Es war ein eifriges Schulterklopfen an jenem regnerischen Montagabend Mitte Oktober in Zürich. Der Vortrag in der bis auf den letzten Platz gefüllten Aula der Universität wurde mit viel Applaus bedacht. Danach ging es zum Dinner im kleinen Kreis ins Zürcher Zunfthaus zur Saffran. Umringt von Honoratioren aus der helvetischen Wirtschaft und Politik, fühlte sich Josef «Joe» Ackermann (54), seit Mai Chef der Deutschen Bank, sichtlich wohl.

Der Ausflug in die Schweizer Heimat dürfte den Topbanker zumindest eine Weile von den Problemen an der deutschen Bankenfront abgelenkt haben. Dort hat der seit dem Sommer verschärfte Einbruch der Börsen die Krisenstimmung geschürt (siehe Kasten «Wacklige Giganten» auf Seite 63). Was mit Spekulationen über mögliche Gewinnwarnungen (Deutsche Bank), Massenentlassungen (Dresdner Bank) und hohe zweistellige Kurseinbrüche (HypoVereinsbank) begonnen hatte, fand seinen Höhepunkt in den Gerüchten um einen drohenden Liquiditätsengpass des Konkurrenten Commerzbank, den die Bankverantwortlichen indes umgehend dementierten.

Während Medien und Experten unisono eine veritable Existenzkrise heraufbeschwören, wiegeln Exponenten aus Politik und Wirtschaft ab. Commerzbank-Chef Klaus-Peter Müller vermutet hinter den Negativschlagzeilen gar ein abgekartetes Spiel von Londoner Medien und Finanzkreisen, die den deutschen Finanzplatz gezielt schädigen wollten.

Nicht erwähnt hat Müller, dass es einer der Ihren war, der den Briten Munition für die Attacken gab. Ackermann höchstpersönlich war es, der am Fund-Meeting des Internationalen Währungsfonds im September in Washington das Wort «Bankenkrise» in die Welt setzte, indem er der Aussage von Bundesbank-Präsident Ernst Welteke, es gebe keine Bankenkrise in Deutschland, offen widersprach. Eine Tatsache, welche die «Financial Times» genüsslich aufgriff.

Die Konkurrenz war verärgert. «Da war sich Ackermann seiner Verantwortung nicht bewusst», sagt ein hoher Vertreter aus Münchner Finanzkreisen.

Gut möglich aber, dass Ackermann schlicht das Wohl seines eigenen Instituts über dem Gesamtwohl der Branche gesetzt hat. Denn mit einer schonungslos offenen Darlegung der Krisensituation kann Ackermann intern den Druck für Sanierungsmassnahmen zusätzlich erhöhen.

Einengender Pakt mit Gewerkschaften
Seit dem Amtsantritt von Ackermann im Mai hat sich die Situation bei der Deutschen Bank weiter zugespitzt. Das Investment-Banking liegt fast gänzlich am Boden. Die Millionengehälter für die unterbeschäftigten Starbanker lasten auf den Budgets. Kritiker bemängeln, dass das von Ackermann bereits eingeleitete Sparprogramm – er will die Kosten bis Ende 2003 um zwei Milliarden Euro senken – nicht genügen werde. An allen Ecken und Enden sinken die Erträge trotz Sparprogramm schneller als die Kosten.

Ungünstig wirkt sich in dieser Situation aus, dass Ackermann durch einen Deal mit den Gewerkschaften seinen Handlungsspielraum eigenhändig verengt hat. Nach einem Meeting Ende Juli in Frankfurt mit 70 deutschen und europäischen Betriebsräten hat sich Ackermann das Zugeständnis abringen lassen, über die bisher angekündigten Arbeitsplatzreduktionen nicht hinauszugehen, und zwar bis Ende 2003. Nach 14 500 abgebauten Jobs soll Schluss sein. Ziel war es laut «Wirtschaftswoche», Ruhe in die Bank zu bringen und die immer noch 84 500 Mitarbeiter nicht durch weitere Abbauprogramme zu verunsichern.

Schon kurz nach dem Handshake mit den Gewerkschaftern musste Ackermann Kritik einstecken. Er habe sein Image als knallharter Sanierer verloren, schrieb die «Welt am Sonntag», Ackermann galt plötzlich als weich gespült.

Entspannt sich die Marktklage nicht, könnte Ackermann tatsächlich in die Zwickmühle geraten. Hält er sich an sein Versprechen, droht er bei der Sanierung ins Stocken zu geraten. Andere Institute haben sehr flexibel auf die im Sommer dramatisch verschärfte Finanzkrise reagiert, John Mack von CS First Boston etwa mit einem Abbauprogramm um bis zu 1750 Mitarbeiter – zusätzlich zu den bereits angekündigten 4500.

Hält Ackermann sich nicht daran, verspielt er das Vertrauen – bei den Beschäftigten, aber auch bei den in Deutschland immer noch sehr mächtigen Betriebsräten. «Wir werden Herrn Ackermann an seinen Worten messen», sagt Rolf Vreden, Betriebsratsvorsitzender in der Zentrale Frankfurt der Deutschen Bank. Einen Vertrag über den Abbaustopp gebe es zwar nicht, aber alles sei protokollarisch festgehalten, betont Vreden.

Sich aus der Verantwortung zu stehlen, wenn sich bei einem Deal die Voraussetzungen ändern, ist Ackermann als Nummer eins nicht mehr möglich. Das ist für den smarten Schweizer Banker neu: Als Nummer zwei der Deutschen Bank konnte er im Hintergrund bleiben, als die von ihm bekämpfte Fusion von Deutscher Bank und Dresdner Bank platzte; sein Vorgänger Rolf Breuer hatte den Flop nach aussen zu verantworten. Jetzt ist es Ackermann persönlich, der den Betriebsräten sein Wort gegeben hat. «Als Nummer eins muss man hinstehen», sagt ein Insider, «wie Ackermann damit umgeht, muss er noch beweisen.» In seiner bisherigen Karriere konnte Ackermann meist im Windschatten anderer segeln. Als Chef der SKA bis 1996 hatte er CS-Präsident Rainer Gut als klare Nummer eins, bis zu seiner Berufung als Vorstandsvorsitzender bei der Deutschen Bank war es Breuer.

Ungewohnte Rolle als Galionsfigur
Die erwähnten Äusserungen in Washington zur deutschen Bankenkrise seien eines Vorstandschefs der Deutschen Bank nicht würdig, mäkelten Vertreter der Konkurrenz. Gut möglich, dass sich Ackermann in der für ihn neuen Rolle als Galionsfigur noch zurechtfinden muss. Gut möglich aber auch, dass Ackermann das Profil der Galionsfigur in Deutschland neu definiert.

Was ihm denn auch niemand abspricht, ist sein profundes Verständnis fürs Banking und für die Konsequenz, mit der er die Deutsche Bank umbaut. Ackermann rede nicht nur, «er handelt auch – und dies unheimlich schnell», wie Konrad Becker, Bankenanalyst bei Merck Finck, feststellt. Dass Ackermann weniger ein Marketeer als ein Macher ist, hat ihm in Deutschland bereits eine hohe Akzeptanz eingebracht, «und zwar flächendeckend», sagt Martin Peter, Bankenanalyst bei der West LB Panmure.

Das Grundprinzip des Schweizer Topbankers für erfolgreiches Wirtschaften ist einfach: «Hin zum Gewinn, weg vom Wachstum», so Ackermann am Vortrag in Zürich. Nicht Grösse, sondern Profitabilität sei ausschlaggebend. Damit schlägt der Schweizer einen grundlegend anderen Kurs ein, als es sein Vorgänger Rolf Breuer getan hat. Diesem war das Wachstum der Deutschen Bank stets das höchste Ziel. Die Deutsche Bank ist unter Breuers Ägide aber nicht nur gross geworden, sondern auch fett und träge. Das zu ändern, hat sich Ackermann auf die Fahne geschrieben. Wichtig ist für ihn, in den zentralen Geschäftsfeldern Retail-Banking, Investment-Banking, Asset-Management und Private Banking die Erträge zu maximieren und den ganzen Ballast, der nicht zum Kerngeschäft der Deutschen Bank gehört, abzuwerfen.

Konzentration auf beste Margen
Die Sanierungsmassnahmen, die sich Ackermann bei Amtsantritt in die Agenda geschrieben hat, sind erfolgreich angelaufen. Das Kostensparprogramm von zwei Milliarden Euro hat er bereits zur Hälfte erfüllt. Von den gestrichenen 14 500 Jobs sind 7800 Jobs aufgelöst. Schon bis Ende Juni wurde zudem ein Grossteil der industriellen und finanziellen Beteiligungen, von denen sich Ackermann im Zuge der Konzentration aufs Kerngeschäft trennen will, verkauft. Gut war auch sein Timing: Der Anteil an der Münchener Rück etwa, der drei Milliarden Euro in die Kassen spülte, wäre heute nur noch rund die Hälfte wert.

Ackermanns Ziel, sich auf den Teil des Geschäfts mit den besten Margen zu konzentrieren, hat er mit dem Verkauf gewinnschwacher Teile bereits teilweise umgesetzt. Das passive Asset-Management-Geschäft wurde an eine amerikanische Bank verkauft. Für das Global-Custody-Geschäft, ein Brocken mit Assets im Wert von über vier Milliarden Euro, ist ebenfalls in den USA ein Käufer gefunden worden. Dies macht wiederum Gelder frei für das ambitionierte Aktienrückkaufprogramm: Ackermann will zur Verbesserung der Eigenkapitalrendite eigene Aktien im Umfang von zehn Prozent – derzeit also rund drei Milliarden Euro – zurückkaufen.

Lauter faule Kredite
Doch mit jedem gelösten Problem kommen derzeit laufend neue hinzu. Zahlreiche faule Kredite belasten die Bank. Die Risikovorsorge, also Rückstellungen für gefährdete Kredite, musste auf über zwei Milliarden Euro erhöht werden. Bei fast allen Krisenfirmen der deutschen Wirtschaft ist die Deutsche Bank als Kreditgeberin aufgetreten: Holzmann, Herlitz, Kirch. Ein unschönes Erbe, das die Vorgänger Ackermann aufgebürdet haben. Gleichzeitig wird die Versicherungsbeteiligung Gerling – die Deutsche Bank hält rund ein Drittel – zum Fass ohne Boden. Das Finanzierungsloch wird immer grösser. Die Deutsche Bank hat schon über 400 Millionen an Kapital nachgeschossen. Erfolglos wird seit einem Jahr versucht, die Beteiligung zu verkaufen.

Konnte Ackermann mit dem Verkauf von Beteiligungen im ersten Halbjahr noch ein gutes Ergebnis ausweisen, so erwarten Marktexperten für das dritte Quartal hohe operative Verluste. Vor allem die Kreditverluste dürften offen gelegt werden.

Plädoyer für absolute Transparenz
Ackermann hat an seinem Vortrag in Zürich möglicherweise schon vorsorglich der Kritik die Spitze brechen wollen, indem er sich gegen das sklavische Starren auf Quartalsabschlüsse aussprach. Die Angst davor, als schlechter CEO dazustehen, wenn ein Quartalsergebnis nicht den Erwartungen der Analysten entspreche, habe mit dazu geführt, den Abschlüssen mit kreativer Buchführung nachzuhelfen, sagt Ackermann und plädiert vor seinem Zürcher Publikum für absolute Transparenz – auch wenn diese wehtue.

Der wachsende Handlungsbedarf im deutschen Bankensektor dürfte als positive Folge haben, dass auch der letzte Mitarbeiter erkennt, wie wichtig die Neuausrichtung des trägen Kolosses Deutsche Bank ist. «Ackermann ist der grösste Glückspilz der Welt», sagt Hans-Jörg Rudloff, Chairman von Barclays Capital, «dank der verheerenden Situation kann er nun Massnahmen ergreifen, die in guten Zeiten kaum zu bewerkstelligen gewesen wären.» Mit der Krise und dem akuten Handlungsbedarf hat Ackermann schlagkräftige Argumente, wenn es darum geht, der berühmt-berüchtigten Pfründenwirtschaft in der deutschen Bankenwelt abzuschwören und seine Massnahmen durchzuboxen. Die Krise eröffnet Ackermann so besehen die Chance, maximale Veränderungen gegen minimale Widerstände durchführen zu können.

Mehr geleistet als seine Vorgänger
Den Startschwierigkeiten zum Trotz geniesst Ackermann intern wie extern immer noch grosses Vertrauen. «Er hat in fünf Monaten mehr gemacht als seine Vorgänger in fünf Jahren», sagt ein Führungsmitglied der Deutschen Bank. Die Kurse der Deutschen Bank sind im Zuge der landesweiten Bankenkrise zwar gesunken, aber deutlich weniger stark als die der Konkurrenz. Die Deutsche Bank ist im Vergleich mit ihren Konkurrenten am besten positioniert. Ackermanns Vision einer «Universalbank neuen Stils», fokussiert auf ein starkes Investment- und Private Banking, hat die Investoren bei der Stange gehalten. Ackermann selber glaubt, dass längerfristig im globalen Bankgeschäft fünf amerikanische, vielleicht zwei schweizerische und eine deutsche Bank den Ton angeben werden. «Wenn wir es nicht schaffen, wenigstens eine globale Bank in Deutschland zu haben, wäre dies von grossem Nachteil für die deutsche Volkswirtschaft», so Ackermann.

Der Weg an die Weltspitze ist noch weit, der Handlungebedarf bleibt gross: Für jeden Euro, den die Deutsche Bank verdient, gibt sie 91 Cent für Personal und Verwaltung aus (zum Vergleich: Bei der UBS sind es 62, bei der CS 69 Cent). Da müssen die Erträge nur wenig schrumpfen, um in die roten Zahlen zu gelangen.

Die Zeit drängt. Ackermann selber glaubt nicht an eine baldige Erholung der globalen Finanzmärkte. Sinkt der Aktienkurs der Deutschen Bank weiter, könnte das Institut zu einem Übernahmekandidaten werden. Schliesslich ist schon bei den heutigen Kursen der Gesamtwert der Bank nicht viel höher als der Wert der Liegenschaften und der verbleibenden industriellen Beteiligungen im Portfolio der Deutschen Bank. Schonzeit gibt es für den Schweizer Banker keine.
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