BILANZ: Wie beurteilen Sie das Vorsorgesystem in der Schweiz?

Bert Rürup: Konzeptionell halte ich dieses System für eines der besten der Welt. Die drei Säulen bieten eine sinnvolle Mischung aus staatlicher, betrieblicher und individueller Vorsorge, bei der im Durchschnitt 40 Prozent der Altersrenten aus der umlagefinanzierten AHV und knapp 60 Prozent aus kapitalgedeckten Systemen stammen.

Was macht die Schweiz besser als etwa Deutschland?
Die obligatorischen Betriebsrenten sind ein Pluspunkt. Auch hat Deutschland erst vor weniger als zehn Jahren begonnen, die kapitalgedeckten Systeme auszubauen.

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Wird das System dem Wandel der Gesellschaft gerecht?
Die Unabhängigkeit der AHV von der Form der Erwerbstätigkeit und das Heranziehen aller Quellen des Volkseinkommens zur Finanzierung der Alterseinkommen sind grosse Vorteile.

Wo sehen Sie Handlungsbedarf?
Die hohe Mindestverzinsung in der beruflichen Vorsorge kann zu spekulativen Anlagen zwingen. Statt diese vorzuschreiben, sollten die obligatorischen und staatlich geförderten kapitalgedeckten Systeme regulatorisch besser gegen Kapitalmarktrisiken abgesichert werden. Sicherheit muss vor Rendite gehen. Hier könnte die Schweiz von Deutschland lernen, denn eine Untersuchung der OECD hat gezeigt, dass die Betriebsrenten in der Schweiz stärker von der jüngsten Finanzkrise getroffen wurden.

Was halten Sie vom Trend zu mehr individueller Vorsorge und von der Übertragung der Kapitalmarktrisiken auf die Kunden?
Ich halte es für bedenklich, wenn die Politik dazu Hand bietet. Altersvorsorgesparen zielt auf ein möglichst sicheres lebenslanges Alterseinkommen ab und ist deshalb etwas anderes als die Bildung disponiblen und gegebenenfalls vererbbaren Vermögens. Ich gebe zu, diese Unterscheidung hat sich weder in der Schweiz noch in Deutschland überall durchgesetzt.

Muss der Einzelne mehr für seine eigene Vorsorge tun?
Die Bemühungen, individuelles Sparen und Altersvorsorgesparen gleichzusetzen und dies zu propagieren, sind problematisch. Da kaum jemand seine individuelle Lebenserwartung kennt, kann man die Altersvorsorge, also die Gewährleistung eines lebenslangen Alterseinkommens, nur in einem Versicherungskollektiv effizient betreiben.

 

Der 67-jährige deutsche Wirtschaftsprofessor Bert Rürup war bis 2009 Mitglied des Sachverständigenrates der fünf «Wirtschaftsweisen» und einflussreicher sozialpolitischer Berater der Bundesregierungen. Danach war er kurze Zeit Chefökonom der Swiss-Life-Tochter AWD und führt seit 2010 mit AWD-Gründer Carsten Maschmeyer die Beratungsfirma MaschmeyerRürup. Am 9. Mai referiert er an der Tagung Wirtschaft–Demografie–Altersvorsorge vom Europa Forum in Luzern.