Privatanleger sollten griechische Staatsanleihen kaufen! Diese bieten hohe Zinsen, und das Risiko eines Zahlungsausfalls ist gering. Dazu folgende Überlegung: Deutschland kann sich zu drei Prozent Geld leihen, Griechenland hingegen muss sechs bezahlen. Würde sich der deutsche Staat jetzt neues Geld leihen und verliehe es an Griechenland weiter, gäbe das eine Marge von drei Prozentpunkten. Deutschland könnte den Griechen das Geld sogar für nur fünf Prozent geben. Zinsgewinne für Deutschland und billigerer Kredit für Griechenland, eine Win-win-Situation?

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Die Frage ist eine Provokation für Ökonomen, nicht nur weil die Zinsen für Deutschland wegen des griechischen Risikos leicht stiegen. «Der Maastricht-Vertrag verbietet das sogar», sagt Klaus Wellershoff, der langjährige UBS-Chefökonom, inzwischen mit eigener Beratungsfirma. Artikel 125 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union hält fest, dass die EU oder EU-Staaten nicht für Verbindlichkeiten eines anderen EU-Staates haften und nicht für derartige Verbindlichkeiten eintreten dürfen. Und auch die Europäische Zentralbank (EZB) darf nicht eingreifen, denn Artikel 123 verbietet es.

Böses Kürzel. Aber: Regeln sind zum Brechen da, vor allem in der EU. Selbst Deutschland hält sich nicht ans Maastricht-Kriterium von maximal drei Prozent Haushaltsdefizit. Portugal, Italien, Irland, Griechenland und Spanien, die PIIGS-Staaten (ein zugegebenermassen böses Kürzel, das bei Barclays Capital intern verboten wurde), liegen sowieso weit darüber.

Wieso also nicht ein weiteres Mal Regeln brechen? Das passierte bereits, als am 11.  Februar dieses Jahres die Staats- und Regierungschefs der Eurozone zu Griechenland folgende Erklärung abgaben: «Die Mitgliedstaaten der Eurozone werden falls nötig entschlossene und koordinierte Massnahmen ergreifen, um die finanzielle Stabilität der ganzen Eurozone zu bewahren.» Damit habe die EU ihre Bonität implizit auf Griechenland transferiert, und das stehe im Widerspruch zum Hilfsverbot des Maastricht-Vertrags, schreibt Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank, in einer Analyse.

Hilfe ist also trotz Hilfsverbot implizit schon versprochen worden. Aber braucht Griechenland überhaupt Hilfe, ist denn das Land schon bald pleite? «Nein», sagt Gertrud Traud, Chefvolkswirtin und Leiterin Research bei der deutschen Landesbank Helaba. «Griechenland muss im Vergleich zu Deutschland rund drei Prozentpunkte höhere Schuldzinsen bezahlen, das ist keine Katastrophe.» Vor der Aufnahme in die Währungsunion lag der Zinsaufschlag für Griechenland oft bei fünf und mehr.

Anleger sind mit den griechischen Anleihen also auf der sicheren Seite. Sollte Griechenland irgendwann die Schuldzinsen doch nicht mehr zahlen können, wäre die EU wohl trotz allen Hilfsverboten gezwungen, ihrem impliziten Hilfsversprechen Taten folgen zu lassen. Einen Grund dafür benennt Ulrich Kater, Chefvolkswirt bei der deutschen DekaBank: «Ein Bankrott Griechenlands würde eine Unsicherheit ins europäische Bankensystem bringen, die nicht steuerbar wäre.» Alleine deutsche Banken sind mit Krediten von 45 Milliarden Franken in Griechenland exponiert, schreibt die «New York Times». Und die Verflechtung der Banken mit griechischen Krediten dürfte weiter steigen.

Da nämlich weder EU-Staaten noch die EZB direkt eingreifen dürfen, geschieht es eben indirekt: Europäische Banken kaufen griechische Staatsanleihen, die sie dann ihrerseits der EZB als Sicherheit für eigene Kreditaufnahmen hinterlegen. Der Clou dabei: Die Banken bekommen vom griechischen Staat über sechs Prozent Zinsen, für die Kredite bei der EZB bezahlen sie aber nur ein Prozent.

Statt dass der deutsche Staat eine Zinsmarge von zwei oder drei Prozentpunkten erhält, machen so die Banken ein gutes Geschäft. Die letzte griechische Anleihe ist denn auch auf sehr grosse Nachfrage gestossen. Laut dem Nachrichtendienst Reuters wurden den Griechen Kredite von total elf Milliarden Euro angeboten, obwohl sie nur fünf Milliarden wollten. Ein Fünftel der Käufer kamen aus Grossbritannien, 14 Prozent aus Deutschland.

Die Nachfrage nach griechischen Staatsanleihen dürfte hoch bleiben. Deswegen müssen sich Privatanleger wohl wenig Sorgen machen, dass deren Kurse einbrechen.

Die EU wird Griechenland nicht bankrottgehen lassen. Nicht nur wegen der Angst vor einem Bankenkonkurs-Domino, sondern wegen eines viel grösseren Dominos: Fällt Griechenland, könnte als Nächstes Portugal kippen, dann Irland, Spanien und Italien. Sie alle sind stark verschuldet und erwirtschaften hohe Defizite – bieten aber noch weniger hohe Zinsen und sind für Anleger deswegen noch nicht so interessant.

Dieses Schreckensszenario würde die EU im Notfall wohl veranlassen, den Griechen zu helfen. Schliesslich geht es bei Griechenland nur um fünf Prozent des Eurozonen-Schuldenbergs. Hier kann die EU noch retten. Bei Italien ginge es dann um 1800 Milliarden Euro, ein Viertel der gesamten Eurozonen-Staatsschulden. Das wäre der Untergang. Spekulanten versuchen den Euro mit diesem Szenario unter Druck zu setzen. Einen Währungskollaps sieht Wellershoff aber nicht, ganz im Gegenteil: «In der Krise hat die Währungsunion genau so funktioniert, wie es sich deren Erfinder vorstellten. In dem Sinn hat sich der Euro bewährt», sagt er.

Die Währungsabwertung gegenüber dem Dollar sei einfach damit zu erklären, dass sich die Wirtschaft in den USA viel schneller erholt habe als in der Eurozone. Wellershoff sieht den fairen Wert des Euro sogar noch tiefer, als er heute schon ist, bei 1.25 Dollar – nicht wegen der Angst vor besagtem Dominoeffekt, sondern wegen der Kaufkraftparität.

Riesenbedarf. Also alles nur Schreckgespenste der Spekulanten, die mit der Angst Geld verdienen wollen? Nein, so einfach ist es auch wieder nicht. Die Zahlungsunfähigkeit von Griechenland dürfte zwar nicht eintreten und auch nicht der Dominoeffekt. Aber es bleibt ein gewaltiger Finanzierungsbedarf der Staaten weltweit. Die paar Milliarden, die der Inselstaat braucht, sind dabei Nebensache. Es geht hier um ganz andere Grössenordnungen: Insgesamt über 4000 Milliarden Franken müssen die EU und die USA dieses Jahr refinanzieren, das haben Bank of America Merrill Lynch und Morgan Stanley berechnet. Das ist mehr als alles Geld, das bei Schweizer Banken parkiert ist – immerhin ein Viertel aller grenzüberschreitenden Privatvermögen.

Die 4000 Milliarden sind wahrscheinlich nur zu beschaffen, indem man die Anleger mit höheren Zinsen zum Kauf von Staatsanleihen motiviert. Das allgemeine Zinsniveau – vor allem die langfristigen Zinsen – dürfte also nicht nur in Griechenland steigen, sondern in den meisten Staaten der EU und in den USA.

Die höheren Schuldzinsen müssten die Staaten dazu bewegen, ihre Ausgaben einzuschränken. Genau so, wie jetzt Griechenland dazu genötigt ist. Das scheint sogar das griechische Volk einzusehen. Auch wenn jetzt viel von Streiks und Protesten zu hören ist, scheint dies nur eine laute Minderheit zu sein. Eine repräsentative Umfrage im Land hat ergeben, dass drei Viertel des Volks den harten Regierungsmassnahmen zustimmen.