Herr Braune, NewRe ist für Aussenstehende so etwas wie die «grosse Unbekannte» im Schweizer Versicherungsmarkt. Würden Sie mir da recht geben?

Ja, da haben Sie wahrscheinlich recht. In der Öffentlichkeit sind Rückversicherungen ohnehin etwas weniger bekannt, als die meisten Erstversicherer. Und mit Swiss Re haben wir hier am Standort Zürich einen der Weltmarktführer, der deutlich bekannter ist. Da ist es dann kein Wunder, wenn NewRe etwas im Schatten steht. Aber da fühlen wir uns wohl - wir wissen, was wir können. Und unsere Kunden wissen, wer wir sind und was wir zu leisten imstande sind. 

Partner-Inhalte
 
 
 
 
 
 
Zur Person

Dr. Thomas Braune ist seit Oktober 2020 CEO des Rückversicherers NewRe mit Sitz in Zürich. Zuvor war er während fast 30 Jahren in verschiedenen Fach- und Führungsfunktionen für den Mutterkonzern Munich Re tätig. 

Was unterscheidet NewRe von anderen Rückversicherern? 

Ich bezeichne uns gerne als «globale Boutique», weil wir zwar nur rund 130 Mitarbeitende beschäftigen, aber unser Geschäft mit seinen drei Standbeinen dennoch weltweit ausgerichtet ist. Im Property & Casualty-Geschäft fokussieren wir uns hauptsächlich auf europäische Kunden. In der Lebensrückversicherung und dem Wettergeschäft, das wir seit rund 10 Jahren betreiben, sind wir global unterwegs. 

Diese globale Ausrichtung zeigt sich übrigens auch in unseren Teams, die sich aus rund 20 Nationen zusammenstellen. Wir haben aufgrund unserer Grösse sehr flache Hierarchien, jeder einzelne Mitarbeitende übernimmt viel Verantwortung und ist eng an den Entscheidungprozessen beteiligt. In grossen Unternehmen ist man schneller nur ein kleines Rad im Getriebe, bei uns soll der Einzelne den Unterschied machen. Das ist eine besondere Qualität, die uns von grossen Playern unterscheidet. 

Was macht den Standort Zürich für NewRe so attraktiv?

Für uns ist insbesondere der Arbeitsmarkt hochinteressant. Wir benötigen einerseits hochspezialisierte Versicherungsexperten, andererseits aber auch Bankenprofile für unser Lebensrückversicherungsgeschäft, wo wir Kapitalrisiken nehmen und wieder hedgen. 

Da ist der Standort Zürich als führender Finanzplatz schon ziemlich einzigartig, denn beide Branchen sind sehr gut vertreten, es gibt einen entsprechenden Fachkräftemarkt. Aufgrund der hohen Lebensqualität ist Zürich zudem für internationale Kandidatinnen und Kandidaten sehr attraktiv. Egal von wo auf der Welt, die Leute kommen gerne nach Zürich und arbeiten auch gerne hier. 

Nach einem schwierigen Jahr sind wir wieder 'back on track'

Thomas Braune

Sie hatten 2023 ein «ambivalentes Jahr» mit einem hohen Verlust von 180 Millionen Euro auf der einen Seite - und einem starken Prämienwachstum auf der anderen Seite. Wie lief es 2024 für NewRe?

Das letzte Jahr verlief wesentlich erfreulicher. Wir sind wieder «back on track» und konnten mit einem Ergebnis von 220 Millionen Euro und einem Prämienwachstum von fast 20 Prozent auf rund 7,6 Milliarden Euro sogar neue Höchststände verzeichnen. NewRe bewegt sich also auf Rekordniveau, was uns sehr stolz macht. 

Im Jahr 2023 hatten wir eine ausserordentliche Schadenbelastung vor allem im NatCat-Bereich, zum Beispiel durch Erdbeben in der Türkei und Überschwemmungen und Hagelschäden in Südeuropa. Zudem mussten wir im britischen Motorfahrzeuggeschäft nachreservieren, was unser Ergebnis belastete. 

In nur zwei Jahren hat NewRe das Prämienvolumen um über 40 Prozent gesteigert. Was sind die Gründe für dieses starke Wachstum? 

Das Wachstum ist sehr stark getrieben vom Lebensrückversicherungsgeschäft, das derzeit boomt. Insbesondere in den USA verkaufen die grossen Erstversicherer derzeit ihre Versicherungsbestände, weil die Aufsicht zu hohe Reserven fordert. Um hier nicht nachreservieren zu müssen, trennen sie sich von ihren Beständen, die vor allem von Investmentbanken und Private-Equity-Firmen aufgekauft werden.

Da deren Fokus in erster Linie auf die Kapitalanlage und nicht auf biometrische Risiken gerichtet ist, übernehmen wir diese für sie. Das ist mit hohen Prämienvolumina verbunden. Wir übernehmen aber auch Stornorisiken und Kapitalmarktrisiken, allerdings nur soweit wir sie selbst im Kapitalmarkt wieder hedgen können.

Verfolgen Sie auch im P&C- und Wettergeschäft eine Wachstumsstrategie? 

Zunächst einmal: Wir wollen in den Bereichen wachsen, in denen wir fest davon überzeugt sind, dass sie in der Rückversicherung auch profitabel sind. Im P&C-Geschäft konnten wir in den letzten Jahren ein sehr starkes Wachstum verzeichnen, insbesondere im Bereich der Naturkatastrophen. Allerdings erwarten wir, dass sich das Wachstum etwas abflacht, weil die Preise im Markt weicher werden. Wir beharren aber auf einen aus unserer Sicht technisch richtigen Preis.

Das Wettergeschäft - wo wir Energie- und Agrarunternehmen gegen ungünstige Wetterbedingungen absichern - wollen wir ebenfalls weiter ausbauen. Hier steht für uns ganz klar die Diversifikation im Vordergrund. Es ist wichtig, über verschiedene Regionen oder über verschiedene Risiken diversifiziert zu sein. Wenn es in der einen Region regnet, wird es in einer anderen Region vielleicht trocken sein. Zudem wollen wir uns stärker auf die Renewable Energies konzentrieren, weil das aus unserer Sicht der Markt der Zukunft ist und die Nachfrage steigt.  

Bei 130 Mitarbeitenden liegt der Hebel für den Erfolg eher auf der Qualität der Entscheidungen.

Welche Rolle spielt Technologie - insbesondere Künstliche Intelligenz oder Datenanalyse - in Ihrer zukünftigen Strategie?

Da liegt der Fokus für uns auf der Qualität der Entscheidungen. Wir versuchen mit Hilfe von Technologie unsere Entscheidungen besser zu machen, indem wir insbesondere externe Daten viel besser aus dem weltweiten Netzwerk, Intranet und anderen Netzwerken extrahieren und aufbereiten können. Je besser die Entscheidung ist, je besser wir die Risiken selektieren können, desto besser ist am Schluss das Ergebnis. 

Wir treiben aber auch Eigenentwicklungen voran: In einem Pilotprojekt nutzen wir Large Language Models (LLM), um unsere Rückversicherungsverträge transparenter für Underwriter vorzubereiten. Natürlich haben wir auch Effizienzprogramme, aber bei 130 Mitarbeitenden liegt der Hebel für den Erfolg eher auf der Qualität der Entscheidungen und weniger auf der Automatisierung der Prozesse.

Wie stark nimmt der Mutterkonzern Munich Re Einfluss - und inwieweit agiert NewRe eigenständig?

Für die Gruppe haben wir eine zweifache Bedeutung. Wir sind auf der einen Seite mit unserer Marke NewRe als Player eine Ergänzung zur Munich Re und generieren zusätzliches profitables Geschäft. Auf der anderen Seite sind wir für unseren Mutterkonzern auch eine attraktive Plattform für das besondere Geschäft, das wir betreiben. Für uns ergeben sich jedenfalls zahlreiche Synergieeffekte, die wir nutzen können. 

Das Zusammenspiel mit dem Mutterkonzern hat sich bewährt.

Thomas Braune

Im P&C-Geschäft beispielsweise verwenden wir die Tools der Munich Re, wir müssen das Rad ja nicht neu erfinden. Bei der Beurteilung der Risiken und den Verhandlungen mit den Brokern sowie den Kunden agieren wir eigenständig. Das schätzen gerade Broker sehr. In der Lebensrückversicherung und im Wettergeschäft arbeiten wir mit der weltweiten Organisation der Gruppe zusammen und nutzen deren Expertise und Kontakte, zum Beispiel in den USA. Wir monitoren den Verlauf des Geschäfts, der bei uns in den Büchern ist - die Kollegen vor Ort bringen dann die lokale Perspektive mit ein. Dieses Zusammenspiel hat sich sehr bewährt. 

Was sind aus Ihrer Sicht derzeit die grössten Herausforderungen für Rückversicherer – und wie begegnet NewRe diesen?

Da ist zunächst einmal der Klimawandel, der zu mehr Überschwemmungen, aber auch mehr Hagelstürmen und Trockenheit führt. Für uns ist es eine Herausforderung, diese Phänomene einzuschätzen -  und die Risiken zu beurteilen. Dafür können wir zwar auf Daten und Erfahrungen in der Vergangenheit zurückgreifen. Wir müssen aber trotzdem eine Aussage für die Zukunft treffen. Im Wettergeschäft machen wir beispielsweise jedes Quartal ein Backtesting, ob unsere Preise und unsere Annahmen, die wir getroffen haben, rückwirkend stimmen.

Gleichzeitig sehen wir als Industrie die Grenzen der Versicherbarkeit. Nehmen Sie das Beispiel USA: Im Südosten der USA ist nicht mehr jedes Risiko versicherbar. Da ziehen sich manche Erstversicherer einfach aus dem Markt zurück. Auch in der Cyberversicherung ist nicht jedes Risiko versicherbar, weil sich manche der Cyberrisiken nicht diversifizieren lassen, sondern plötzlich weltweit auftreten. Da hilft dann eigentlich nur noch die Zusammenarbeit zwischen Versicherungsindustrie und Staat. Das kann die Branche allein nicht stemmen. 

In letzter Zeit werden zudem PFAS-Risiken heiss diskutiert…

PFAS ist ja kein unbekanntes Thema, die Ewigkeitschemikalie wird bereits seit den 50er Jahren in vielen Alltagsprodukten wie Teflon-Pfannen, Outdoor-Kleidung oder Löschschaum verwendet. Erst in den letzten zehn Jahren gab es vermehrt wissenschaftliche Untersuchungen mit dem Ergebnis, dass einige der über 10’000 unterschiedlichsten PFAS-Verbindungen tatsächlich gesundheitsschädlich sein können. Das führte dazu, dass in der EU oder den USA einige dieser Verbindungen verboten wurden oder noch verboten werden sollen. 

Wir beobachten die PFAS-Thematik, sie bereitet uns aber noch kein Kopfzerbrechen.

Thomas Braune

Deswegen gibt es auch vermehrt Gerichtsverfahren, die vor allem in den USA zu Vergleichen in Milliardenhöhe führen - mit entsprechenden Folgen für Erst- und Rückversicherer. Es ist allerdings schwer abzuschätzen, wie gross das Risiko am Schluss tatsächlich ist, weil noch viele Fragen ungeklärt sind.

Die ersten Erfolge sehe ich darin, dass Erstversicherer den Versicherungsschutz für bestimmte Verbindungen bereits ausschliessen, was dazu führt, dass Unternehmen diese Verbindungen nicht mehr nutzen. Hier üben wir als Rückversicherer natürlich auch einen gewissen Druck aus. Kurzum: Wir beobachten die Thematik, sie bereitet uns aber noch kein Kopfzerbrechen. 

Sie verbrachten fast ihre gesamte Berufskarriere bei Munich Re, seit fünf Jahren sind Sie CEO von NewRe. Was hat Sie an der Stelle gereizt? 

Zuallererst das P&C-Geschäft, weil ich vorher für das Lebensrückversicherungsgeschäft in Europa, Lateinamerika und einigen Märkten im mittleren Nahen Osten zuständig war. Da hat mich der andere Blickwinkel gereizt. Dann ist die Position als CEO natürlich immer interessant, weil man einfach viele Gestaltungsmöglichkeiten hat.

Und im Nachhinein kam noch die Möglichkeit hinzu, beim Schweizerischen Versicherungsverband mitzuwirken. Diese drei Punkte ergaben in Summe ein sehr attraktives Paket. Zudem lebt eines meiner Kinder in der Schweiz - so sehe ich meine Enkelkinder öfter. 

HZ Insurance-Newsletter DAILY
Andrea Hohendahl, Chefredaktor von HZ Insurance, und sein Versicherungsexpertenteam liefern Ihnen die Hintergründe zu Themen, welche die nationale und internationale Versicherungswelt bewegen. Jeden Tag (werktäglich) in Ihrem E-Mail-Postfach. Jetzt kostenlos zum Newsupdate für Insurance-Professionals anmelden.
HZ Insurance-Newsletter DAILY

Welche Ziele haben Sie sich mit NewRe in den nächsten Jahren gesetzt - peilen Sie die 10-Milliarden-Marke beim Prämienvolumen an? 

Da liegen Sie gar nicht falsch. Die Schweiz ist ein sehr attraktiver Standort und zählt zu den fünf grössten Rückversicherungshubs der Welt. Unser Geschäftsmodell ist stark skalierbar. Deswegen liegt mein Fokus sehr stark auf profitablem Wachstum. Ich kann mir durchaus vorstellen, dass wir in den nächsten 5 Jahren vielleicht nicht die Topline, aber die Bottomline verdoppeln - also ein Ergebnis nach Steuern von über 400 Millionen Euro erzielen. Wir haben also noch einiges vor.