Nico Fiore, der Vorschlag einer stärkeren Besteuerung von Kapitalbezügen scheint unterdessen vom Tisch zu sein. Warum engagiert sich Inter-pension trotzdem weiter gegen die Besteuerungsidee?
Der Eindruck, die Diskussion sei bereits beendet, trügt leider. Zwar ist die Vernehmlassung zum Entlastungspaket 2027 am 5. Mai abgeschlossen – doch damit beginnt erst die nächste Phase: die Auswertung der Eingaben, gefolgt von der Ausarbeitung der Botschaft durch den Bundesrat, die im Herbst 2025 erwartet wird.
«Wer Kapitalbezüge einseitig bestraft, riskiert, die Systemlogik aus dem Gleichgewicht zu bringen.»
Die Idee einer erhöhten Besteuerung von Kapitalleistungen ist also keineswegs vom Tisch – sie schwebt vielmehr wie ein Damoklesschwert über der zweiten Säule. Gerade deshalb bleibt es für Inter-pension zentral, aktiv Stellung zu beziehen.
Sie bleiben also am Ball?
Ja. Denn die Versicherten unserer Mitglieder sind auf eine verlässliche und berechenbare Vorsorge angewiesen – die zweite Säule lebt vom Vertrauen. Wenn dieses durch steuerliche Experimente und politische Signalfehler erodiert, geraten die langfristige Sicherung und die Akzeptanz der beruflichen Vorsorge ins Wanken.
Warum?
Es entsteht ein gefährliches Ungleichgewicht: Letztes Jahr wurde der Ausbau der ersten Säule beschlossen – ein sozialpolitisches Zeichen. Nun soll die zweite Säule geschwächt werden, und das kurz nach dem Nein zur BVG-Reform durch das Stimmvolk. Wer Kapitalbezüge einseitig bestraft, riskiert, die Systemlogik aus dem Gleichgewicht zu bringen. Und das zu einem Zeitpunkt, wo unser Vorsorgesystem Stabilität und Vertrauen dringend braucht.
Inter-pension ist die Stimme der Sammel- und Gemeinschaftseinrichtungen in der beruflichen Vorsorge. Gegründet im Jahr 2004 als IGaSG (Interessengemeinschaft der autonomen Sammel- und Gemeinschaftseinrichtungen), hat sich die Organisation in den 2010er-Jahren zu Inter-Pension weiterentwickelt – mit dem klaren Ziel, die Interessen ihrer Mitglieder wirkungsvoll zu vertreten.
inter-pension engagiert sich aktiv in politischen Debatten und setzt sich für ein leistungsfähiges, faires und zukunftsorientiertes Vorsorgesystem ein. (pd/ajm)
Der Bund braucht mehr Geld, um die höheren Sozialausgaben zu decken, die wachsenden Ausgaben für Infrastruktur oder etwa die Modernisierung der Armee zu finanzieren. Ist es da nicht etwas kurzsichtig, Gegensteuer zu geben?
Wir bestreiten nicht, dass der Bund vor grossen finanziellen Herausforderungen steht. Doch gerade deshalb braucht es gezielte, ausgewogene und systemgerechte Lösungen. Die Vorsorgepolitik darf nicht zur kurzfristigen Steuerpolitik werden.
Wer die zweite Säule heute schwächt, riskiert langfristig höhere Ausgaben im Sozialwesen. Denn eine starke berufliche Vorsorge entlastet die AHV und verhindert Altersarmut. Man darf nicht vergessen, dass wir, gerade weil wir eine zweite Säule haben, uns das heutige Rentenalter von 65 Jahre noch leisten können.
Interviewpartner Nico Fiore ist Geschäftsführer des Pensionskassenverbandes Inter-pension. Fiore hat einen Master-Abschluss in Pensionskassen-Management der Hochschule Luzern und vor seinem Antritt bei Inter-pension verschiedene Stellen im Schweizer Pensionskassenwesen durchlaufen. (ajm)
Steuervermeidung via horrende PK-Einzahlungen gelingt vor allem den Gutbetuchten besser. Sollte man dieser Praxis der Entsolidarisierung nicht Einhalt gebieten?
Ich kann es nachvollziehen, wenn Extrembeispiele in der öffentlichen Wahrnehmung für Stirnrunzeln sorgen. Doch diese Einzelfälle als Basis für pauschale Restriktionen heranzuziehen, wäre kurzsichtig und systemisch problematisch. Ein Pensionskasseneinkauf ist in erster Linie ein Instrument zur Schliessung von Vorsorgelücken – und solche entstehen bei weitem nicht nur bei den Vermögendsten.
Sie kämpfen also im Namen aller gegen eine höhere Besteuerung von Kapitalbezügen?
Ganz klar. Wer aus familiären Gründen, wegen Teilzeitarbeit oder wegen später Eintritte in den Arbeitsmarkt Lücken in der zweiten Säule aufweist, ist auf die Möglichkeit angewiesen, diese durch freiwillige Einkäufe zu kompensieren.
«Die individuelle Verantwortung in der Vorsorge darf nicht untergraben werden.»
Ein generelles Misstrauen gegenüber dieser Möglichkeit trifft also nicht «die Reichen», sondern auch ganz normale Erwerbstätige, Selbstständige oder Eltern, die ihre Vorsorge selbstbestimmt stärken möchten. Die individuelle Verantwortung in der Vorsorge darf nicht untergraben werden. Denn sie ist ein tragendes Element unseres Drei-Säulen-Systems.
Wäre eine Halbierung des maximal versicherten Lohns auf rund 450’000 Franken, wie sie die Mitte vorschlägt, für Ihren Verband ein gangbarer Weg?
Diese Diskussion ist vielschichtiger, als sie auf den ersten Blick erscheint. Der Vorschlag mag auf eine gewisse politische Symbolik setzen – das Ziel scheint klar: einzelne, besonders hohe Einkäufe zu begrenzen. Doch Regulierung, die auf Einzelfälle abzielt, birgt immer das Risiko, den breiten Systemnutzen für die Mehrheit zu schmälern.
In der beruflichen Vorsorge sollte das Regelwerk nicht durch die Ausnahmefälle definiert werden. Vielmehr geht es darum, tragfähige und praxistaugliche Rahmenbedingungen zu schaffen, die einer heterogenen Erwerbsbevölkerung gerecht werden.
Bislang liegt meines Wissens kein konkreter Vorstoss zur Halbierung des überobligatorischen Maximallohns vor – eine offizielle Positionierung unseres Verbands erfolgt deshalb zu gegebener Zeit. Doch eines ist klar: Pauschallösungen im BVG-Bereich müssen sehr genau geprüft werden – denn sie betreffen ein System mit rund 4,5 Millionen Versicherten.