«The big Zero», nennt US-Starökonom Paul Krugman das vergangene Jahrzehnt, weil die Menschen in seiner Heimat weder glücklicher noch reicher wurden und die Misswirtschaft im Finanzsystem neue, ungeahnte Blüten trieb. Als ob es Enron, WorldCom und die vielen anderen Skandale aus der Zeit der Dotcom-Blase gar nie gegeben hätte. Nichts erreicht und nichts gelernt: Der trostlose Befund hat leider nicht nur für Amerika seine Gültigkeit.

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Nach bald drei Jahren Finanzkrise reiben sich auch in der Schweiz viele Anleger die Augen. Die Kursgewinne auf hiesigen Aktien beliefen sich im vergangenen Jahrzehnt im Durchschnitt gerade mal auf nominell 0,2 Prozent. Schlechter waren nur noch die kriegsgeprägten dreissiger Jahre mit einem Minus von 7,4 Prozent.

Die Euphorie der Roaring Nineties, in denen sich auch hierzulande die Aktienwerte beinahe verfünffachten, müsste ob der Entwicklung der vergangenen Dekade eigentlich längst vergessen sein. Doch in den Köpfen vieler Anleger spukt die gute alte Buy-and-Hold-Strategie munter weiter. Grosszügig übersehen deren Verfechter, dass die damit erzielten tollen Langfristrenditen in den vergangenen 40 Jahren vor allem das Ergebnis zweier aussergewöhnlicher Jahrzehnte waren.

Erfolgsrezept Risiko. Alfred Roelli, Ökonom und Chefstratege der Genfer Privatbank Pictet, ist sich aber sicher: «Für die Anhänger der Buy-and-Hold-Strategie wird die Lage immer prekärer.» Auch sein Institut habe diesen Ansatz lange Zeit vertreten. Doch in der jüngeren Zeit sei man bei Pictet «sehr viel aggressiver» geworden. «Gute Aktienmärkte brauchen ein stabiles politisches Umfeld, und dieses ist bis auf weiteres einfach nicht gegeben», erklärt Roelli den Handlungszwang. Die grossen Volkswirtschaften im Fernen Osten und in Südamerika wie China, Indien oder Brasilien holen mächtig auf und bringen die Weltwirtschaftslokomotive Amerika zunehmend in Bedrängnis. «In einem derartigen multipolaren Umfeld ist es zwingend, dass sich Anleger ständig für einen Wechsel ihres Aktionsfeldes bereithalten», sagt Roelli. «Es wäre geradezu verantwortungslos, den Kunden unter diesen Bedingungen eine Buy-and-Hold-Strategie aufzuschwatzen.»

Rückblickend wäre im Katastrophenjahr 2008 die vollständige Abstinenz die einzige vernünftige Strategie gewesen, die ein Aktieninvestor, egal aus welchem Erdteil, hätte wählen müssen. 2009 war genau das Gegenteil der Fall. Dabei zu sein, war im vergangenen Jahr schon die halbe Miete. Ob Large Caps, Small Caps, Europa, Asien, Südamerika oder Nord-amerika, fast überall warfen Aktienanlagen zweistellige Renditen ab. Und dies nach einem einfachen Muster: je riskanter die Anlage, desto höher der Gewinn.

Jagd auf «Alpha». 2010 wird das Geldverdienen an den Aktienmärkten wieder deutlich schwieriger. Darin sind sich fast alle Anlagestrategen einig. Die meisten prognostizieren mindestens für das erste Halbjahr einen weiteren Anstieg der Kurse und unterstellen, dass sich die Unternehmensgewinne kräftig erholen. Doch dann mehren sich die Risiken für Rückschläge. Die Notenbanken müssen sich von ihrer Nullzinspolitik verabschieden, die Staaten ihre konjunkturstützenden Ausgaben drosseln, und mancherorts dürfte es bereits zu ersten grösseren Steuererhöhungen kommen. Vor diesem Hintergrund sollten «taktische Verlagerungen» in der Vermögensaufteilung in diesem Jahr eine wichtige Rolle spielen, rät Andreas Höfert, Leiter Research bei UBS Wealth Management. Noch ein bisschen akademischer sagt es die Credit Suisse, für die das Jahr 2010 im Zeichen des Wechsels «von Beta zu Alpha» steht.

Man kann es aber auch einfacher sagen: In diesem Jahr geht es vor allem darum, zur rechten Zeit mit den richtigen Aktien in den richtigen Märkten aktiv zu sein. Doch die Jagd nach «Alpha» (der Überrendite, die durch das Setzen von Investitionsschwerpunkten erzielt werden kann) ist tückisch. Zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen belegen, dass eine Mehrheit der Aktienfonds ihren Referenzmarkt nach Abzug der Transaktionskosten langfristig nicht zu schlagen vermag, weil alle Marktteilnehmer zusammen in der Regel eben doch besser informiert sind als ein einzelner Portfoliomanager.

Freilich ist auch die Theorie der effizienten Märkte nicht wasserdicht. Sonst wäre es nicht möglich, dass dividendenstarke Aktien selbst nach Transaktionskosten und bei vergleichbarem Risiko langfristig besser laufen als der Gesamtmarkt. Dieses Phänomen ist in Amerika und Kanada wissenschaftlich «sehr gut dokumentiert», sagt Philipp Finter, Finanzmarktforscher an der Universität Köln. Gegen die Theorie der effizienten Märkte spricht auch die empirisch belegte Tatsache, dass tief bewertete Aktien (Value-Aktien) in schwachen Marktphasen deutlich besser abschneiden als Aktien von Unternehmen mit hohem Gewinnwachstum (Growth-Aktien) und vice versa. Die Frage ist nur, wie ein Investor solche Phänomene für sich ausnützen kann.

Magne Orgland, Leiter Asset Management der Bank Wegelin, vertritt das Konzept des Active Indexing. Seine faktenbasierten Bewertungsmodelle suchen die Welt nicht nach attraktiven Einzelaktien, sondern nach den aussichtsreichsten Märkten ab. Das Konzept nutzt den Umstand, dass die Investorenherde ganze Märkte phasenweise vernachlässigt respektive zu stark favorisiert. Dies eröffnet dem antizyklischen Investor Gelegenheiten zur Generierung von «Alpha».

In der Tat hat die im Jahr 2001 lancierte Active-Indexing-Strategie ihren Benchmark, den MSCI World Index, in sieben von acht Jahren geschlagen. Orgland beziffert die durchschnittliche Überrendite auf 6,0 Prozent pro Jahr. Einzig im Jahr 2008 schnitten die Active-Indexing-Fonds schlechter ab als der Weltindex. Grund dafür sei der Umstand gewesen, dass viele hoch verschuldete Hedge Funds und Grossinvestoren selbst qualitativ gute Vermögenswerte unter den damaligen Stressbedingungen liquidieren mussten, erklärt Orgland. Darunter hätten die damals von Wegelin bevorzugten kleineren Märkte besonders gelitten.

Value-Titel favorisiert. 2009 war die Welt für die Active-Indexing-Fonds aber wieder in Ordnung. Wesentlich dazu beigetragen hat die Value-Selektion, der erste Pfeiler der Active-Indexing-Strategie. Dementsprechend wären zurzeit die Hauptakzente geografisch in Italien, Spanien und Frankreich zu setzen. Komplementiert wird dies durch die Momentum-Selektion, den zweiten Pfeiler. Dabei wird auf Märkte mit einem hohen Gewinnwachstum und einem guten Momentum gesetzt. Gegenwärtig wären dies Märkte wie Singapur und Hongkong, die schon im vergangenen Jahr die beste Performance aufwiesen.

Die Active-Indexing-Strategie kombiniert diese beiden Selektionskriterien, denn welcher Ansatz im Jahr 2010 den besten Ertrag erwirtschaften wird, lässt sich nicht prognostizieren. Fakt ist allerdings, dass die Märkte in Asien derzeit ein hohes Momentum aufweisen und bei der Mehrheit der Anlagestrategen grossen Zuspruch finden.

Nach der Überzeugung von Oliver Dettmann, Spezialist für Aktienstrategien bei der UBS, verfügen Value-Aktien auch in diesem Jahr noch über die besten Aussichten, obwohl sie schon 2009 die höchsten Kursgewinne verzeichneten. Dettmanns Analysen zeigen, dass Value-Aktien im ständigen Wechselspiel mit Growth-Titeln stets dann die beste Performance aufweisen, wenn die Ampeln im Konjunkturzyklus von Rot auf Grün umschalten.

Genau dieser Prozess hat 2009 begonnen und scheint sich nun zumindest in der Erwartung der Marktbeobachter fortzusetzen. Der Analystenkonsens rechnet für dieses Jahr weltweit mit einem durchschnittlichen Gewinnwachstum der Unternehmen von 25 Prozent, gefolgt von 10 bis 15 Prozent im Jahr 2011. Anhand historischer Vergleiche macht Oliver Dettmann geltend, dass die Outperformance der Value-Titel vom Beginn eines neuen Konjunkturzyklus an durchschnittlich bis zu vier Jahre andauern kann, bevor es kurzfristig zu Renditevorteilen für Growth-Titel kommt.

Starke Winterquartale. Dies deckt sich mit wissenschaftlichen Erkenntnissen, nach denen die Value-Strategie langfristig deutlich bessere Resultate bringt als die auf Firmen mit starkem Gewinnwachstum fokussierende Growth-Strategie. Die Dividendenrendite ist eine der einfachsten Kennzahlen, anhand deren ein Investor unterbewertete Aktien aus dem Kurstableau herausfiltern kann. Langfriststudien in Amerika und Kanada zeigen auch, dass die «Dogs of the Dow», wie diese hochrentablen Aktien in den USA schon immer genannt wurden, die Performance des Gesamtmarktes tatsächlich zu schlagen vermögen. Dividenden, die Unternehmen in der Vergangenheit bezahlt haben, sind aber ein ziemlich vages Versprechen für die Zukunft. Anleger sollten deshalb unbedingt auch die erwarteten Ausschüttungen in ihr Kalkül einbeziehen, bevor sie einen Titel kaufen.

Eine bekannte, statistisch zwar oft belegte, aber auch immer wieder angezweifelte Marktanomalie sind die saisonalen Performanceunterschiede an den Aktienmärkten. Getreu dem Motto «Sell in May and go away» setzen Saisonstrategien auf das letzte und das erste Quartal im Jahr, in denen Aktien höhere Kursgewinne einbringen als in den sechs Monaten der Sommerzeit. Goldman Sachs und viele andere haben dieses Muster nachgewiesen. Gemäss einer Untersuchungsreihe der amerikanischen Investmentbank über eine Periode von 30 Jahren ist die mittlere Aktienperformance im Winter doppelt so hoch wie im Jahresdurchschnitt.

Eine naheliegende Erklärung für das Phänomen ist der Reigen der Jahresabschlüsse, der im Frühling den Handel an den Märkten belebt. Zumindest in den ersten drei Quartalen könnte diese Strategie auch im laufenden Jahr aufgehen. Im ersten Quartal treiben die besser als befürchtet ausfallenden Firmenabschlüsse die Börsenerholung weiter an. Doch im Sommer dürften dann die erwarteten Leitzinserhöungen ihre Vorboten schicken und an den Aktienmärkten zu ersten Korrekturen führen. Offen bleibt der Verlauf für das letzte Quartal. Gut möglich, dass der Herbst in diesem Jahr zur berühmten Ausnahme wird, welche die Regel bestätigt. Denn solche Strategien basieren letztlich auf durchschnittlichen Erfahrungswerten, wenn auch inzwischen deutlich besseren als beim passiven «Kaufen und halten».