause?
Zu Hause ist man dort, wo die Menschen leben, die einem lieb sind. Ich wohne in Paris.

Öfters aber hört man, dass Sie im Samsonite wohnten.
Das sagte meine Mutter tatsächlich früher oft. Obwohl es mittlerweile eher ein leichteres Gepäckstück von Rimowa ist. Auf jeden Fall wohne ich in Paris. Aber meistens bin ich unterwegs, zwei-, dreimal pro Woche sitze ich in einem Flugzeug.

Wie führen Sie die Firma? Per SMS?
Ich spreche ständig mit den Leuten. Unsere 76 General Manager müssen wie unabhängige Entrepreneurs funktionieren. Sie müssen ihr Hotel führen, als wäre es ihr eigenes – und haben dann Zugang zu Gruppen-Infrastruktur, etwa Reservationssystemen oder E-Commerce.

Sprechen Sie täglich mit Ihren 76 General Managern?
Nein. Wir haben in Peking einen Präsidenten für Asien. Einen weiteren in Dubai für den Nahen Osten, Afrika und Indien. Der Rest sitzt am Hauptsitz in Genf. Mit diesen drei Orten bin ich per Handy permanent in Kontakt. Vier- oder fünfmal täglich telefoniere ich mit unserem Chief Operating Officer. Ich will, dass wir in der Firma einen Dialog führen. Wir sind alle per Du, «Herr Wittwer» höre ich ganz selten. Dann haben wir einmal im Monat eine weltweite Telefonkonferenz, da sind mittlerweile tausend Leute am Draht. Jeder kann sich einbringen.

Tönt nach einer Kakofonie.
Überhaupt nicht. Das Gespräch dauert eine halbe Stunde, maximal 40 Minuten. Ansonsten würde man die Zuhörer verlieren. Ich bestreite jeweils die Einführung und den Schluss.

Wie erspüren Sie Talente im Unternehmen?
Bei Kempinski ist es die Aufgabe der Hoteldirektoren, ihre Talente zu identifizieren. Alle drei Monate erhalte ich einen Talent-Report, der mir aufzeigt, was der einzelne General Manager dafür tut. Er muss jeden Angestellten mit Gastkontakt im Blick haben und antizipieren, ob der heutige Kofferträger ein künftiger Frontoffice Manager sein könnte. Hat der clevere, galante Kellner das Zeug zum Food-und-Beverage-Manager? Zusätzlich betreiben wir eine monatliche Talentplattform. Da sprechen die General Manager miteinander. «Du, ich habe da eine prima Fachkraft, aber wenn die keine andere Herausforderung erhält, wird sie die Firma verlassen. Könntest du sie nehmen?»

Eine Menschenbörse?
Ja, das könnte man so sehen. Vielversprechende Nachwuchskräfte werden intern vermittelt.

Der Top-Hotelier
Der Zürcher Reto Wittwer (64) ist CEO und Präsident der ursprünglich deutschen Hotelgruppe Kempinski. Weltweit gehören 76 Luxushotels zum Unternehmen, das sich zur Mehrheit im Besitz des thailändischen Crown Property Bureau befindet. Wittwers Laufbahn begann an der Hotelfachschule in Lausanne. Vor seinem Start 1995 bei Kempinski war er unter anderem CEO der Swissôtel-Gruppe und Geschäftsführer der Ciga Hotels, die heute unter dem Namen The Luxury Collection firmieren. Der Kempinski-Hauptsitz befindet sich in Genf. 

Andreas Güntert
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