BILANZ: Sie befassen sich seit Jahren mit der Entwicklung von Dienstleistungen im Internet. Wie beurteilen Sie die Zukunft der zurzeit vorhandenen Finanzportale?
Karl Zumstein:
Wenn ich mir die Finanzportale im Internet ansehe, stelle ich Folgendes fest: Sie kommen alle von der Produktseite und versuchen sich über diese Produkte zu differenzieren. In der Regel ist das aber hochgradig substituierbar, weil ähnlich. Also versucht man das Ganze über Services aufzuhübschen. Die sind allerdings auch wieder substituierbar. Darum versuchen die Anbieter noch etwas Lifestyle dazuzumischen.

Was ist falsch an diesem Ansatz?
Beispiel Redsafe: Die sind die jüngsten Player am Markt. Die wollen, so war es zu lesen, offensichtlich in drei Jahren 56 000 Kunden gewinnen. Das ist nicht sehr aggressiv. Sehen wir uns mal deren Strategie an. Man versucht, sich über niedrige Kosten und funktionale Vorteile von der Konkurrenz zu differenzieren. Aber das gilt für jedes Finanzportal. Die setzen alle ihren Business-Advantage auf Standards, die hochgradig redundant und substituierbar sind. Das kann es ja nicht sein.

Was schlagen Sie also vor?
Mein Ansatz kommt von der Person, nicht vom Produkt her. Man muss den potenziellen User in seiner Persönlichkeit kennen. Heute gibt es kein Finanzportal, das diesen Ansatz verfolgt. Derzeit versucht man im Marketing von Finanzprodukten, in erster Linie die Ratio anzusprechen und daraus eine Marketingstrategie abzuleiten. Weil das immer teurer wird, benötigt man einen billigen Vertriebskanal, eben das Internet. Das funktioniert aber nicht auf Dauer.

Warum nicht?
Weil 90 Prozent unseres Verhaltens im Unterbewusstsein gesteuert wird und wir nur zu 10 Prozent rational entscheiden. Aus diesen beiden Komponenten ergibt sich die Summe unseres Verhaltens. Mit Data-Mining und anderen Techniken können wir uns ohne weiteres anhand von Vergangenheitsdaten an den Kunden annähern. Aber wenn wir den individuellen Kundenbedarf klären wollen, genügt das nicht.

Sie verfolgen die Vision des gläsernen Kunden.
Die Psychologie gibt uns die Basis dazu. Wir erstellen quasi eine Landkarte der Bedürfnisse unseres Kunden. Daraus versuchen wir die Metatrends unserer Kundengruppe zu ermitteln. Wir bekommen eine Vorstellung der möglichen kollektiven Wünschbarkeit. Wir können natürlich nicht für Millionen Kunden und Produkte alles berechnen, aber wir können individuellen Kunden entsprechend der ermittelten Trends den passenden Content über das Internet bieten.

Und das funktioniert?
Ja, dazu benötigt man zum einen die klassische Technologie, wie sie bereits heute vorhanden ist, aber man wird auch Echtzeitlösungen einsetzen, wie etwa Realtime- Data-Mining. Wenn es beispielsweise eine Community zu einem bestimmten Thema gibt, wird man die Clusters darin analysieren und anhand dieser Analyse dem Nutzer den individuell angepassten Content anbieten. Später entwickelt sich daraus ein sich selbst regulierendes System. Diese Technologien müssen auch Finanzportale haben, um sich zu positionieren.

Das heisst also, wenn die Börse fällt und sich die Stimmung der Anleger in dem Portal verschlechtert, greift ein Programm ein, um die Leute bei Laune zu halten?
Genau. In der Echtzeitanalyse wird überprüft, was beispielsweise in einem Finanzchat kommuniziert wird. Man kann sehen, welches Wertesystem es bei den Usern gibt.

Wäre es mit so einem System möglich gewesen, dem Verhalten der Online-Anleger beim letzten Crash entgegenzuwirken? Damals hat ja keiner gekauft, als sich Gelegenheiten boten.
Die Frage ist, wieweit man die Stimmung verbessern kann. Hätte man aber besser analysiert, wie die Stimmung der Kunden damals war, hätte man als Finanzdienstleister entsprechend schnell reagieren können. Etwa mit dem Angebot anderer Produkte. Vielleicht hätte das positive Effekte gehabt. Der Anleger wäre nicht mit seinen Problemen allein gewesen. Das hätte vielleicht schon geholfen.

Was benötigt also ein erfolgreiches Finanzportal in Zukunft?
Man muss vom Ego des Benutzers ausgehen. Wir haben zwölf Clusterthemen ermittelt, die das Ego des Benutzers definieren. Von diesen gehen wir aus. Man benötigt die trivialen und offensichtlichen Services und die Angebote, die für den individuellen Nutzer relevant sind. Mich interessiert beispielsweise der Dollarkurs zunächst nicht, wenn ich nur Schweizer Aktien habe. Die traditionellen Services müssen also hochgradig personalisiert werden. Gleichzeitig müssen Lebensentwürfe angeboten werden. Es geht damit weit über den eigentlichen Finanzbereich hinaus. Metatrends müssen abgebildet werden, Communities, Action-Clubs müssen angeboten werden. Natürlich bleibt der Finanzbereich die Kernkompetenz. Aber wir haben festgestellt, dass die Wahrnehmung der Kunden in acht Hauptcluster eingeteilt werden kann. Die muss man berücksichtigen.

Und das heisst?
Geld ist sehr stark mit den Begriffen Sicherheit und Karriere verbunden, aber auch mit Identität und Status. Finanzportale müssen also mit Partnern zusammenarbeiten, die wissen, was in den einzelnen Bereichen und Szenen die Leute bewegt, was dort gerade aktuell ist. Dann kann man sich als Finanzportal möglichst attraktiv darstellen. Daraus entsteht die Bindung des Kunden zum Portal, nicht durch die besonders günstige Grundgebühr. Die ist nicht mehr relevant. Ein Finanzprodukt wird so oder so gekauft. Die Gebühr ist letztlich nicht so entscheidend.

Gibt es schon Portale, die diesem Vorbild nahe kommen?
Auf Anhieb fällt mir keines ein. Die meisten sprechen eben nur rational an. Es geht doch immer darum: Wie akquiriere ich Kunden. Wenn nun meine Hausbank in Hinterpfupfingen auch ein Finanzportal anbietet, frage ich: Na und? Da werde ich neugierig, aber nicht unbedingt Kunde. Die Grossen müssen aktiv Kunden gewinnen. Das funktioniert über das Internet, weil es das einzige Medium ist, mit dem man das Unterbewusste ansprechen kann.

Da hätte Freud aber Freude!
Dass es funktioniert, zeigen Untersuchungen. Wir können den Kunden dadurch erstmals konvertieren. Einige User werden nach einiger Zeit im Web in eine Art leichte Trance versetzt. Oft merkt man ja gar nicht, dass man schon zwei Stunden im Internet war.

Und was bedeutet das konkret?
Wir analysieren die Daten des Users, und im Idealfall bietet das Portal dem Kunden massgeschneiderte Angebote, sobald er sich einloggt. Das funktioniert aber nicht, wenn man ihn nur rational anspricht. Der richtige Weg führt über das Ego.

Wer wird der Erste sein, der ein solches Finanzportal, wie Sie es schildern, anbietet?
Bewusst sehe ich noch keines. Aber ich sehe hier die Europäer vorn. Das Portal geht über das Kerngeschäft hinaus und wird zu einer Erlebniswelt für den einzelnen Kunden. Hinzu kommt der gesamte Content, der den Kunden interessiert, eben auch über den Finanzbereich hinaus. Individuell auf die jeweilige Lebenssituation zugeschnitten. Dazu kommen dann noch Events und die Positionierung der Marke. Das ist reine Donationsmentalität: Schau mal, was wir Gutes für dich tun. Je subjektiver das in der Wahrnehmung des Kunden geschieht, umso heisser wird der Brand; er erkennt darin, was er fühlt.

Was heisst das?
Heute wird die Marke ja mit einem Werte- und Zeichensystem besetzt. Nehmen wir noch mal das Beispiel Redsafe, die sagen in etwa, sie seien so sicher wie irgendeine reale Bank. Das sind genau diese Inhalte, die kommuniziert und aktiv ausgeblendet werden. Im Internet funktioniert das einfach nicht. Also muss man einen Brand schaffen, wo jeder seine Wertigkeit interpretieren kann.

Wie funktioniert das?
Auf vier Ebenen. Da ist zuerst das Ego, in dem das Individuum definiert wird. Das steuert wiederum die Inhalte. Dieser Content muss entsprechend dem Ego angepasst werden und auf die Lebensaspekte des Users eingehen. Dann müssen dazu die passenden Produkte angeboten werden. Daraus leitet sich dann letztlich ab, wie der Nutzer den Brand empfindet.

Karl Zumstein stieg nach der Ausbildung zum Marketingleiter und Organisator in die IT-Branche ein. Über Data General, Apollo, Digital Equipment, Sun und Reuters führte sein beruflicher Weg zum Softwarehersteller SAS, einem der weltweit grössten Anbieter von Business Analytical Applications und Data-Warehouse-Lösungen (Jahresumsatz weltweit rund 1,7 Milliarden Franken). Dort wurde Zumstein zunächst Key Account Manager und später Sales Manager. Seit 1994 leitet er die Schweizer Niederlassung der SAS als Chief Executive Officer.

Partner-Inhalte