In der Schweiz assoziieren wir Schmuck aus Lateinamerika nicht selten mit Bildern folkloristischer Amulette und Souvenirs. Doch damit liegen wir ähnlich falsch wie jene Ausländer, die glauben, in der Schweiz trügen alle Männer eine kleine goldene Kuh im Ohrläppchen. In den USA und natürlich in Lateinamerika selbst sind die grossen Schmuckmarken Brasiliens längst anerkannt und werden mit Namen wie Tiffany und Cartier verglichen.

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Mit H. Stern kommt dieses Jahr Brasiliens grösster und bekanntester Schmuckhersteller an die Basler Messe, wo er auch eine neue Uhrenkollektion präsentieren wird. Bisher vertrieb H. Stern seine Kollektionen ausschliesslich in den eigenen Boutiquen, von denen es weltweit immerhin etwa 160 gibt. Nun überlegt man sich in Rio nicht nur die Eröffnung eines weiteren Flagship Stores in der Schweiz, sondern auch die Zusammenarbeit mit Detaillisten, die auch andere Marken im Sortiment führen. Die Schweiz ist für H. Stern allerdings nicht gänzliches Neuland. Bereits 1970 entwarf die Marke aus Rio de Janeiro ihre erste Armbanduhr und gewann damit prompt den «Grand Prix de la Ville de Genève», eine beachtliche Leistung, wenn man bedenkt, dass dort in der Regel vor allem Heimspiele ausgetragen werden.

Hans Stern, der Gründer der Marke, war gerade 17, als er und seine Eltern 1939 kurz vor Ausbruch des Krieges Deutschland verlassen mussten. «Wir sind jüdischen Ursprungs und meine Familie wollte ganz einfach nicht in einem dieser Öfen enden», formuliert es sein Sohn Roberto heute mit einem lakonischen Unterton. Er stieg 1991 beim Konzern ein und führt das Geschäft heute gemeinsam mit seinem Vater.

Die Familie war ursprünglich nach Brasilien emigriert, weil Hans’ Grossvater mit dem schon früher ausgewanderten Landschaftsarchitekten Roberto Burle Marx verwandt war, und dieser ihnen das Visum für Brasilien besorgte. Mit 18 begann Hans bei einem Edelsteinhändler zu arbeiten und interessierte sich bald für die brasilianischen Steine mit ihren lebhaften Farben. Auf seinen zahlreichen Einkaufsreisen durchs Land lernte er die Herkunft der Steine kennen, ihre Eigenschaften, aber auch die Menschen, die sie zu Tage förderten und bearbeiteten. 1945 gründete er sein eigenes Unternehmen, das nicht nur mit Edelsteinen handelte, sondern daraus auch Schmuck fertigte.

Ein Herz für Steine

Als er 1951 vom Präsidenten eines lateinamerikanischen Staates den Auftrag erhielt, ein wertvolles Collier aus Aquamarinen zu fertigen, kam der Durchbruch. Das prächtige Stück, das damals 22000 Dollar wert war, machte aus der kleinen Firma mit einem Schlag eine bekannte Grösse. Hans Stern hat für die lange als minderwertig eingestuften Farbsteine wie Aquamarin, Topas und Smaragd eine ähnlich wichtige Rolle gespielt wie Harry Winston für den Diamanten. Sein Herz schlug für diese Steine, die er wie kein anderer bewerten konnte. Er erkannte aber auch die Wichtigkeit des Tourismus und begann, den Hauptsitz in Rio für geführte Gruppen zu öffnen, was seither vielen Besuchern die Arbeit der Steinschleifer und Goldschmiede näher gebracht hat. 1958 gründete er das erste gemmologische Institut Lateinamerikas, nachdem er zwei Jahre zuvor sogar zum Ehrenbürger der Stadt Rio ernannt worden war.

Zwei unter einem Hut

Roberto Stern, einer seiner vier Söhne, hatte lange keine Lust verspürt, ins väterliche Unternehmen einzusteigen. Er studierte Wirtschaft und arbeitete in so unterschiedlichen Bereichen wie Werbung und Möbelproduktion. Als er mit 24 Jahren doch noch bei seinem Vater anfing zu arbeiten, musste er sich sein Wissen zunächst am Gemological Institute of America (GIA) und im Hauptquartier in Rio erarbeiten. Hans Stern, anfangs hoch erfreut über die Unterstützung durch seinen Sohn, musste allerdings bald feststellen, dass Roberto andere Visionen für die Marke hatte als er. Die Kunst bestand nun darin, beides unter einen Hut zu bringen. Während für Hans Stern seine geliebten Steine stets das zentrale Element und die «Raison d’être» für ein Schmuckstück darstellten, sah Roberto in ihnen die Statisten, die sich, ebenso wie auch das verwendete Edelmetall, voll und ganz dem Design unterwerfen müssen. Dass beides auf keinen Fall kombinierbar ist, war beiden klar, und so kommt es, dass es heute im Hause Stern zwei verschiedene Schmucklinien gibt. Beide unterscheiden sich aber auch grundlegend von allem, was sonst auf dem Markt geboten wird, und sind eindeutig als H. Stern identifizierbar.

Der junge Stern hält nicht viel davon, Kollektionen von auswärtigen Designern entwerfen zu lassen und deren Namen als Verkaufsargument zu verwenden. Er verlässt sich auf das Können und das Gespür des eigenen langjährigen Teams, das eng mit den Goldschmieden zusammenarbeitet. Um doch in regelmässigen Abständen zu immer wieder neuen Kollektionen zu kommen, hat er sich etwas anderes einfallen lassen. Er lädt Kunstschaffende aus anderen Bereichen ein, den Designerinnen und Designern einen Einblick in ihr eigenes Schaffen und ihre Arbeitsweise zu gewähren, was nicht nur neue Inputs gibt, sondern auch enge Freundschaften und interessante Synergien. So entstand aus der Partnerschaft mit dem brasilianischen Musiker Carlinhos Brown eine sinnliche Schmuckkollektion, die sich an den improvisierten Kopf- und Halsschmuck des Künstlers anlehnt, den dieser aus Stroh selbst anfertigt. Unter Mitarbeit der Designer Fernando und Humberto Campana schuf das sechsköpfige Team eine Kollektion voller Anspielungen an so profane Dinge wie Wellpappe oder Hanfseile. Die Modegestalterin Costanza Pascolato inspirierte die Goldschmiede zu Schmuckstücken, welche den Formen natürlich geschliffener Steine und Pflanzen nachempfunden sind.

Klebstoff! Unerhört!

Robertos unorthodoxe Methoden bereiteten nicht bloss seinem Vater Schwierigkeiten. Auch die Goldschmiede und Steinschleifer mussten umdenken. Besonders Letztere sahen sich immer häufiger gezwungen, Dinge zu tun, die bis anhin als Sakrileg gegolten hatten. Da die Form des Steins dem Design Folge zu leisten hat, wird er nicht selten asymmetrisch geschliffen, ja, für manche Halsketten werden die Steine ganz einfach durchbohrt, damit sie frei von jeglicher Fassung aufgefädelt werden können. Bei einigen Stücken kommt sogar Klebstoff zur Anwendung, etwas, das Steinfasser geradezu unerhört finden. Dennoch, auch Roberto liebt die Steine. Er ist davon genau so beseelt wie sein Vater. Doch für ihn liegt ihr Reiz in ihrer Einmaligkeit, weshalb er ihre vermeintlichen Defekte, wie Farbnuancen und Einschlüsse, geradezu zelebriert.

Obschon Hans Stern über die Eskapaden seines Sohnes zuweilen den Kopf schüttelt, hat er sich damit arrangiert, denn der internationale Erfolg gibt ihm Recht. Innerhalb der Firma hat Hans Stern natürlich noch immer ein gewichtiges Wort mitzureden, und seine Art, Schmuck zu gestalten, lebt ebenfalls weiter. Dieser wird nach wie vor mit Vorliebe von Touristen gekauft, sowohl in den Hauptgeschäften in Rio und Sao Paolo als auch in den zahlreichen H. Stern Shops in den brasilianischen Flughäfen.

Timm Delfs ist freier Journalist in Basel.

Typisch brasilianisch

Mit Roberto Stern sprach Timm Delfs in Rio.

BILANZ: Sie haben das Design des H.- Stern-Schmucks grundlegend verändert, als Sie ins Geschäft Ihres Vaters einstiegen. Weshalb?
Roberto Stern: Das hat mich mein Vater auch gefragt. Besonders deshalb, weil der ursprüngliche Stil von H. Stern sich ja sehr gut verkaufte. Ich kann es aber nicht mit mir vereinen, etwas zu verkaufen, das mir selbst nicht zusagt.

Wie hat Ihr Vater darauf reagiert?
Anfangs war er nicht besonders erbaut. Irgendwann hat er gesagt: «Ich verstehe es zwar immer noch nicht, aber es scheint sich zu verkaufen.» Seither akzeptiert er, was ich tue.

Wem gehört die Firma H. Stern?
Sie gehört unserer Familie – nein, das stimmt nicht ganz, sie gehört meinem Vater.

Nennen Sie Produktions- und Umsatzzahlen?
Solange wir nicht an der Börse kotiert sind, geben wir keine Zahlen bekannt.

Was ist brasilianisch an Ihrem Schmuck?
Die Leute, die bei uns arbeiten, sind alle mit Leib und Seele Brasilianer, obwohl sie ihre Wurzeln in den verschiedensten Ländern haben. Es ist diese Vielfältigkeit, die unseren Schmuck für dieses Land typisch macht. Die verschiedenen Ethnien und das Klima haben eine Mischung von Menschen hervorgebracht, die sich anders bewegen und anders kleiden als sonstwo. Die Menschen hier sind sehr sinnlich. Und das ist unser Schmuck auch. Dabei ist es wichtig, Sinnlichkeit nicht mit Anzüglichkeit zu verwechseln. Natürlich sind auch unsere Steine und deren Farben typisch brasilianisch.

Gibt es Elemente bei den Produkten und beim Unternehmen, die auf Ihre deutschen Ursprünge hinweisen?
Ja: Die Qualität, in der wir produzieren, und die Organisation der Firma.

Wo wird Ihr Schmuck hergestellt und wie viele Mitarbeiter beschäftigen Sie?
Abgesehen von den Uhren, die aus der Schweiz kommen, produzieren wir ausschliesslich in Brasilien. Wir haben Werkstätten im Stammhaus in Rio sowie in Sao Paolo. Einige Arbeiten lassen wir aber auch von Partnern ausführen. Fertige Produkte wie Ketten beziehen wir von Spezialisten, zum Teil aus Italien. In Brasilien beschäftigen wir 2300, weltweit 3000 Mitarbeiter.

In welcher Preisspanne bewegt sich Schmuck von H. Stern?
Schmuck gibt es ab etwa 100 Dollar, nach oben ist die Skala offen.