BILANZ: Haben Sie selber schon einmal eine Mobiliar-Schadenskizze gezeichnet?
Urs Berger:
Noch nicht für eigene Schadenfälle (grinst). Aber wenn ich jemandem unsere Werbung erkläre, der sie noch nicht kennt, mache ich manchmal eine Zeichnung.

Die Werbung mit der Skizze gibt es über zehn Jahre. Viele denken an die Mobiliar, wenn sie kariertes Papier sehen. Als Sie im Mai 2003 hier anfingen, wurde gerade diskutiert, die Kampagne abzusetzen.
An dieser Werbung festzuhalten, war wahrscheinlich einer meiner besten Entscheide bei der Mobiliar.

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Es gibt den Satz: Bei Genossenschaften bekommt der Kunde das Geld, bei AGs der Aktionär. Stimmt die Gleichung?
So wäre es überzeichnet. Aber es hat einen wahren Kern. Bei einer AG ist der Aktionär Eigentümer und wird am Erfolg beteiligt. Dieser wird an der Börse festgelegt. Und an der Börse geht es eben nicht nur um echte Leistung, sondern da ist viel Fantasie drin. Dass eine Firma, die übernahmegefährdet ist, im Aktienwert steigt, ist ein gängiger Marktmechanismus. Dass aber Managergehälter an diesen Aktienpreis gebunden sind und steigen, wenn ihre Firma übernahmegefährdet ist, ist völlig verkehrt.

Was macht die Genossenschaft Mobiliar?
Unsere Politik ist, 50 Prozent des Gewinns den Kunden zurückzugeben. Da sind wir auf bestem Weg. So gesehen muss man sagen: Ihre Gleichung hat etwas. Wir beteiligen unsere Kunden am Erfolg. Dazu sind wir übrigens nicht verpflichtet. Bei uns ist jeder Kunde zugleich Genossenschafter. Bei einer AG gibt es Kunden – und Aktionäre.

Eine Anspruchsgruppe mehr.
Das ist auch für die grundlegende Ausrichtung eines Unternehmens eine ganz andere Situation.

Seit den vierziger Jahren hat die Mobiliar rund 800 Millionen Franken an ihre Kunden ausgeschüttet.
Wirklich?

Das steht in Ihrer Mitarbeiterzeitung «Apropos».
Aha. In den vierziger Jahren war ich noch nicht dabei.

Wie viel davon ist seit Ihrem Antritt geflossen? Sie werben neuerdings offensiv mit dreistelligen Millionenbeträgen …
Rund 440 Millionen. 2001 und 2002 schrieb die Mobiliar rote Zahlen, im Nachgang der Finanzkrise. Daher haben wir nicht in jedem meiner Amtsjahre etwas ausschütten können, sondern erst ab 2005.

Diese Krise hat bei vielen Schlaglöcher hinterlassen.
Bei der Mobiliar wurden zuvor so hohe Kapitalgewinne erwirtschaftet, dass man es verantworten konnte, mit den Kapitalgewinnen negative Ergebnisse im Geschäft mit den Versicherungspolicen zu kompensieren. Dieses technische Geschäft nach der Krise zu sanieren, dauerte dann seine Zeit.

Sie geben den CEO-Posten im Frühjahr ab. Auf die Frage, wer Ihnen nachfolgt, kommen wir später zu sprechen …
… sicher?

Verlassen Sie sich darauf. Was ist Ihr Fazit für die sieben Jahre Ihrer Amtszeit, was haben Sie erreicht?
Ich sage nie «ich», sondern immer «wir».

Okay, dann so: Was wurde erreicht?
Die Statistiken zeigen, dass die Mobiliar unter den grossen Schweizer Versicherern das höchste Wachstum in dieser Zeit erreichte – insbesondere im Bereich der Sachversicherungen liegen wir weit über dem Markt und vor den Wettbewerbern. Wir verlieren zudem weniger Kunden, die Bindung ist gut. Je besser die Kundenbeziehung, umso besser gelingt es im Schadenfall, eine für beide Seiten gute Lösung zu finden.

Die Mobiliar bewirbt sich als «Schadenorganisierer».
Das ist eine Kernkompetenz von uns. Bei uns erhält der Kunde vor Ort bei der Generalagentur Beratung über das Produkt und Hilfe im Schadenfall. Das empfinden die Kunden als grossen Vorteil, das spüren wir.

Bei grossen Schadenfällen?
2005 war das Mattequartier in Bern überschwemmt. Da hat unsere Generalagentur sofort ein Schadenbüro im Quartier eingerichtet, im ersten Stock über dem Restaurant Zähringer. Wir haben Inserate geschaltet, damit die Kunden wissen, wohin sie sich wenden können. Eindrücklich war für mich, dass wir auch viele Leute bedienten, die gar nicht unsere Kunden waren!

Sie können ja nicht die Schäden der Konkurrenten regeln.
Das geht schlecht. Aber einen Schaden erledigen heisst auch, mit dem Kunden zu besprechen, was man sofort konkret anpacken kann. Mit einer Geldüberweisung ist das Wasser ja nicht einfach weg! In der Schadenabwicklung vor Ort haben wir einen hervorragenden Ruf. Und wenn wir selbst die Füsse im Wasser stehen haben, stärkt das noch einmal die Solidarität. In der Matte haben wir heute einen Marktanteil von über 70 Prozent.

Ihre Agentur war überschwemmt?
Ja. Auch Sarnen stand unter Wasser, wir mit. Unten haben unsere Leute Wasser aus dem Keller gepumpt, oben Schäden geregelt.

Hilft die Mobiliar wirklich so unbürokratisch, wie sie betont?
In Sarnen wurden die Geschäftsräume eines Käsehändlers überschwemmt. Deshalb hatte er keine Käsebretter mehr. Unser Schadeninspektor besuchte ihn, schaute sich um, drückte einen Knopf auf seinem Laptop und sagte: Eine erste Zahlung von 200  000 Franken kannst du sofort bei der Bank holen. Über einen Bekannten hat er ihm auch gleich neue Bretter organisiert.

Auch Manager der Konkurrenz attestieren der Mobiliar ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis. Oft allerdings bietet Axa Winterthur niedrigere Preise an.
Stimmt schon – wenn ich unsere Prämien mit denen der Konkurrenz vergleiche, sind wir selten die tiefsten. Wir stellen fest, dass die Versicherten, im Gegenzug für unseren sehr kundennahen Service, bis etwa 10 Prozent Prämiendifferenz akzeptieren. 20 Prozent mehr fände der Kunde nicht mehr gerechtfertigt.

Vor der Mobiliar waren Sie bei der Bâloise.
Die Basler war damals immer wieder Übernahmekandidat, das hat Hektik und Unruhe im Konzern geschaffen. So etwas verunsichert Mitarbeiter, stachelt aber auch an, gut zu sein, sich im Markt behaupten zu wollen.

In Übernahmegefahr ist die Mobiliar nicht.
Uns kann man nicht kaufen. Wir setzen unser Tempo selbst. Was uns antreibt: Wir wollen mindestens so gut sein wie die AGs.

Mit «wir» meinen Sie «ich».
Wir haben keinen vierteljährlichen Druck von der Börse über Quartalsberichte. Das kann dazu führen, dass etwas mehr Lethargie in der Organisation herrscht. Da ist das Management gefordert. Wir müssen Dynamik erzeugen. Und das tun wir.

Sie waren lange Jahre Handballspieler in der Nationalliga A, etwa bei Pfadi Winterthur. Sie waren Kreisläufer. Die gelten als die härtesten Handballer …
… die am meisten prügeln (lacht).

Sind Sie so einer?
Sicher keiner, der gern prügelt. Aber ich bin auch keiner, dem es in der Küche zu heiss wird.

Wo ist bei der Mobiliar die Küche?
Bei den Generalagenturen an der Front. Ich bin in meiner Zeit als CEO viermal durch sämtliche Generalagenturen getourt. Gerade habe ich die vierte Tour beendet.

Und dabei wurde es heiss?
Zuletzt habe ich viel Vertrauen gespürt. Die Generalagenten und ihre Leute wissen, dass wir sie fair behandeln, ernst nehmen und sie brauchen. Und dass wir zusammen Erfolg haben – Erfolg ist immer ein sehr guter Berater.

Das klingt doch gemütlich. War es früher anders?
Ich habe ganz andere Zeiten erlebt. Als wir zwischenzeitlich massive IT-Probleme hatten, wollten mir einige erbost die Kappe putzen. Nur so als Einschub und im Vorgriff auf Ihre Fragen zu meiner Nachfolge, die wir sehr kurz halten werden …

… abwarten!
Heute heisst es bei vielen Generalagenturen: Warum gehen Sie denn schon, jetzt, da es gut läuft und man sich kennt? Da sage ich immer: Sie haben mich ja nicht geliebt, als ich vor siebeneinhalb Jahren angefangen habe.

Sie waren der erste CEO der Mobiliar, der von aussen kam.
Einer meiner ersten Schritte war, die Kosten zu senken und 400 Stellen abzubauen, mehr als zehn Prozent. Dafür hat mich todsicher niemand hochleben lassen.

Und wann kam die Liebe?
Nach und nach, als klar wurde, dass es richtig ist, die Kosten zu kontrollieren. Wir hielten auch nicht krampfhaft am Sparen fest. Heute haben wir wieder ähnlich viele Mitarbeiter wie damals. Bei meinem Abgang werde ich über acht Jahre CEO gewesen sein.

Zu lange?
Nein, aber sicher oberhalb der durchschnittlichen Halbwertszeit. Ich halte es auch für wichtig, dass in einem gewissen Rhythmus auch mal neue Leute mit neuen Impulsen kommen. Ich bilde mir nicht ein, ich sei der Einzige, der das kann.

Sie sind designiert, Präsident des Verwaltungsrats zu werden. Was haben Sie in diesem Amt vor?
In den zurückliegenden sieben Jahren haben wir uns auf das Operative konzentriert. Wir haben Instrumente aufgebaut wie das Risikomanagement, ein neues Berichtswesen für die Finanzaufsicht, neue elektronische Zugangswege für die Kunden. In der nächsten Phase wird mich die Frage beschäftigen: Wie sieht die Mobiliar in zehn Jahren aus?

Woran denken Sie?
Etwa Banken stärker als Vertriebskanal zu nutzen. Auch daran, ob wir alleine bleiben oder operative Verbindungen eingehen.

Also Übernahmen oder eine Fusion?
Zwei Dinge stehen für uns nicht zur Debatte: die Organisation als Genossenschaft und unsere Unabhängigkeit. Aber es gibt diverse Überlegungen, etwas im Bereich Internet zu machen.

Werden Sie es schaffen als Präsident, den nächsten CEO in Ruhe arbeiten zu lassen?
Ja! Zweifeln Sie daran?

Das schaffen nicht viele.
Ehrlich gesagt, diese Frage habe ich mir auch gestellt. Denn wo stehe ich? Ich war 30 Jahre lang operativ tätig, konnte viel Unternehmerisches bewegen. Aber ich bin auch sicher, dass der Wechsel gelingen kann, wenn man den Schritt bewusst geht. Und ich mache diesen Schritt sehr bewusst.

Also, wer wird Ihr Nachfolger?
(Lacht und schweigt.)

Sie wissen es schon?
Nein. Wir sind in der Endphase des Auswahlverfahrens. Zuständig ist der Verwaltungsrat. Den müssten Sie fragen.

Wann wird der Nachfolger bekanntgegeben?
Rechnen Sie damit ab Ende September.

 

Urs Berger, 1951 geboren, studierte in St.  Gallen Ökonomie. Er begann seine Karriere 1978 bei einem Versicherungsbroker. Von 1981 bis 1993 arbeitete er für die «Zürich», danach für die Basler Versicherung. Hier wurde er 1999 Schweiz-Chef und Mitglied der Konzernleitung. Im Mai 2003 übernahm er den CEO-Posten bei der Mobiliar. Berger sitzt in mehreren Verwaltungsräten. Mit seiner Frau Hildegard hat er zwei Töchter und einen Sohn.

Dirk Ruschmann
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