Kurt W. Zimmermann
Der langjährige Medienmanager und Inhaber der Consist Consulting AG in Zürich über Kommunikation und Medien. E-Mail: kurt.zimmermann@consist.ch

Sommer und Winter unterscheiden sich, wenn wir die meteorologischen Finessen einmal ausser Acht lassen, nur in zwei lebenswichtigen Punkten: Im Sommer gibt es viel mehr Parkplätze als im Winter, anderseits gibt es im Sommer viel weniger Nachrichten. Verfügbare Parkplätze und verfügbare News verhalten sich also umgekehrt proportional zueinander.

Parkfelder müssen nicht zwingend gefüllt werden, Zeitungsspalten aber schon.

Dieser Zwang führt dazu, dass im Sommer die Erfindungskraft der Journalisten ungleich härter gefordert ist. In den kalten, aber fetten Wintermonaten hingegen reihen sich Bundesratsrücktritte, Skisprung-Medaillen und Sammelklagen quasi Tag für Tag kontinuierlich und automatisch aneinander.

Vor diesem Hintergrund ist das so genannte mediale «Sommertheater» zu verstehen. Das Sommertheater ist der alljährliche, dringlich benötigte Lückenfüller der toten Nachrichtenzeit. Die Benennung aus dem Schauspielumfeld stammt daher, weil sich das Sommertheater an Shakespeares «Viel Lärm um nichts» anlehnt. Dieses Jahr ging der Theaterpreis zweifelsfrei an die «Bild»-Zeitung, welche die Privatflüge mit staatlichen Bonusmeilen von Gregor Gysi und Kollegen zum Dauerthema mit entsprechendem kollektivem Lemming-Effekt in allen anderen Medien machte.

Die private Bereicherung von Politikern und Managern gilt als das ideale Libretto zwischen Juni und September. Nur in der Sommerhitze kann sich eine kleine private Vorteilsnahme zur landesweiten öffentlichen Empörungswelle auswachsen. Wer gerade erst in Rimini oder Marbella für ein winziges Pils acht Euro liegen liess, reagiert besonders gereizt auf Freiflüge und Freibier ansonsten unbescholtener Politiker.

Im letzten Sommer ereilte diese Systematik den ähnlich unbescholtenen Bündner Regierungsrat Peter Aliesch. Sofern wir uns richtig erinnern, hatte seine Frau einen Occasions-Nerzmantel von einem überaus gemeingefährlichen Grossbetrüger namens Panagiotis Papadakis angenommen. Das löste natürlich sofortige Rücktrittsforderungen aus. Ein Jahr später stellen wir fest, dass sich die enorme Gemeingefährlichkeit des Grossbetrügers Papadakis auch darin zeigt, dass wir seitdem nur noch ein paar wenige Zeilen über ihn gelesen haben.

Nachrichten, so lehrt uns das Sommertheater, sind in hohem Masse dem Faktor Timing unterworfen – wie Parkplätze. Wer wenig Substanzielles zu sagen hat und dennoch auf hohe Resonanz abzielt, tut dies folgerichtig im Sommer. Die SP Schweiz hat das eben eindrücklich vordemonstriert. Am 6. August des Jahres 2002 trat sie mit der ebenso belanglosen wie obskuren Absicht an die Öffentlichkeit, in Brüssel die Patentierung eines BRCA1-Gens anzufechten. Schon war sie auf allen Titelseiten.

Der unbestrittene Champion dieser Schaumschläger-Klasse war der ehemalige FDP-Präsident Franz Steinegger. In den letzten Jahren schaffte er es als einziger Politiker gleich zweimal, persönlich ein nachhaltiges Sommertheater loszutreten. Im Juli 2000 trieb er mit dem Vorschlag, die AHV-Grenze auf 67 Jahre anzuheben, die dankbaren Medien zu Höchstleistungen an. Ein paar Sommer zuvor hatte er mit dem losen Wort von der «Humanitätsduselei» bereits alle Immigrationspolitiker wochenlang auf die Drittwelt-Palme gebracht.

Meist stellt sich die Frage indessen umgekehrt: Man möchte eine Nachricht eben gerade nicht sommerlich aufblasen, sondern lieber unter den Tisch kehren. Die normale Nachricht ist ja die schlechte Nachricht. Nehmen wir also an, in einer Unternehmensbilanz hat sich unerwartet ein Millionenloch aufgetan, das nur mit Notverkäufen zu decken ist. Und nehmen wir zudem an, der Chef des Unternehmens gilt sowieso als Ausbund an Privilegien.

Wem diese Kombination im Sommer widerfährt, der ist geliefert. Die einzige Möglichkeit zur Schadensbegrenzung besteht noch darin, die ungute Nachricht am Tag vor einem Feiertag bekannt zu machen, um zumindest die zeitungsfreie Zone des folgenden Tages zu nutzen. Dann kann man zumindest hoffen, dass in den nächsten 24 Stunden ein medial rettendes Unwetter die ganze Schweiz unter Wasser setzt oder zumindest eine amtierende Bundesrätin beim Wandern die Haxe bricht.

Martin Ebner wählte für sein Communiqué folgerichtig den Tag vor dem 1. August aus. Doch kein Unwetter half ihm aus der Patsche. Der nachrichtendürre Sommer hatte ab dem 3. August auch in der Schweiz sein Dauerthema gefunden. Die Aufregung hielt sich auch in diesem Fall ans bewährte Prinzip: Es war – wie bei Gysi, wie bei Aliesch – eine Art Revanchismus der Unterprivilegierten, der das wochenlange Sperrfeuer munitionierte.

Ebner hätte nur am 24. Dezember eine Chance gehabt.
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