Sechs Kennzeichen, an denen Sie unterbewertete Aktien erkennen

Warren Buffett ist mit der Fundamentalanalyse zu einem der reichsten Menschen der Welt geworden. Sein Rezept ist, konsequent nach Aktien zu suchen, deren Kurs unter ihrem inneren Wert liegt. So findet er an der Börse immer wieder Schnäppchen-Titel, deren Preis günstig ist im Vergleich zu dem, was ein Unternehmen erwirtschaftet, verdient oder an Werten besitzt. «Den Franken für 50 Rappen kaufen» ist zugespitzt das Rezept des sogenannten Value-Investings, bei dem es darum geht, unterbewertete Titel ausfindig zu machen, diese zu kaufen und darauf zu warten, dass die Bewertungen wieder auf eine faire Höhe steigen. Das tönt einfach, ist in der Realität aber oft komplex und anspruchsvoll. Denn einerseits gibt es eine Vielzahl an Kennzahlen, die man aufgrund von Grössen wie Marktwert, Umsatz, Gewinn, Dividende und so weiter errechnen kann. All diese Kennzahlen können eine Vorstellung davon vermitteln, was ein Unternehmen wert sein kann. Doch oft ist das Bild uneinheitlich oder sogar widersprüchlich. Anderseits beruhen solche Kennzahlen auf Daten der Vergangenheit und auf Schätzungen von Analysten. Die Zukunft aber kann völlig anders sein, als man es aufgrund der vergangenen Entwicklung absehen kann. Investoren haben oft VorurteileZu den Schwierigkeiten kommt, dass die Börse immer wieder von Marktstimmungen und Trends bestimmt ist, die irrational erscheinen und zu scheinbar unsinnigen Bewertungen von Aktien führen. Die Verhaltensforschung zeigt, dass Entscheidungen von Investoren oft von einer Reihe von Vorurteilen geprägt sind. In sogenannten Bullenmärkten spielt die Gier eine zentrale Rolle, in Bärenmärkten dagegen die Panik. Ob die vermeintlichen Schnäppchen zu den Werten zurückfinden, die man als angemessen errechnet hat, ist darum oft ungewiss. Dennoch: Wenn man Aktien nicht einfach blind kaufen will, ist es gut, etwas über den Zustand der entsprechenden Unternehmen in Erfahrung zu bringen. Zumindest einige Kennzahlen sollte man darum im Blick behalten, wenn man Investitionsentscheide trifft. Kennzahlen sagen etwas über die Vergangenheit aus – und möglicherweise eben doch auch etwas über die Zukunft. Die «Handelszeitung» stellt hier sechs Bewertungskennzahlen vor. Es sind die wichtigsten und bekanntesten Zahlen, die relativ einfach errechnet werden können. 1. Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV)Das KGV wird errechnet, indem man den Aktienkurs durch den Gewinn pro Aktie dividiert. Es ist die gängigste Kennzahl, die besagt, wie viele Jahre es dauert, bis der Preis einer Aktie durch die Gewinne des Unternehmens bezahlt ist. Betragen beispielsweise der Kurs 100 Franken und der Gewinn pro Aktie 5 Franken, so ist das KGV 20. Beim Gewinn wird oft der geschätzte Gewinn im nächsten oder übernächsten Jahr herangezogen. Je tiefer das KGV ist, desto günstiger bewertet ist die Aktie. Ein Titel mit einem KGV von unter 10 gilt als günstig, ein solcher von über 20 als überteuert. Die typische Höhe der Kennzahl hängt allerdings stark von der Branche ab. Der Vorteil des Kurs-Gewinn-Verhältnisses ist, dass es sich einfach ausrechnen lässt. Umgekehrt bietet das KGV lediglich eine Momentaufnahme. Ob sich ein Aktienkurs positiv entwickelt, weil er momentan tief ist, ist unsicher. Die Aussagekraft des KGV ist auch eingeschränkt, weil ein Unternehmen den ausgewiesenen Gewinn durch buchhalterische Massnahmen beeinflussen kann. Auch eine Aktie mit hohem KGV kann eine gute Kaufgelegenheit bieten – etwa bei Unternehmen, die sich in einer starken Wachstumsphase befinden und bei denen in Zukunft noch weit höhere Gewinne in Aussicht stehen. Umgekehrt kann ein tiefes KGV auch bedeuten, dass die Wachstumsaussichten schlecht sind. Unbrauchbar ist das KGV bei Unternehmen, die keinen Gewinn machen. ► Beispiel* KGV 2021: Adecco 13; SGS 30,3 2. Kurs-Gewinn- Wachstum- Verhältnis (KGWV)Das KGWV errechnet sich, indem das Kurs-Gewinn-Verhältnis zusätzlich durch das jährliche Gewinnwachstum des Unternehmens in Prozent geteilt wird. Hat ein Unternehmen zum Beispiel ein KGV von 12 und ist der Gewinn in den letzten Jahren um durchschnittlich 15 Prozent pro Jahr gewachsen, so beträgt das KGWV 0,8. Bei einem KGWV von unter 1 gilt eine Aktie als unterbewertet, bei einem solchen von über 1 als überteuert. Das Kurs-Gewinn-Wachstum-Verhältnis wurde eingeführt, weil es Unternehmen gibt, die zwar ein hohes KGV haben, deren Gewinn aber stark wächst. Solche Unternehmen können darum trotzdem eine gute Kaufgelegenheit bieten. Die Kennzahl ist allerdings mit Vorsicht zu geniessen. Das KGWV war die Modekennzahl der New Economy. Sie ersetzte zwischen 1999 und 2003 das KGV fast vollständig und machte auch aus Unternehmen mit einem sehr hohen KGV ein scheinbares Schnäppchen. Beim Platzen der Dotcom-Blase wurden dann viele gutgläubige Anleger abgestraft. Das künftige Gewinnwachstum ist zudem nur schwer aus demjenigen der Vergangenheit ableitbar. Unternehmen, die bei guter Konjunktur den Eindruck von Wachstumswerten machen, können sich in einer Rezession als zyklisch erweisen. Darum sollte man bei der Anwendung des KGWV gut prüfen, ob sich das Gewinnwachstum in die Zukunft fortschreiben lässt. ► Beispiel KGWV 2021 (Wachstum über 3 Jahre): Bucher 0,5; Schindler 4,4 3. Kurs-Buchwert-Verhältnis (KBV)Das KBV wird errechnet, indem der Aktienkurs durch den Buchwert pro Aktie geteilt wird. Der Buchwert besagt, was die Substanz eines Unternehmens wert ist, also etwa seine Immobilien, seine Maschinen und sein Inventar. Der Buchwert entspricht vereinfacht gesagt dem Wert des Unternehmens, wenn der Fall der Liquidation eintritt. Beträgt der Aktienkurs beispielsweise 32 Franken und der Buchwert pro Aktie 8 Franken, so ist das KBV 4. Ein KBV von unter 1 bedeutet, dass eine Aktie unter ihrem Substanzwert gehandelt wird. Das kann ein Kaufsignal sein. Ein KBV von über 1 bedeutet, dass eine Aktie fair bewertet oder überteuert ist. Der Vorteil des KBV ist, dass der Wert auch dann positiv ist, wenn das Unternehmen Verluste schreibt. Der Buchwert eines Unternehmens ist weniger flatterhaft als sein Gewinn, darum ist das KBV tendenziell stabiler. Vor allem bei Börsencrashs kann die Marktkapitalisierung eines Unternehmens unter seinen Buchwert fallen, und genau dort hoffen Investoren, die entsprechende Aktie zu kaufen. Man muss sich aber in jedem Fall vergewissern, dass das Unternehmen dann nicht in existenzbedrohenden Schwierigkeiten steckt. Einschränkend gilt, dass der Buchwert leicht beeinflusst werden kann und von der Bilanzierungsmethode abhängt. ► Beispiel KBV aktuell: Credit Suisse 0,5; Vontobel 2,2 4. DividendenrenditeDie Dividendenrendite ist das Verhältnis der Dividende (Gewinnausschüttung) pro Aktie und dem Aktienkurs, in Prozent. Beträgt der Aktienkurs beispielsweise 60 Franken, und die Dividende pro Aktie 2 Franken, so ist die Dividendenrendite 3,33 Prozent. Dividendenrenditen über 3 Prozent gelten als gut, solche über 5 Prozent als sehr gut. Man kann die Dividende als eine Art Zins auf den Betrag ansehen, den man für die Aktie eines Unternehmens ausgibt. Die Dividendenrendite entspricht dann dem Zinssatz. Entsprechend gilt ein Unternehmen mit einer hohen Dividendenrendite als attraktiv. Eine regelmässig hohe Dividende bringt dem Aktionär nicht nur entsprechende Einkünfte, sie deutet auch auf einen stabilen und ertragsreichen Geschäftsgang des Unternehmens hin. Die Dividendenrendite gibt zwar keinen direkten Hinweis auf den Wert eines Unternehmens, kann aber zum Vergleich von dividendenzahlenden Aktien verwendet werden. Es gibt aber auch Unternehmen, die mit einer hohen Dividende von betriebsinternen Schwierigkeiten abzulenken versuchen. In diesem Fall kann die Gewinnausschüttung die Substanz des Unternehmens beeinträchtigen. Die Dividendenrendite kann auch hoch sein, weil der Aktienkurs tief ist. In diesem Fall sind die Gründe für das mangelnde Interesse von Investoren zu eruieren. ► Beispiel Dividendenrendite aktuell: Adecco 5,4 Prozent; Geberit 2,2 Prozent 5. Kurs-Umsatz-Verhältnis (KUV)Beim KUV wird der Aktienkurs durch den Umsatz pro Aktie dividiert. Beträgt der Aktienkurs beispielsweise 40 Franken und der Umsatz pro Aktie 35 Franken, so ist das KUV 1,14. Das KUV drückt aus, wie viele Jahre das Unternehmen braucht, um durch seine Erlöse allein (unter Ausklammerung der Aufwendungen) seine aktuelle Marktkapitalisierung zu erreichen. Bei einem KUV unter 1 gilt eine Aktie in der Regel als unterbewertet. Das KUV bietet eine Ersatzbewertung bei Unternehmen, die derzeit keinen Gewinn machen und bei denen darum das KGV nicht definiert ist. Es kann sich um Unternehmen handeln, die einen zyklischen Geschäftsgang haben, die sich in einer Turnaround-Phase befinden, oder um junge Unternehmen, die noch Anlaufverluste machen. Da das KUV von Sektor zu Sektor sehr verschieden ist, eignet sich dieses Verhältnis eigentlich nur dazu, Unternehmen derselben Branche zu vergleichen. Einschränkend gilt, dass der Umsatz allein nicht allzu viel besagt. Er bildet nur ab, was hereinkommt. Ausgaben, Aufwendungen und Kosten bleiben unberücksichtigt. Bei einem Unternehmen mit attraktivem KUV, das aber keinen Gewinn macht, gilt es genau abzuklären, ob das Unternehmen die Aussicht hat, bald wieder in die Gewinnzone zu kommen. ► Beispiel KUV 2021: Ems-Chemie 10,3; Sika 2,6 6. Akquisitionswert pro Ebitda (EV/Ebitda)Der EV/Ebitda ist das Verhältnis zwischen dem Akquisitionswert (Enterprise Value, EV) und dem Ebitda, dem Gewinn vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen. Der Akquisitionswert entspricht dem Betrag, den es kostet, das Unternehmen zu erwerben und alle seine Schulden zu bezahlen. Er entspricht der Summe aus Marktkapitalisierung und Nettoverschuldung. Beträgt der Akquisitionswert 40 Milliarden Franken und der Ebitda 2 Milliarden Franken, so ist der EV/Ebitda 20. Je tiefer das Verhältnis ist, desto günstiger ist die entsprechende Aktie zu haben. Diese Kennzahl bildet eine Art Erweiterung des KGV, das ja das Verhältnis zwischen Marktkapitalisierung und Gewinn eines Unternehmens ist. Beim EV/Ebitda wird zusätzlich das Fremdkapital (beziehungsweise die Verschuldung) einbezogen. Aus dem Ebitda werden sowohl die Eigenkapitalgeber (durch Dividenden) entschädigt, als auch die Fremdkapitalgeber (durch Zinsen). Der Vorteil ist, dass der Ebitda durch buchhalterische Massnahmen weniger beeinflusst werden kann als der Gewinn. Im Vergleich zum KGV ist der EV/Ebitda schwieriger zu berechnen. Zudem muss der Marktwert des Fremdkapitals (Verschuldung) geschätzt werden. ► Beispiel EV/Ebitda 2021: Belimo 25,4; Bucher 8,8 *Quelle aller Daten: Bloomberg