BILANZ: Herr Schenker, fragen Sie Ihre ausländischen Neukunden nach dem Steuerverhalten?

Urs Schenker: Ja.

Besteht nicht für die Anwälte die Gefahr, dass sie in die Rolle des Komplizen geraten?

Genau darum frage ich.

Aber nicht alle Ihre Berufskollegen werden so vorsichtig sein.

Das weiss ich nicht, aber ich würde es jedem anraten, es zu tun. Wir dürfen nicht Mittäter beim Verstecken von Geldern sein.

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Und wenn der Kunde Schwarzgeldgeschäfte betreibt?

Dann berate ich ihn, wie er seine Steuerangelegenheit durch eine Selbstanzeige oder ähnliche Mittel in Ordnung bringt. Es ist eine anständige juristische Aufgabe, ihm die Selbstanzeige zu erklären und für ihn durchzuführen. Denken Sie an den Strafverteidiger: Der hilft dem Klienten nicht dabei, jemanden umzubringen, aber der Kunde hat Anrecht auf Verteidigung.

Und wenn er beim Schwarzgeld bleibt?

Dann ist er eben kein Kunde. Wir werden ihn nicht bezüglich Schwarzgeld beraten, heute gilt die Weissgeldstrategie auch für Anwälte. Das haben wir schon mit sehr vielen Deutschen und Amerikanern gemacht.

Und wie oft beraten Sie Klienten bei einer Selbstanzeige?

Auf dem Höhepunkt waren in unseren Schweizer Büros etwa sieben Anwälte damit beschäftigt.

Das geht alles sehr schnell. Vor drei Jahren erklärte ein Privatbankier noch: «Ich werde meine Kunden nie nach ihren Steuern fragen, nur über meine Leiche!»

Man sollte mit derartigen Aussagen zurückhaltend sein, sie können tatsächlich zu einer Leiche führen. Ich spreche darüber, was heute gilt.

Am Finanzplatz fühlte man sich im Recht. Der Fürst von Liechtenstein sprach von einer «konfiskatorischen Steuerpolitik» in den Hochsteuerländern.

Auch in Hochsteuerländern werden die Steuern demokratisch festgelegt. Diese Staaten haben ein Recht und eine Pflicht, die Steuern gegenüber allen Bürgern in gleicher Weise durchzusetzen. Es gibt kein Menschenrecht auf Steuerhinterziehung.

Der Bürger habe ein Recht, sich zu widersetzen, wenn man ihn über die Hälfte des Jahres für den Fiskus arbeiten lasse, wurde argumentiert. Konrad Hummler von der Bank Wegelin sprach vom «Akt der Notwehr gegenüber einem gefrässigen Staat».

Man vergreift sich am Begriff der Notwehr, wenn man so argumentiert. Noch einmal: Es gibt kein Menschenrecht auf Steuerhinterziehung. Sie können aus einem Staat ausziehen, wenn Ihnen das nicht mehr gefällt.

Würden Sie also auch einen schnellen Kurswechsel zum automatischen Informationsaustausch befürworten, wie ihn jetzt Luxemburg und wohl auch Österreich vollziehen?

Heute sehe ich die Lösung bei den Auskunftsrechten unter den Doppelbesteuerungsabkommen. Bei Verdachtsmomenten erhält der ausländische Staat Auskunft. Der automatische Informationsaustausch widerspricht eigentlich dem Datenschutz. Aber wir müssen anerkennen, dass sich die Welt wandelt – irgendwann wird der automatische Informationsaustausch wahrscheinlich dennoch zum Standard.

Sind Sie nicht überrascht, dass die Offshore-Geschäfte plötzlich offengelegt und weltweit diskutiert werden?

Eigentlich nicht.

Warum nicht?

Im Zeitalter von EDV und Internet ist es schwierig, Geheimnisse zu behalten. Es gibt zu viele Möglichkeiten, Daten zu kopieren und sie elektronisch zu verbreiten. Darum erstaunt es nicht, dass Geheimnisse plötzlich nicht mehr Geheimnisse sind.

Was machen Sie, wenn ein Kunde mit dem Wunsch zu Ihnen kommt, einen legalen Trust einzurichten?

Man muss genau analysieren, ob ein Trust wirklich geeignet ist, und der Kunde muss sich überlegen, ob er einem Dritten tatsächlich so viel Vertrauen schenken will.

Sie meinen dem Treuhänder oder dem Trustee?

Die Gründung eines Trusts bringt Sie immer in die Abhängigkeit vom Trustee – einem Treuhänder, einem Anwalt oder wem auch immer. Hier muss ein echtes und tragfähiges Vertrauensverhältnis bestehen, sonst kann es zu Problemen kommen. Ein Trust ist immer sehr langfristig, da jemand die Dinge über den Tod hinaus regeln will. Und da können Sie schon die Probleme ahnen, die nun drohen. Ich sehe manchmal Familien, die in Truststrukturen regelrecht gefangen sind, weil ein Erblasser das alles einmal in einer bestimmten Art organisiert hat. Manchmal wird aber auch der Trustee sehr selbstherrlich.

Oder noch schlimmer, dass das Trustvermögen Beine bekommt?

Auch das kommt vor. Für solche Streitfälle gibt es ein Spezialgebiet, die Trust Litigation.

Und dann haben Sie wieder Ihren Spass.

(lacht) Nicht wirklich. Es ist ja kein Spass, wenn ein Klient derartige Probleme hat. Ich sage den Leuten, die Trusts oder Stiftungen errichten wollen: Macht nichts Kompliziertes, versucht nicht, die Dinge über drei Generationen hinweg zu regeln. Die Ewigkeit lässt sich nicht planen.

Dann sind Sie wohl auch dagegen, Trusts im Schweizer Recht einzuführen, wie dies Politiker und Privatbankiers fordern.

Ich sehe die Notwendigkeit nicht. Trusts entsprechen weder dem Schweizer Eigentumsrecht noch unserem Erbrecht – sie sind eine Entwicklung des angelsächsischen Rechts und bauen auf diesem auf.

Aber die Banker wollen mit den Angelsachsen gleichziehen, sie wollen die gleichen Instrumente.

Ganz viele erfolgreiche Länder kennen keine Trusts. Deutschland zum Beispiel lebt recht gut ohne. Es widerspricht auch der liberalen Auffassung, dass man für hundert Jahre einen Trust aufsetzt, der das Vermögen für die Familie verwaltet und Erben vom direkten Eigentum ausschliesst – der Erblasser sollte die Hand nicht ewig auf dem vererbten Vermögen halten können.

Wenn das Trustvermögen kaskadenförmig durch weitere Trusts in wieder anderen Jurisdiktionen kontrolliert wird – gleichsam wie russische Babuschkas, die immer weitere Puppenfiguren hervorbringen –, dann ahnen wir ja schon, worum es geht.

Auch Trusts eignen sich nicht dazu, Steuern zu vermeiden. Für das Steueramt gehört das Geld, das in einem widerruflichen, einem «Revocable Trust» platziert ist, immer noch dem Gründer. Das müssen Sie vollständig deklarieren.

Mit dem Namen des Trusts? Oder lediglich das Vermögen?

Eigentlich nur das Vermögen, weil der Trust steuerlich gar keine Rolle spielt. Aber wenn ich das Wertschriftenverzeichnis ausfülle, dann muss ich erklären, warum ich zum Beispiel die Belege über die Nestlé-Aktien nicht vom Konto Urs Schenker, sondern vom Konto des «Schenker Trust» einreiche.

Und unwiderrufliche Trusts, die heute ganz oben auf der Beliebtheitsskala stehen?

«Irrevocable Trusts» können dazu führen, dass der Gründer nichts mehr angeben muss. Dann kommt es aber darauf an, ob der Trustbegünstigte Auszahlungsansprüche hat. Hat er dies, dann muss der Begünstigte das gesamte Trustvermögen im Zeitpunkt der Errichtung des Trusts als Schenkung oder allenfalls sogar als Einkommen versteuern. Und er wird nachher für den laufenden Ertrag und das Vermögen des Trusts besteuert.

Und wie werden beide steuerfrei?

Es gibt noch den «Irrevocable Discretionary Trust», bei dem auch der Begünstigte keinen Anspruch hat. Dabei versteuern weder der Gründer noch der Begünstigte das Trustvermögen und das laufende Einkommen. Auszahlungen des Trusts werden dann aber beim Begünstigten mit der Einkommens- oder der Schenkungssteuer belegt. Ausserdem kann die Errichtung des Trusts eine Schenkung an den Trustee darstellen.

Wie ist es denn, wenn im Safe des Treuhänders noch geheime Nebenverträge zugunsten des Gründers oder des Begünstigten liegen, die mit detaillierten Instruktionen an den Treuhänder regeln, dass der Gründer immer noch Zugriff hat?

Wenn man Geheimverträge hat, dann ist der Trust eben widerruflich, auch wenn es im Truststatut dreimal anders steht. Und dann muss versteuert werden.

Also keine wirklich gute Idee.

Nein, Geheimabsprachen sind keine gute Idee.

Das macht also nur Sinn, wenn man Geld nicht deklariert.

Dies macht überhaupt keinen Sinn – Schwarzgeld ist auch in Trusts nicht zukunftsweisend.

Grundsätzlich bleibt der Trust im Offshore-Land doch legal, auch wenn er nicht steuerlich deklariert wird.

Die Frage ist nicht, was das Offshore-Land macht. Die Frage ist, ob die betreffende Person am Wohnsitz die Steuerpflicht erfüllt.

Dennoch ist das Modell sehr beliebt.

Sie müssen sich klar werden, dass schwere Steuerdelikte bald als Vortat zur Geldwäscherei gelten. Banken müssen dann eine Geldwäschereimeldung machen und das Vermögen sperren. Da kann ich den Betroffenen nur zurufen: Werdet legal!

Und was geschieht mit Bankkunden, die sich wie der zurückgetretene französische Budgetminister Jérôme Cahuzac verhalten?

Das ist wirklich unverständlich – da fällt einem ganz spontan nur der berühmte Ausspruch von Herrn Mörgeli ein. Als Minister müssen Sie doch wissen, dass Sie als «Politically Exposed Person» bei jedem Banker grosses Unbehagen auslösen. Und das als französischer Sozialist! Einfach unbegreiflich.

Nun, er fand es laut enthüllten Tonbandmitschnitten ja auch «zum Kotzen», das Geld noch in der Schweiz zu haben. Er wollte es nach Singapur bringen. Andere suchen Domizile, die noch weniger reguliert sind, wie die Cook Islands.

Das «Island Hopping» ist nicht die Zukunft – man kann nicht mit dem Geld durch die Welt flüchten. Der Trend läuft in allen Ländern in die gleiche Richtung: Rechts- bzw. Amtshilfe und Datenaustausch. Die Zukunft ist Weissgeld.

Und wenn ein Kunde nach dem Wunschdomizil Hongkong für sein Geld fragt? Er kann dort immerhin auf den Schutz einer Nation hoffen, die sich wenig um internationale Trends schert.

«Mach, was du willst», werde ich ihm antworten, «aber nicht mit meiner Hilfe.» Da muss man konsequent sein. Banken wie auch Anwälte müssen sich auf die Weissgeldpolitik und auf die zentralen Themen konzentrieren: Dienstleistungsqualität und Transparenz für den Kunden und Performance. Und für den Kunden gilt: die Energie für das Geldverdienen und das richtige Anlegen verwenden, nicht für das Verstecken. Schwarzgeld ist heute keine Beratungsstrategie mehr – in keinem Beruf.

Der Top-Jurist
Im jüngsten BILANZ-Ranking der mächtigsten Anwälte belegte er den ersten Platz, und er ist das Aushängeschild des Juristenkonzerns Baker & McKenzie Schweiz: Urs Schenker machte seine Abschlüsse an der Universität Zürich und an der Harvard University. An der Universität St. Gallen lehrt er in Handels- und Wirtschaftsrecht. Seine Spezialität: Firmenübernahmen. Er lebt mit seiner Familie in Erlenbach ZH und zählt im Dorf zu den Aktiven im Fussballclub. 

Dirk Schütz
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