Mit dieser Nachricht überraschte das World Economic Forum Mitte September alle: Gründer Klaus Schwab legt das operative Geschäft in die Hände des norwegischen Aussenministers Børge Brende. «Er ist doppelt so fit wie viele, die erst halb so alt sind wie er», lässt ein Sprecher ausrichten. In der Oktober-Ausgabe der BILANZ sprach der 79-jährige Schwab erstmals ausführlich über den Wechsel - und seine neuen Pläne für das Forum.

Sie haben bekanntgegeben, dass der norwegische Aussenminister Børge Brende Präsident des Forums wird. Ist damit Ihre Nachfolge geregelt?
Klaus Schwab*: Die Statuten und das Reglement des Forums sehen seit kurzem eine Trennung der Funktion des Executive Chairman und des operationell verantwortlichen Präsidenten vor. Mit Børge Brende hat sich jetzt eine beste Gelegenheit geboten, die Stelle des Präsidenten zu besetzen und damit auch den Ansprüchen guter Governance zu genügen. Ich selbst werde weiterhin als Executive Chairman voll tätig sein und mich vor allem um die strategische und konzeptionelle Führung der Organisation kümmern.

Was bedeutet die Wahl von Børge Brende für Sie?
Eine grosse Entlastung. Zurzeit rapportieren 15 Personen direkt an mich. Das widerspricht vor allem bei unserem dynamischen Wachstum und einer sich so schnell verändernden Welt allen guten Managementregeln, die ich während über 30 Jahren meinen Studenten predigte. Überdies haben wir für die Stiftungsleitung das Prinzip der kollektiven Verantwortung verankert. Børge Brende wird eine bessere Koordination unserer vielseitigen Tätigkeit gewährleisten. Als hoch geachteter Politiker mit besonderer Erfahrung in der Friedensstiftung zum Beispiel in Kolumbien wird Børge Brende auch unsere Regierungsbeziehungen ausbauen und vertiefen.

Und wann erfolgt Ihre Ablösung?
Sicher nicht so schnell. Und wann, dann stehen im Board of Trustees Persönlichkeiten zur Verfügung, die die institutionelle Kontinuität gewährleisten.

Sie blicken auf eine fast 50-jährige Erfolgsgeschichte zurück, nächstes Jahr werden Sie 80 Jahre alt. Kennen Sie keine Ermüdungserscheinungen?
Bislang nicht. Die Welt befindet sich in einem raschen Wandel, technologisch, wirtschaftlich, sozial und politisch. Diesen Wandel mit- und vor allem auch positiv zu gestalten, ist ungeheuer reizvoll. Das treibt mich und das World Economic Forum vorwärts.

Sie wachsen seit 1971 jedes Jahr im Schnitt um zehn Prozent, das Volumen Ihrer Aktivitäten verdoppelt sich alle sieben Jahre. Wie geht das?
Immer nach vorne schauen und neue Bedürfnisse in der internationalen Zusammenarbeit befriedigen. Pionier zu sein, heisst auch, Risiken auf sich zu nehmen. Nicht alles ist mir gelungen. Das Allerwichtigste war mir aber immer, das Vertrauen in die Organisation als unabhängigen und neutralen Partner von Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft zu stärken.

Sie beschäftigen heute rund 700 Mitarbeiter in Genf, New York, Peking, Tokio und San Francisco. Sind sie alle nötig, um das Treffen in Davos zu organisieren?
Natürlich nicht, zumal wir viele operationelle Aufgaben ausgelagert haben. Heute ist Davos keine Konferenz im eigentlichen Sinne mehr, sondern der Kristallisationspunkt einer Arbeit, die sich über das ganze Jahr hinzieht und über hundert Arbeitsgruppen sowie zahlreiche sachbezogene und regionale Konferenzen in der ganzen Welt umfasst.

Wo liegt der Schwerpunkt der anderen Aktivitäten?
Wir haben 14 grosse Problembereiche definiert, die nur durch globale Zusammenarbeit zwischen Wirtschaft, Politik und Gesellschaft gelöst werden können. Dazu braucht es zukunftsbezogenes Systemdenken sowie die Integration aller staatlichen und nichtstaatlichen Akteure. Denken Sie an die Zukunft des automatischen Verkehrs, die Zukunft des von neuen Technologien revolutionierten Gesundheitswesens oder die Zukunft von Arbeitsplätzen im Zeitalter der Robotisierung. Unsere Rolle ist es, durch Systemdenken und das Zur-Verfügung-Stellen von Plattformen die Welt besser zu vernetzen und damit gemeinsam Lösungswege zu finden.

Welche Bedeutung bleibt da für Davos?
Unser Jahrestreffen ist und bleibt ausserordentlich zentral für unsere Aktivitäten. Davos ist seit 47 Jahren ein optimaler Standort. In der Welt spricht man oft vom sogenannten «Geist von Davos». Dieser steht für informelle und vertrauensvolle Zusammenarbeit. Ich hoffe, dass unsere Partnerschaft mit Davos noch viele Jahre besteht. Allerdings bedingt dies, die notwendige Infrastruktur weiterzuentwickeln und Exzesse in der Preisstruktur zu unterbinden.

Keine Hamburger mehr für 55 Franken?
Der Kampf gegen diese Auswüchse geht weiter.

Es gibt immer wieder Versuche, Sie nachzuahmen. Was machen Sie besser als die Konkurrenz?
Wir sind eben mehr als ein Organisator von Konferenzen. Seit 1971 stehen wir für das sogenannte Stakeholder-Konzept, das ich damals zum ersten Mal in einem Buch beschrieben habe. Ursprünglich bedeutet das Stakeholder-Konzept, dass die Entscheidungsträger eines Unternehmens nicht nur den Aktionären, also den Shareholdern, gegenüber Verantwortung tragen, sondern gegenüber den gesellschaftlichen Gruppen, die direkt oder indirekt von der Unternehmung abhängen, wie Kunden, Mitarbeiter, die Umwelt und der Staat, also die Stakeholder. Dieses Prinzip haben wir im Laufe der Jahre weiterentwickelt. Heute ist das Forum die bedeutendste Organisation, die weltweit alle massgebenden Stakeholder-Gruppen dauerhaft als sogenannte Communities integriert.

Sie engagieren dieses Jahr weltweit mindestens 100 neue Mitarbeiter. Was verlangen Sie?
Das Forum ist eine Organisation, die vor allem konzeptionelle Arbeit leistet. Dazu brauchen wir bestausgebildete Talente mit möglichst hoher Diversität. 96 Prozent unserer Mitarbeiter haben einen Universitätsabschluss, fast immer von führenden Universitäten. Unser Stab weist ein Durchschnittsalter von 36 Jahren auf, stammt aus 80 Nationen, und somit bieten wir ein dynamisches Arbeitsumfeld mit hohen Anforderungen.

Sie haben letztes Jahr mit der Eidgenossenschaft ein Abkommen unterzeichnet, womit das World Economic Forum auch als internationale Institution für öffentliche private Zusammenarbeit anerkannt worden ist. Was hat sich dadurch geändert?
Wir konzentrieren unsere Initiativen jetzt auf die Gebiete, bei denen deutlich feststeht, dass weder Regierungen noch Unternehmen, noch NG-Os alleine Fortschritte erzielen können. Ich denke hier an alle unsere neuen Initiativen, etwa an die Schaffung einer Plattform zur Entwicklung von Prinzipien und Richtlinien für den Einsatz neuer Technologien, wie Blockchain, künstlicher Intelligenz, Drohnen, Gentechnologie. Dafür haben wir einen eigenen Campus in San Francisco gegründet, wo Vertreter aus internationalen Organisationen, Wirtschaft und Regierungen zusammenarbeiten, um dafür zu sorgen, dass die Rahmenbedingungen für diese Technologien so definiert werden, dass der Mensch im Mittelpunkt steht.

Ihr Buch «Die Vierte Industrielle Revolution», das Sie letztes Jahr veröffentlicht haben, wurde in 26 Sprachen übersetzt und bis jetzt knapp eine Million Mal verkauft. Hat Sie der Erfolg überrascht?
In meinem Buch habe ich zum ersten Mal in zusammenfassender Form gezeigt, wie die jetzige technologische Entwicklung nicht nur Geschäftsmodelle, sondern auch Politik, Wirtschaft, ja die gesamte Gesellschaft und sogar den einzelnen Menschen grundlegend verändern wird. Das Ganze geschieht mit einer Schnelligkeit, die uns kaum erlaubt, uns auf diese Veränderungen vorzubereiten. Ich bin dabei, Ende des Jahres ein zweites Buch zu veröffentlichen, und bin überwältigt, wie Technologien, die vor zwei Jahren kaum jemand kannte, wie etwa Blockchain, heute bereits Gegenstand alltäglicher Diskussion sind.

Was bedeutet die Vierte Industrielle Revolution konkret für die Arbeitsweise des Forums?
Wir wollen in der Anwendung Pioniere sein. Wir haben mit Investitionen in achtstelliger Millionenhöhe Top-Link aufgebaut, unsere permanente digitale Vernetzung globaler Entscheidungsträger. Wir haben ein Team in London, das für uns eine Künstliche-Intelligenz-Software entwickelt, und ein anderes Team in Genf, das untersucht, wie Blockchain globale Governance unterstützen kann.

Sie haben das World Economic Forum 1971 als gemeinnützige Stiftung gegründet. Wenn man kommerzielle Massstäbe anlegen würde, wäre das Forum heute mit einem Jahresbudget von 300 Millionen Franken und seinem weltweit bekannten Brand mehrere hundert Millionen wert. Bedauern Sie, dass Sie nicht Eigentümer sind?
Nein, ganz und gar nicht. Als Stiftung gehört das World Economic Forum der Öffentlichkeit, als gewinnorientierte Organisation hätte das Forum nie das Vertrauen aufbauen können, das für sein Wirken unabdingbar ist. Ich bin übrigens ein Angestellter mit einer Vergütung, die gemäss unserem Reglement im Rahmen der Gehälter der Chefs von öffentlichen Schweizer Institutionen wie der Nationalbank oder der Kantonalbanken liegen muss. Davon kann ich gut leben.

Wie hoch ist dieses Salär?
990'000 Franken pro Jahr.

Wie weit sind Ihre beiden Kinder eingebunden?
Mein Sohn arbeitet neu in der zehnköpfigen Stiftungsleitung, und meine Tochter hat vor zehn Jahren unsere Gruppe der Young Global Leaders aufgebaut. Beide verfügen über eine Ausbildung und eine berufliche wie auch internationale Erfahrung, die sie nicht vom Forum abhängig machen.

Aber Ihre Frau arbeitet auch für das Forum?
Ja, sie war meine erste Mitarbeiterin. Seit 1973 ist sie keine Angestellte mehr, sondern arbeitet pro bono.

Was ist ihre Aufgabe?
Sie ist vor allem in unseren kulturellen und sozialen Themen engagiert, und zwar nicht nur innerhalb des Forums. Zum Beispiel ist sie kürzlich in das High-Level Advisory Board des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen (UNDP) berufen worden, das auf Ministerebene die Wirksamkeit und Nachhaltigkeit von sozialen Entwicklungsprojekten stärken soll.

Gemäss seiner Bilanz verfügt das Forum über Reserven von mehr als 230 Millionen Franken. Wozu braucht es dieses finanzielle Polster?
Zunächst handelt es sich bei diesen Reserven zu einem bedeutenden Teil um Rückstellungen für unsere neuen Initiativen, inklusive des weiteren Ausbaus unseres Hauptquartiers in Genf. Wir planen hier ein neues Auditorium und Arbeitsplätze für 120 zusätzliche Mitarbeiter. Zu unserem 50-Jahr-Jubiläum 2020 soll der Umbau fertig sein. Wir finanzieren unsere Expansion nicht über Kredite, sondern über Eigenkapital. Ausserdem müssen wir für alle Risiken gewappnet sein, um unsere Unabhängigkeit und unsere Verantwortung gegenüber den Mitarbeitern in jedem Falle wahrnehmen zu können.

Sie treten in der Öffentlichkeit selten auf. Kaum jemand weiss, dass Sie von der britischen Königin in den Adelsstand erhoben wurden, dass Sie die höchsten Orden Deutschlands, Japans und anderer Länder erhalten haben und dass Sie neben Ihren zwei selbst verdienten Doktoraten 16 Ehrendoktorwürden halten. Woher diese Zurückhaltung?
Natürlich freue ich mich vor allem über die akademischen Auszeichnungen, da sie meine intellektuellen Leistungen anerkennen. Aber ich muss immer an die Zukunft der Stiftung denken: Die Aufgabe und die Institution sind mir wichtiger als meine Person.

Ihr 21-köpfiges Board of Trustees traf sich Ende August für zwei Tage in Genf. Welche Bedeutung hat dieses Gremium, dem unter anderem Persönlichkeiten wie Christine Lagarde vom IMF, Jim Yong Kim von der Weltbank, Mark Carney von der Bank of England und Ex-US-Vizepräsident Al Gore angehören?
Das Board of Trustees ist das oberste Entscheidungsgremium des Forums. Es bestimmt unsere Strategie und muss auch unsere wichtigsten personellen und finanziellen Entscheidungen absegnen. Das Board of Trustees reflektiert unser Stakeholder-Konzept. Etwa ein Drittel der Mitglieder vertreten die Wirtschaft, ein Drittel die Wissenschaften und Zivilgesellschaften, und ein Drittel sind Repräsentanten von internationalen Organisationen und Regierungen.

Warum haben Sie den Roche-Erben André Hoffmann in das Board of Trustees gewählt?
André Hoffmann ist eine unternehmerische Persönlichkeit mit grossem Einsatz für gesellschaftliche Fragen. Sein Interesse gilt vor allem einer besseren Umwelt, die im Forum seit den siebziger Jahren ein wichtiges Thema ist. Ausserdem hat André Hoffmann den Vorsitz unserer Gruppe der Familienunternehmungen, deren Anliegen es ist, sich für langfristiges Denken in der Wirtschaft einzusetzen.

Welche Rolle spielt der langjährige Nestlé-Chef Peter Brabeck?
Er ist Vizepräsident des Board of Trustees und mein wichtigster Berater.

Wenn Sie zurückblicken: Worauf sind Sie besonders stolz?
Besonders stolz bin ich darauf, dass das Forum am Ursprung von drei grossen, globalen, lebensrettenden Initiativen war: Erstens ist da die Schaffung der Global Alliance for Vaccines and Immunization (GAVI), die 580 Millionen Kinder immunisiert und acht Millionen Todesfälle verhindert hat. Zweitens der Global Fund zum Kampf gegen Aids, Tuberkulose und Malaria. Und drittens, Anfang dieses Jahres, die Geburt der Coalition for Epidemic Preparedness Innovations (CEPI) mit einer Startfinanzierung von 700 Millionen Dollar.

Sie haben fast alle Führungspersönlichkeiten der letzten Jahrzehnte getroffen. Was zeichnet sie aus - und wer hat Sie besonders beeindruckt?
Eine Führungspersönlichkeit braucht Kopf, Seele, Herz, Muskeln und Nerven. Oder anders ausgedrückt, ein hohes Mass an Professionalität und Wertvorstellungen, verknüpft mit Vision, Leidenschaft und Mitgefühl, Umsetzungsvermögen und, wie gesagt, Nerven. Es wäre schön, wenn wir viele Persönlichkeiten hätten, die wirklich all diesen fünf Kriterien gerecht würden. Ich bin sehr wenigen von ihnen begegnet, wie Nelson Mandela und dem jetzigen Papst, bei dem ich zusätzlich seine grosse Bescheidenheit schätze.

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*Seit 47 Jahren organisiert Klaus Schwab das Weltwirtschaftsforum in Davos. Aus dem kleinen Treffen ist eine internationale Organisation mit Sitz in Genf entstanden, die rund um den Globus Wirtschaft und Politik vernetzt. Der langjährige Universitätsprofessor Schwab wird im nächsten März 80 Jahre alt und hat jetzt erstmals das operative Geschäft abgegeben. Doch als «Executive Chairman» wird weiter nichts ohne ihn gehen. Nächstes Ziel: das 50. WEF im Jahr 2020 - mit einem ausgebauten Hauptsitz.

Dieses Interview erschien in der Oktober-Ausgabe 10/2017 der BILANZ.