Viele haben haben davor gewarnt, einige konnten – und wollten – es sich wohl bis zuletzt nicht vorstellen: Am Donnerstagmorgen hat Wladimir Putins Russland ein weiteres Mal Völkerrecht gebrochen und den souveränen Staat Ukraine angegriffen. Die Folgen des russischen Angriffs – sowohl geopolitisch als auch für die Finanzmärkte – sind am heutigen Donnerstag nur sehr vage abzuschätzen. 

Die Börsen, das zeigt die Reaktion der Finanzmärkte, hatten eine derartige Eskalation des Konflikts nicht eingepreist. Global befinden sich Aktien im Sinkflug, ebenso wie die Renditen auf Staatsanleihen.

Partner-Inhalte
 
 
 
 
 
 

Im Gegenzug steigen die Energiepreise und Anleger stürzen sich in sogenannte sichere Häfen wie Edelmetalle oder den Schweizer Franken

Für die Börsen entscheidend wird sein, wie genau der Sanktionskatalog des Westens aussehen wird. Vor Russlands Angriff auf die Ukraine hatte die westliche Staatengemeinschaft auf die Anerkennung abtrünniger ukrainischer Gebiete durch Russland nur mit relativ begrenzten Sanktionen reagiert.

Das mag als Anreiz zur Wiederaufnahme von Verhandlungen durchaus Sinn ergeben haben. Zudem wollte man sich dadurch die Möglichkeit offen halten, mit strengeren Massnahmen drohen zu können – quasi als Abschreckung vor einer Eskalation. Das hat sich nun erledigt. Die Zeit der Diplomatie ist vorerst vorbei. 

Russischer Angriff gefährdet Weltkonjunktur 

Die neue Eskalation dürfte den Westen dazu bewegen, harte Sanktionen zu verhängen, die beide Seiten treffen werden. Die grösste Gefahr für die Weltwirtschaft, und dementsprechend für die Finanzmärkte sind weiter steigende Energiepreise – insbesondere Öl.

«Der Konflikt könnte westlichen Staaten dazu bringen, eine Unterbrechung des russischen Energieflusses zu akzeptieren», warnen denn auch Analysten der UBS in einem Kommentar. Das hätte starke Auswirkungen auf den Ölpreis und damit auch auf die Weltwirtschaft. «Sollte der Ölpreis zwei Quartale lang auf 125 Dollar pro Barrel oder mehr steigen, würde dies das globale BIP-Wachstum um etwa einen halben Prozentpunkt verringern», schätzen die UBS-Analysten. 

Nicht umsonst trifft es am Donnerstag neben Zyklikern insbesondere Aktien aus dem Finanz-Segment. Die Logik: Wenn die Realwirtschaft rund um den Globus spürbare Einbussen hinnehmen muss, wird dies vor allem auch die kreditgebenden Finanzhäuser belasten.

Alle weiteren Folgen von «Handelszeitung Insights» finden Sie hier.

«Global befinden sich Aktien im Sinkflug»

In der Schweiz sackte die Aktie der UBS-Aktie um bis zu 9 Prozent ab, anderen Finanzwerten erging es nicht viel besser. Auch Zykliker wie Richemont und Holcim gehörten am Donnerstag zu den grössten Verlierern. 

Die Analysten der UBS gehen in ihrem Kommentar so weit, davor zu warnen, dass bei einem Unterbruch des russischen Energieflusses «niedrigere globale Gewinnschätzungen wahrscheinlich länger anhaltende Verluste an den Aktienmärkten auslösen werden». 

Russland-Exposure von Schweizer Firmen

Schweizer Firmen haben immerhin das Glück, vergleichsweise wenig auf dem russischen Markt exponiert zu sein. Laut Daten von Factset, die von Business Insider hier zusammengestellt wurden, haben in Europa Firmen aus Österreich (7,4 Prozent), Finnland (6,2 Prozent) und Polen (5,6 Prozent) das grösste Exposure auf den russischen Markt (siehe Liste unten). Die Schweiz taucht hier in der Liste der Top-15 erst gar nicht auf. 

Wenn bei einem Unternehmen ein Land mehr als 10 Prozent Umsatzanteil ausmacht, sollte es in der Regel separat in der Jahresrechnung ausgewiesen werden. Das scheint bei kaum einer Firma in der Schweiz der Fall zu sein. «Grössere direkte Exposures haben die Schweizer Gesellschaften zum Glück nicht in Russland», sagt denn auch Marc Possa, Geschäftsführer und Partner bei VV Vermögensverwaltung. 

Arbonia sei eines der Unternehmen, das in Russland etwas exponiert sei, «auch wegen der neuen Radiatorenfabrik.» In der Tat hat das Unternehmen erst Ende 2019 einen neuen Produktionsstandort für Flachheizkörper im russischen Stupino eröffnet, rund 100 Kilometer südlich von Moskau.  

chart

Durchschnittliches Umsatzrisiko auf dem russischen Markt nach Land des Firmensitzes

Quelle: Business Insider

Auch Vetropack habe Anlagen direkt in der Ukraine, sagt Possa. Schon Anfang der Woche thematisierte cash.ch, dass Vetropack in der Ukraine produziert und in der Nähe der Hauptstadt Kiew ein grosses Fabrikationsgelände unterhält. Dementsprechend dürfte der jetzt stattfindende russische Angriff auf die Ukraine den Aktienkurs weiterhin besonders belasten. 

Ein weiteres Thema sind die Schweizer Beteiligungen des russischen Oligarchen Viktor Vekselberg. Hierzu gehören insbesondere die Industrieunternehmen Sulzer, Oerlikon und Swiss Steel. Schon vor dem russischen Angriff vom Donnerstagmorgen wurden deren Aktienkurse von der Angst vor Folgen möglicher neuer Sanktionen gegen den russischen Grossaktionär Vekselberg überschattet.

«In diesen Tagen zahlt es sich aus diversifiziert zu sein.»

Die Sorgen der Börsen diesbezüglich sind begründet. Schon 2018 haben die USA im Zuge der Krimkrise gegen Vekselberg Sanktionen ausgesprochen. Der Investor musste damals seine Beteiligungen an genau den drei Unternehmen Sulzer, Oerlikon und Swiss Steel (damals noch Schmolz + Bickenbach) senken. 

Dieser Artikel zählt zum Angebot von cash.ch

Umfassende Börsendaten und tagesaktuelle Informationen zu Invest-Themen stellen wir auf unserer Seite Cash.ch bereit.

Weitere Unternehmen, die von verschärften Sanktionen gegen Russland tangiert werden könnten, sind Bucher und Stadler Rail. Bucher Municipal, die Nutzfahrzeugsparte von Bucher Industries, hat bisweilen gute Geschäfte mit Moskau gemacht und hat auch ein Werk in Lettland. Stadler wiederum unterhält nahe der weissrussischen Hauptstadt Minsk eine grössere Produktionsstätte.

Hier hat der Zugbauer 1500 Mitarbeitende, um den 600 Millionen Menschen umfassenden Ost-EU-Markt zu bedienen. Wird auch Weissrusland mit Sanktionen belegt, gefährdet dies den Turnaround-Prozess von Stadler. 

Was also tun? 

Wie sollten sich Anlegerinnen und Anleger nun also verhalten? Aktiendepots auf ein allfälliges Russland-Exposure zu überprüfen dürfte auf keinen Fall schaden. Dennoch ist Panik nicht angebracht. «Viele Schweizer Firmen verfügen über strukturelle Wachstumstreiber, welche sich nicht einfach in Luft auflösen», wendet Vermögensverwalter Possa ein.

Viele der beobachtbaren Trends in der Digitalisierung würden anhalten. «Die Möglichkeiten der Digitalisierung werden mit Systemen und Komponenten gelöst, die vielfach aus der Schweiz stammen.» Diese Innovationsführerschaften würden sich auszahlen, unabhängig des Konflikts.

Grundsätzlich investiert zu bleiben und keine hektischen Verkäufe zu tätigen, macht vor diesem Hintergrund also Sinn. 

Trotzdem ist es mit dem heutigen Tag noch wahrscheinlicher geworden, dass die unruhige Phase an den Börsen länger anhalten könnte als angenommen. Neben Inflation und Zinswende droht Russlands Angriff auf die Ukraine zusätzlichen Druck auf die – zumindest in Teilen – ohnehin fragile Weltkonjunktur auszuüben. In diesen Tagen zahlt es sich aus, bei der Anlage über Regionen, Sektoren und Anlageklassen hinweg diversifiziert zu sein.

Ein Beispiel: Das kombinierte Ertrags-Exposure des S&P 500 in Russland und der Ukraine beträgt laut UBS nur etwa 1 Prozent. Vor einer allgemeinen Konjunkturabschwächung schützt dies freilich nicht. 

Um sich gegen eine weitere geopolitische Eskalation abzusichern (so zynisch das klingen mag), können Anleger auf Rohstoff-Anlagen setzen. Auf Russland entfallen rund 40 Prozent der Gas- und 30 Prozent der Öleinfuhren der Europäischen Union. Zudem ist das Land der grösste Weizenlieferant der Welt.

Die Ukraine wiederum ist ein wichtiger Exporteur von Mais, Weizen und Ölsaaten. Angesichts der Risiken von Lieferunterbrechungen können Investments in die breiten Rohstoffmärkte eine gewisse geopolitische Absicherung für das Portfolio sein.  

Zudem gilt der US-Dollar neben dem Schweizer Franken als «Safe-Haven»-Währung, die in Zeiten erhöhter geopolitischer Unsicherheit oder einer «Risk-off»-Stimmung an den Finanzmärkten zu einer Rally neigt. Die von der US-Notenbank angekündigte Zinswende in den USA dürften den Dollar in den kommenden Monaten zusätzlich stützen.