Es gibt sie bei der Swiss. Aber auch bei Coop, der Credit Suisse, Avis oder Sunrise. In jedem besseren Hotel werden sie dem Gast nachgeschmissen. Selbst wer die BILANZ abonniert, bekommt ein paar Tausend davon gutgeschrieben. Die Rede ist von Flugmeilen. Die Begeisterung, mit der gestandene Manager ihr Meilenkonto anwachsen lassen, ist allenfalls vergleichbar mit der Euphorie, mit der sie als Kinder ihre Panini-Alben füllten.
Auch wer nur ab und zu in Zürich ein Flugzeug besteigt, hat sich daran gewöhnt, für einen Kurztrip nach Paris 2000 Meilen zu kassieren, für einen Business-Class-Flug nach San Francisco und zurück gar 17 470 Meilen. Allein bei der Swiss fiebern 2,5 Millionen registrierte Meilensammler ihrem nächsten Freiflug entgegen. Weltweit sind rund 100 Millionen Passagiere auf Ticketjagd: Auf inzwischen rund 9,3 Billionen (das entspricht einer Neun mit zwölf Nullen) wird das global ausstehende Meilenguthaben geschätzt – und jedes Jahr werden es 20 Prozent mehr.
Seit langem sind die Vielfliegerprogramme für die Airlines ein unabdingbares Kundenbindungsinstrument. Doch das Fliegen wird dabei immer unwichtiger. Mehr und mehr Kunden füllen ihr Meilenkonto auf, indem sie telefonieren, Aktien handeln, im Duty-free-Shop einkaufen oder ihren Lebensunterhalt mit der Kreditkarte bezahlen. In den USA werden bereits 60 Prozent der Meilen am Boden gesammelt. In Europa dürften es rund 20 Prozent sein, schätzen Branchenexperten. Und die Fluggesellschaften verdienen sehr gut daran: Allein in den USA verkaufen sie jährlich Meilen für über zwei Milliarden Dollar an Drittunternehmen. «Die Vielfliegerprogamme sind für die Airlines vom Kostenfaktor zur Ertragsquelle geworden», sagt Randy Petersen, der den Branchendienst Webflyer.com betreibt. Kein Wunder, denn sie lassen sich ihre Treuepunkte gut bezahlen.
Swiss: zwei bis acht Rappen pro Punkt Umgerechnet drei bis zwölf Rappen verlangen die Airlines für jede Meile, die später Hotels, Kreditkartenunternehmen oder Tankstellen an ihre Kunden verschenken. Die Swiss kassiert je nach Abnehmer zwei bis acht Rappen pro Bonuspunkt. «Der Meilenverkauf bildet als Ergänzung der knappen Margen im Kerngeschäft für jede Airline eine willkommene zusätzliche Einnahmequelle», sagt Roland Rutz, Vice President Marketing & Sales bei Qualiflyer. Gerade das Qualiflyer-Programm (es wird ab 1. Januar unter dem Namen Swiss Travelclub weitergeführt) gilt als vorbildliche Ertragsquelle: Seit 1999 und damit als erstes derartiges Programm in Europa schreibt es schwarze Zahlen. «In den USA sind sogar alle Meilenprogramme selbsttragend», sagt Ravindra Bhagwanani. Der Schweizer mit dem indischen Namen hat sich mit seiner Firma Global Flight Management im deutschen Offenbach auf die Meilenberatung von Vielfliegern spezialisiert.
Die Rechnung ist leicht gemacht: Ein Freiflug innerhalb Europas kostet bei der Swiss 20 000 Meilen. Berücksichtigt man die Tatsache, dass bei der Swiss rund 20 Prozent aller Meilen ungenutzt verfallen, hat die nationale Airline am Meilenverkauf 480 Franken verdient – da ist je nach Destination mehr, als wenn sie das Ticket an den Kunden verkauft hätte. Zudem fallen keine Reisebüro- oder Kreditkartenkommissionen an. Noch lukrativer sind Überseedestinationen: An den Meilen, die für einen New-York-Trip nötig sind, verdient die Swiss knapp 1500 Franken. Für das gleiche Ticket verlangt sie vom Passagier zurzeit 590 Franken. «Im Vergleich zu Discount-Tarifen ist der durch Meilenverkäufe an Dritte realisierte Ertrag höher», bestätigt Rutz. Und wie. In guten Jahren erwirtschaften die Luftfahrtgesellschaften in ihrem Kerngeschäft Margen von sechs bis acht Prozent. «Im Meilenverkauf betragen die Margen hingegen bis zu 50 Prozent», sagt Paul Brown, Associate Partner und Airlinespezialist bei McKinsey. Die Folge: Vorletztes Jahr, als die Fluggesellschaften noch Gewinne schrieben, realisierten die fünf grössten US-Carrier 40 Prozent ihres Nettoprofits durch den Meilenverkauf. Davon können die europäischen Carrier freilich vorerst nur träumen. Denn Grösse ist auch hier das entscheidende Kriterium: «Je mehr Vielflieger in einem Programm eingeschrieben sind, desto attraktiver sind die Meilen als Marketinginstrument für Drittunternehmen und desto mehr kann die Airline dafür verlangen», sagt Brown.
Attraktive Grenzkostenrechnung Ein ausgeklügeltes Management der Sitzvergabe stellt dabei sicher, dass ein Meilenpassagier einen Vollzahler so gut wie nie aus dem Flugzeug drängt. Damit fallen bei einem Freiflug für die Airline in der Regel nur die Grenzkosten gegenüber einem leer gebliebenen Sitz an: Essen, Versicherung, Tickethandling und minim mehr Treibstoff (die Flughafentaxen zahlt der Passagier selber). Keine 14 Dollar macht dieser Betrag durchschnittlich pro Passagier und Flug aus, haben amerikanische Branchenexperten errechnet. Kein Wunder, sind die Airlineprogramme die einzigen Kundenbindungsprogramme, die sowohl als Marketing- als auch aus Kostensicht ein Erfolg sind – Supermärkte, Versandhäuser usw. müssen die Treuegeschenke an ihre Kunden mindestens zum Einstandspreis bezahlen. Weltweit geben daher mehr und mehr Tankstellen, Einzelhändler oder Telekom-Operators ihr eigenes Treueprogramm auf, um stattdessen Flugkilometer an ihre Kunden zu verschenken.
Auch die Swiss versucht immer gezielter, ihre Meilen bereits am Boden zu verkaufen: «Der Prozentsatz der durch Meilenverkäufe generierten Meilen steigt an», sagt Rutz, «die Milliardengrenze wurde vor einiger Zeit durchbrochen.» Genauer will man sich aus Angst vor der Konkurrenz nicht in die Karten schauen lassen.
Doch mit etwas Detektivarbeit lässt sich der Schleier ein Stück weit lüften: Laut dem Halbjahresbericht der Swiss haben die Qualiflyer-Airlines für nicht verflogene Meilen 83 Millionen Franken zurückgestellt. Bei einem Wert von konservativ geschätzten zwei Rappen pro Flugpunkt macht dies 4,15 Milliarden ausstehende Meilen. Da die Swiss 70 Prozent der Mitglieder des Qualiflyer-Verbandes stellt, dürfte sie insgesamt knapp drei Milliarden Meilen ausstehend haben. Und da die Milliardengrenze beim Verkauf ja bereits durchbrochen wurde, hat die Swiss mindestens ein Drittel ihrer Meilen via Drittunternehmen unter die Leute gebracht. Angesichts des europäischen Branchenschnitts von 20 Prozent und der erwähnten Vorreiterstellung des Qualiflyer-Programms ein plausibles Ergebnis.
Ab 2004 einkommenssteuerpflichtig Noch lukrativer ist es für die Fluggesellschaften, direkt die Sammlerwut der Vielflieger anzusprechen. Deswegen gehen immer mehr Carrier dazu über, die Flugpunkte auch direkt an ihre Passagiere zu verkaufen. American Airlines, der Allianzpartner der Swiss, etwa verlangt auf ihrer Website www.buyamiles.points.com knapp vier Rappen pro Meile, die zur Star Alliance gehörende Air Canada möchte sechs Rappen, doch den Vogel schiesst die Swiss ab: Seit September kann nun auch der Schweizer Kunde fehlende Meilen nachkaufen – für stolze 50 Rappen das Stück. Wer die Gültigkeit seiner Meilen um ein Jahr verlängern lassen will, zahlt 20 Rappen. Eine weitere und eher ungewöhnliche Einnahmequelle, denn die meisten anderen Airlines kennen kein Verfalldatum.
Gut möglich allerdings, dass die Sammelwut der Schweizer Vielflieger demnächst einen Dämpfer bekommt. Freiflüge sind bereits heute als geldwerter Vorteil einkommenssteuerpflichtig – theoretisch. Doch bislang haben die Steuerämter keine Möglichkeit, den Meilenbezug nachzuweisen. Das wird sich ab dem Jahr 2004 ändern: Auf dem dann neuen Lohnausweis muss der Arbeitgeber die beruflich erworbenen Gratismeilen ausweisen.
Dann kassiert an den Freiflügen nicht mehr nur die Swiss, sondern auch ihr grösster Geldgeber: der Fiskus.

Die grössten Meilenprogramme
> 01: American Airlines Advantage > 02: United Airlines Mileage Plus > 03: Delta Air Lines SkyMiles > 04: Northwest Airlines WorldPerks > 05: US Airways Dividend Miles > 06: Continental Airlines OnePass > 07: Japan Airlines JAL Mileage Bank > 08: Korean Air Skypass > 09: Lufthansa Miles & More > 10: Air Canada Aeroplan > 11: Air France Fréquence Plus > 12: British Airways ExecutiveClub > 13: America West FlightFund > 14: All Nippon Airways ANA Mileage Club > 15: Qualiflyer

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