Herr Maschmeyer, wie definieren Sie Innovation? 

Innvovation muss nicht immer eine Neuerfindung sein, sehr oft handelt es sich um eine Verbesserung oder Opitmierung einer bestehenden Technologie oder eines Produkts. Etwas, das Bereiche unseres Lebens günstiger, effizienter, bequemer, nachhaltiger, gesünder oder schneller macht.

Wenn ich also eine Steigerungsform hinter meinen Produktbeschrieb setzen kann, handelt es sich um eine Innovation?

Selbstverständlich reicht die Steigerungsform nicht aus. Es muss sich um eine massgebliche Verbesserung handeln. Um eine Innovation auch umzusetzen, braucht es kreative, revolutionär- und optimierungsdenkende Menschen, deren Lösungsideen das Potenzial für eine Marktdisruption haben.

Partner-Inhalte
 
 
 
 
 
 

Carsten Maschmeyer…

…ist Unternehmer, Investor, TV-Juror in «Die Höhle der Löwen», Keynote-Speaker und Bestsellerautor. Die Investments seiner Maschmeyer Group reichen von frühphasigen Startup-Beteiligungen bis zu börsennotierten Gesellschaften. Die Erfindung der unabhängigen Finanzberatung in den 1980er Jahren geht auf Maschmeyer zurück. Er ist mit der Schauspielerin Veronica Ferres verheiratet und lebt in München.

Wie erkennen Sie als Investor, dass Sie solche Menschen vis-à-vis haben?

Die Innovation, die Gründerinnen und Gründer unserem Team und mir pitchen, ist schon einmal ein guter Indikator. Und dann höre ich stark auf mein Bauchgefühl: Dabei frage ich mich, ob es sich um Leute handelt, die sich nun auf ihrer Erfindung ausruhen werden, oder ob sie diese mit Leidenschaft weitertreiben. 

Letzteres ist matchentscheidend, denn sobald sie ein digitales Geschäftsmodell haben, stehen sie mit der ganzen Welt in Konkurrenz. Das Startup-Leben ist ein Dauer-Marathonlauf im Sprinttempo. Deshalb müssen mein Team und ich das Gefühl haben, dass wir es mit Leuten zu tun haben, die dank ihrem Eifer den Innovationsvorsprung noch weiter ausbauen wollen. Weitere Merkmale: Leute, die die Extrameile gehen, sich nicht von ihrer Idee abbringen lassen, die meisten Probleme auf dem Weg lösen und intrinsisch getrieben sind.

Wie sieht die ideale Teamzusammensetzung für den Erfolg aus?

Es braucht einen guten Mix aus intro- und extrovertierten sowie aus rationalen und emotionalen Charakteren. Wenn drei total besonnene Menschen vor mir sitzen, frage ich mich: Haben die wirklich den Drive und nutzen die das Momentum? Habe ich aber drei ausserordentlich spontane und kreative Improvisationskünstler vor mir, befürchte ich, dass das im Chaos endet. Deshalb sind mir komplementäre Teams besonders wichtig. Also zum Beispiel nicht nur drei Techies, drei Vertriebler oder drei Kreative, sondern ein Mix aus allem. 

Das sind Bestandsdiebe, die den Vermittlern oder der Ausschliesslichkeitsorganisation die Kunden rauben und die Maklerverpflichtungen nicht erfüllen.

Carsten Maschmeyer

Sehen Sie solche idealen Startup-Teams auch aus der Versicherungsbranche?

Mindestens ein Drittel der Startups mit Bezug zur Versicherung entspricht dieser idealen Teamzusammensetzung: Wenn zum Beispiel eine der Personen im Versicherungsumfeld gearbeitet hat, die andere ist rational und sicher im Umgang mit Zahlen und Analysen, und ein Gründungs-Teammitglied kann gegenüber Investoren, Medien und Bewerbern gewinnend kommunizieren und das Unternehmen spannend präsentieren.

Letzteres ist vor allem für Insurtechs sehr wichtig, die sich im B2B-Segment befinden, in dem die Firmenkundengewinnung elementar für den Erfolg ist.

Wer sich gut verkauft, hat nicht unbedingt auch ein gutes Produkt …

… da gebe ich Ihnen recht. Auch wir begegnen immer mal wieder begnadeten Verkäufern, die uns eine Makler-Insurtech-Lösung verkaufen wollen. Diese verfügt beispielsweise über ein nettes Frontend, erfüllt aber in Wahrheit kein Leistungsversprechen. Das sind Bestandsdiebe, die den Vermittlern oder der Ausschliesslichkeitsorganisation die Kunden rauben und die Maklerverpflichtungen nicht erfüllen. Eine Lösung mit Mehrwert löst ein echtes Problem und schafft nicht einfach ein neues. Und natürlich müssen auch der Markt und das Umsatzvolumen attraktiv sein. 

Das Interview fand im Rahmen des Future.Talks powered by insureNXT zum Thema «Business Transformation in der Versicherungswirtschaft: Neue Impulse durch Geschäftsmodellinnovationen» statt, einer Kooperationsveranstaltung zwischen dem Institut für Versicherungswirtschaft (I.VW-HSG), dem Insurlab Germany e.V. sowie der Kölnmesse.

Wenn man Ihnen zuhört, dann ist Innovation gleich Digitalisierung, korrekt?

Ja, für uns ist das so, denn wir sind überzeugt, dass die Digitalisierung eine noch grössere Umwälzung mit sich bringen wird als die Industrialisierung. Der Vorteil dabei ist: Wenn das Geschäftsmodell funktioniert, können Sie es grenzenlos und millionenfach weltweit skalieren. Das ist mit physischen Produkten so nicht möglich. 

Grenzenlos? Ich höre von Versicherern immer wieder, aufgrund der unzähligen Regulierungen sei es sehr, sehr schwierig, mit Lösungen ins Ausland zu gehen …

Das sehe ich anders. Gerade weil es die Regularien gibt, die Eigenkapitalanforderungen, die ESG und die Sprachen, muss alles, was geht, digital effizient und schneller sowie innovativer laufen. Bei reinen Technologielösungen wie Tech for Insurance ist die Internationalisierung leicht. Bei Insurtech im engeren Sinne, die selbst Versicherer sind oder Versicherungen vertreiben, greift die Regulierung stärker. 

Not macht erfinderisch, heisst es. Sind die aktuellen Multikrisen also hilfreich für die Innovationskraft?

Ja klar, denn Not muss erfinderisch machen, sonst resultiert daraus eine Katastrophe. Auf eine Krise braucht es eine Reaktion: Wenn Sie den Buchstaben «K» nach vorne verschieben, entsteht aus «Reaktion» eine «Kreation». 

Auch die Jungfirmen müssen aktuell erfinderischer werden, denn das Geld sitzt aufgrund des Giftcocktails der vielen Krisen bei den Investoren nicht mehr ganz so locker. Wenn das Startup anstelle von 6 nur noch 3 Millionen kriegt, muss es Nice-to-have-Ideen streichen und sich auf lebenserhaltende, umsatzgenerierende Methoden und Lösungen fokussieren, also auf die Must-haves.

Einige Versicherer schlafen einfach weiter und hoffen, dass sie die Situation aussitzen können, weil ihre Kundinnen und Kunden besonders treu sind.

Carsten Maschmeyer

Also heisst die Devise: Geht nicht gibts nicht?

Nun, es gibt natürlich grössenwahnsinnigen Schwachsinn, der wirklich nicht geht – aber gerade in Krisenzeiten lohnt es sich, grenzenlos zu denken und nicht schon gleich am Anfang zu sagen, das geht nicht.

Wo siedeln Sie die Versicherungsbranche in Sachen Innovation auf einer Skala von 1 bis 10 an?

Den Schnitt würde ich auf 4 setzen. Einige Versicherungen sind bei 8, andere haben sich noch nicht mal einen Wecker gestellt. Sie schlafen einfach weiter und hoffen, dass sie die Situation aussitzen können, weil ihre Kundinnen und Kunden besonders treu sind. Oder sie denken, dass sie ihren Grössenvorteil ausspielen können und dazu die digitalen Vorteile nicht unbedingt brauchen. Doch das ist eine endliche und sehr, sehr kurze Zeit.

Heisst das, Versicherer, die schlafen, werden untergehen?

Untergehen werden sie nicht sofort, sie werden einfach in einen gravierenden Wettbewerbsnachteil geraten. Sind Prozesse zu kompliziert und die Produkte zu teuer, wandern die Kunden ab. Dasselbe gilt für die Vertriebsmitarbeitenden. Versicherer sind in einem Multi-Wettbewerb, sowohl Kunden als auch Mitarbeitende sind sehr wertvolle, aber auch volatile Assets auf Beinen, die morgen schon weg sein können. Deswegen müssen Versicherer zwingend innovativ werden. 

Innovation kann aber nicht einfach verordnet werden…

Wenn es so wäre, hätten wir in Mitteleuropa keinen solch grossen Innovationsrückstand. Erst mal muss die Bereitschaft da sein, innovativ zu werden. Das bedeutet, einen Weg zu gehen, den noch niemand gegangen ist – mit dem Risiko, abzustürzen. Da das Risiko, die Zukunft zu verschlafen, aber viel gefährlicher und teurer ist, lohnt es sich, diesen Innovationsweg zu gehen.

Dazu braucht es im Unternehmen das richtige Mindset von ganz oben und die richtigen Mitarbeitenden. Grossunternehmen empfehle ich, mit Startups zusammenzuarbeiten und deren Innovationsfähigkeit von Kooperationen über Venture-Capital-Beteiligungen bis hin zu Übernahmen gezielt zu nutzen. Dabei geht es nicht primär darum, ein von ihnen entwickeltes Tool in bestehende Prozessketten einzubauen, sondern dank ihnen neue Lösungen und Produkte zu finden. Das schaffen meist die internen Personen, die mit dem Tagesgeschäft oftmals völlig ausgebucht sind, nicht so gut wie externe, die von morgens bis abends nur kreativ und «out of the box» denken können.