BILANZ: Alan Greenspan, der fast 20 Jahre Chef der US-Notenbank war, hat den Untergang des Euro vorausgesagt.

Robert Mundell: Ich wünschte, er hätte das nicht gesagt.

Weil es falsch ist?

Es war auf jeden Fall die falsche Nachricht nach aussen. Greenspan hat schon öfter falsche Ratschläge erteilt.

Er scheint in Ihrer Meinung nicht sehr hoch zu stehen.

Im Gegenteil: Er ist einer der besten amerikanischen Notenbanker aller Zeiten.

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Immerhin.

Es ist wertvoll, seine Meinung zu hören. Auch jetzt, denn es braucht immer heulende Wölfe, die radikale Dinge sagen. Es gibt ja auch echte Probleme. Aber Notenbanker wie Alan Greenspan sind keine guten Propheten. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass sie miserabel darin sind, Preise zu prognostizieren.

Was passiert also mit dem Euro?

Natürlich könnte der Euro zugrunde gehen, wenn nichts getan wird, es gibt viele Risiken. Die Schuldzinsen für Griechenland steigen höher und höher. Wir sind in einer Krise, aber das heisst nicht, dass alles gleich den Bach runtergeht. Krisen sind Chancen zur Veränderung. Europa muss sich verändern.

Wie?

Der Euro ist ohne echte europäische Regierung eingeführt worden, ohne eine Regierung der Eurozone, ohne eine fiskalpolitische Autorität mit Zähnen. Das ist die grosse Schwäche des Euro.

So gross, dass der Euro untergehen kann.

Es hätte keinem Staat in der EU gestattet werden dürfen, mit bereits hohen Schulden noch jährliche Staatsdefizite von über drei Prozent des Bruttoinlandproduktes einzufahren. Griechenland kann seine Probleme nicht mehr alleine lösen. Niemand glaubt ernsthaft, dass das Land jemals alle seine Schulden zurückbezahlen kann. Italien dagegen muss seine Probleme selber lösen.

Das Land ist zu gross, um von der EU gerettet zu werden.

Ohne die Intervention der Europäischen Zentralbank wären die Schuldzinsen, die Italien bezahlen muss, schon auf 7 oder 8 Prozent gestiegen, während andere Länder der Eurozone 3,5 oder 4 Prozent bezahlen müssen. Da bis zum Stadium der Krise gewartet wurde, wird Premierminister Silvio Berlusconi drakonische Massnahmen ergreifen müssen – doch das sehen weder er noch die Menschen in Italien bis jetzt klar. Der Staat wird nicht nur dort kürzen müssen, wo Staaten kürzen, wenn ihnen gesagt wird, sie müssten jetzt Budgets kürzen.

Wo kürzen die Regierungen denn meistens?

Es wird bei nötigen staatlichen Dienstleistungen gespart: bei Bildung, Schulen, Abfallwesen etc. Das gibt Aufruhr im Volk. Dann kann die Regierung sagen, dass das Volk kein weiteres Sparprogramm mehr akzeptiere. Dabei spart die Regierung einfach am falschen Ort.

Wo sollten Regierungen sparen?

Die echten Probleme müssen angegangen werden. In Italien und auch in vielen anderen Ländern haben die Regierungen für ihre Klientel die staatlichen Dienstleistungen enorm ausgebaut. In Italien sind die Pensionen unglaublich hoch, 70 Prozent des letzten Lohns werden als Pension bezahlt. Das ist viel zu hoch, die meisten anderen Länder haben 40 oder 50 Prozent. Da muss Italien kürzen. Zudem muss das Pensionierungsalter erhöht werden. Wenn Italiener heute im Durchschnitt 82 Jahre alt werden, dann ist es lächerlich, dass sie schon mit 62 in Pension gehen. Das Pensionierungsalter muss auf mindestens 67 Jahre erhöht werden, wie in den USA.

Das wird Widerstand geben.

Das geht nicht über Nacht. Italien muss einen Plan haben, den Markt damit überzeugen. Es geht einfach nicht so weiter wie bisher. Es muss ein Umfeld geschaffen werden, das Jobs kreiert.

Wie?

Europa muss die Produktivität steigern, den Output, es muss mehr gearbeitet werden.

Auch hier wird es Widerstand geben.

In Notsituationen kann das durchgesetzt werden. Wenn das Defizit gesenkt wird, der Staatshaushalt ausgeglichen ist, dann kann man sich auf die Schulden des Landes konzentrieren. Mit dem Wirtschaftswachstum werden die Schulden im Verhältnis zum Bruttoinlandprodukt jedes Jahr ein, zwei Prozentpunkte geringer. Es wäre natürlich noch besser, wenn der Staat auch Überschüsse machen würde.

Klar, aber ...

Staatsüberschüsse sind eine grossartige Ressource für zukünftige Krisen.

Der Schweizer Staat schreibt Überschüsse, hat gleichzeitig aber auch Probleme: Der Schweizer Franken ist stark gestiegen, was der Exportindustrie enorme Schwierigkeiten bereitet. Was würden Sie der Schweizerischen Nationalbank raten?

Die ganze Welt hat Mitleid mit der Schweiz (schmunzelt). Der Schweizer Franken ist so hart, weil das Land das Gegenteil von Griechenland und anderen Ländern getan hat. Die Schweizer haben wie gute Calvinisten gehandelt, gespart und wirtschaftlich gute Rahmenbedingungen behalten. Darum ist der Franken hart.

Mehr als hart, sogar überbewertet?

Der Franken wird nicht mehr gekauft, weil Investoren dem Schweizervolk Geld leihen wollen, sondern weil die Währung als eine sichere Anlageklasse wahrgenommen wird, ein Substitut für Gold.

Das in amerikanischen Dollars gerechnet auch stark gestiegen ist.

Gold ist viel zu hoch gestiegen, nahe an die Stratosphäre, es ist masslos überteuert, zweieinhalb Mal so viel wert wie vor zwei Jahren.

Sicherheit ist gesucht.

Durch den starken Preisanstieg beim Gold ist das Risiko eines Kurseinbruchs gestiegen. Jetzt wenden sich die Investoren vermehrt sicheren Währungen wie dem Schweizer Franken zu. Und zu einem gewissen Grad wird deswegen auch in den japanischen Yen investiert, weil Japan in der Vergangenheit eine strikte Geldpolitik gezeigt hat.

Würde es der Schweiz helfen, wenn die Schweizer Nationalbank einen fixen Kurs zum Euro definieren würde?

Wenn sie das jetzt machen würde, dann würde sie den Schweizer Franken auf einem sehr hohen Niveau arretieren, einem Niveau, das den Schweizer Franken wahrscheinlich zu hoch bewertet. Ein fixer Eurokurs würde der Schweiz helfen, wenn der Euro weiter fiele, aber was wäre, wenn der Euro stiege, etwa auf 1.60 US-Dollar pro Euro? Dann wäre die Schweiz viel schlechter dran als heute, bei weitem.

Sie würden der Schweiz also von einem fixen Wechselkurs abraten?

Vielleicht könnte der Franken später, wenn sich die Lage in Europa beruhigt hat, an den Euro gebunden werden. Aber die Eurozone ist jetzt in einer Krise. Und es ist nie gut, seine Währung an eine andere zu binden, die in einer Krise ist, wenn man nicht weiss, was passieren wird.

Trotzdem propagieren Sie sogar den Weg hin zu einer einzigen Weltwährung.

Eine globale Wirtschaft braucht eine globale Währung. Währungskursfluktuationen bringen sonst viel Instabilität in das System. Alle grossen Finanzkrisen der vergangenen Jahre wurden durch Wechselkursschwankungen verstärkt, wenn nicht gar verursacht.

Zum Beispiel?

Die Krise jetzt: In der zweiten Hälfte des Jahres 2008 stieg der Dollar um 30 Prozent gegenüber dem Euro, der Goldpreis fiel um 30 Prozent, und der Ölpreis sackte von 144 auf 33 Dollar ab, ein grosser deflationärer Schock. Grosse Wechselkursfluktuationen führten auch zur Asienkrise im Jahr 1999.

Sie nennen die Weltwährung DEY, der Zusammenschluss aus Dollar, Euro und Yen.

Das sind die bedeutendsten Währungen der Welt. Die Kraft einer Währung bemisst sich nach dem Bruttoinlandprodukt, das in einer Währung erwirtschaftet wird. In Dollars und Euros werden 55 Prozent des Weltbruttosozialproduktes erwirtschaftet. Die beiden Währungen sollten sich als Erstes aneinanderbinden. Später würde der Yen miteingebunden. Sämtliche andern Währungen sollten sich an den Währungskorb aus Dollar, Euro und Yen anlehnen, was eine Weltwährung ergeben würde. Man könnte noch diskutieren, ob in den Währungskorb auch noch Gold und das britische Pfund aufgenommen werden sollten.

Eine radikale Idee in der heutigen Zeit. Die Meinungen gehen eher in die Gegenrichtung.

Die Idee einer Weltwährung war schon im Jahr 1944 vorhanden: Bancor war der Name der Währung, die John Maynard Keynes vorschlug, Unitas hiess sie im Vorschlag von Harry Dexter White. Alle würden von einer Weltwährung profitieren.

Wieso haben wir dann nicht längst eine Weltwährung?

Das hängt damit zusammen, dass es in den meisten Demokratien eine starke Tendenz zu kurzfristigem Denken gibt.

Die Politikerinnen und Politiker denken vor allem an die nächsten Wahlen.

Und das Volk hat nicht die Möglichkeit, Verantwortlichkeit für die längere Frist einzufordern. Langfristiges Denken ist einer der Vorteile einer Monarchie.

Monarchie?

Niemand mag die Monarchie. Aber sie war nie so schlecht, wie die Leute glauben. Eine Monarchie gibt dem Land eine Langfristperspektive. Wenn eine Monarchie sich verschuldet, dann hat quasi der König Schulden. Und er hat nicht nur seine Lebenszeit als Langfristperspektive, sondern seine Dynastie, generationenübergreifend. Die Langfristperspektive wird also sehr wichtig.

Sie sehen die Monarchie sehr romantisch.

Ich möchte nicht vorschlagen, die Monarchie wieder einzuführen. Aber das soll illustrieren, dass es politische Systeme braucht, welche die langfristige Perspektive fördern. Jedes Land, das sich zu einer puren Demokratie entwickelt, hat die Tendenz, die Ausgaben zu erhöhen. Und niemand kümmert sich um die Schulden, die dabei entstehen.

Gibt es denn gar keine Institution in Europa, die eine Langfristperspektive einbringen kann?

Jean-Claude Trichet mit einer achtjährigen Amtszeit als Chef der Europäischen Zentralbank (EZB) kommt einer Monarchie am nächsten. Mit der EZB hat er die Langfristperspektive, keine Inflation zuzulassen und das Wohl von Euroland im Auge zu behalten.

Derzeit kauft er Staatsanleihen von maroden Ländern.

In der jetzigen Situation ist es richtig, dass er eine wenig zurückhaltende Geldpolitik betreibt. Es ist hart, ihn dafür verantwortlich zu machen. Wenn die Staaten so viele Schulden angehäuft haben, muss er eine expansivere Geldpolitik betreiben.

Kann er damit die Probleme der Eurozone in den Griff bekommen?

Die EZB kann die Fiskalprobleme von Italien und anderen Ländern nicht lösen.

Was halten Sie von Eurobonds?

Ich bin derzeit nicht dafür. Sobald griechische, spanische und andere zweifelhafte Schuldner dahinterstehen, wären die Zinsen, die dafür bezahlt werden müssten, nicht mehr bei 3,5 Prozent, die Deutschland derzeit bezahlen muss, sondern vielleicht bei 5 Prozent.

Mit der Ausgabe von Eurobonds würden griechische Staatsanleihen gesichert.

Die müssen zuerst ihr Staatsdefizit in den Griff bekommen. Eurobonds lösen das Problem nicht. Wenn jetzt Eurobonds kreiert werden, dann starten die mit einem ganz schlechten Image. Ich bin nicht gegen Eurobonds, aber es wäre besser, sie erst nach der Krise zu lancieren, damit sie mit einer guten Reputation starten können.

Welche Sofortmassnahmen braucht es denn?

Zuerst braucht es Liquidität, um das Solvenzproblem der betroffenen EU-Staaten in den Griff zu bekommen. Es muss Geld zur Verfügung gestellt werden, aber lieber nicht mit Eurobonds.

Und dann?

Die Staaten müssen verantwortlich gemacht werden können. Die Staatsdefizite müssen weg. Es braucht einen Finanzminister der Eurozone, der kontrollieren und sich auch durchsetzen kann. Die Regierung der EU muss auch gestärkt werden. Vielleicht sollte sie gar das Recht bekommen, eine Steuer zu erheben.

Noch eine Steuer?

Ja, vielleicht fünf Prozent, die erhoben werden, als Reserve für spezielle Situationen, etwa solche Krisen. Europa muss eine Fiskalautorität haben.

Wie lange würde es gehen, diese Massnahmen umzusetzen?

Es könnte 50 Jahre dauern. Ich bin nicht der Richtige, um diese Frage zu beantworten. Ich sage Ihnen, warum: Im Jahr 1969 präsentierte ich den Europäern einen Plan für eine gemeinsame Währung. Danach wurde ich gefragt, wie lange es dauern würde, den Plan zu implementieren. Ich sagte, da gäbe es einige technische Probleme, es würde mindestens drei Wochen dauern (lacht). Es hat dann drei Dekaden gedauert. Es braucht halt vor allem politischen Konsens. Den bräuchte es auch, um die Lösungsvorschläge für die Krise umzusetzen.

Der politische Konsens könnte zu spät kommen.

Das kann auch schnell gehen: Im Jahr 1786 sah niemand die Möglichkeit, dass die USA entstehen könnten. Aber ein Jahr später war der Konsens da.

Ist ein schneller Konsens in Europa möglich?

Wenn man einen guten Plan hat und Leadership, dann könnten die Lösungsvorschläge für die Krise der Eurozone innert eines Jahres umgesetzt werden – wenn die bestehenden Institutionen mit mehr Kompetenzen ausgestattet würden. Das wäre ein Schritt Richtung United States of Europe. Wahrscheinlich sollte diese Bezeichnung nicht verwendet werden, vielleicht eher Commonwealth of Europe, ein etwas freundlicherer Ausdruck.

Der Währungsexperte: Robert Mundell (78) wurde 1999 der Nobelpreis für seine Arbeiten über Wechselkurse, Geld- und Fiskalpolitik verliehen. Er beschäftigte sich insbesondere mit offenen Wirtschaftssystemen. Laut Mundell werden viele globale Wirtschaftskrisen von Währungsfluktuationen mindestens mitverursacht. Deshalb spricht er sich dafür aus, den Weg zu einer globalen Währung zu gehen. Als Erstes sollten Euro und Dollar aneinandergebunden werden.