Herr Stricker, wie kann man sich als Anbieter von internationalen Produkten im Markt differenzieren?

Mit Kundenbeziehung und Service. Internationale Versicherungsprogramme sind ein globaler Markt, der auch stark von den grossen Brokern und Rückversicherern geprägt ist. Da sind die Produkte versicherungstechnisch weitgehend gleich. Abheben kann sich ein Versicherer dadurch, dass er den Kunden, also den Risk-Manager oder die Risk-Managerin gut kennt. 

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Bei einem globalen Programm diktiert die Firmenzentrale den lokalen Niederlassungen die Versicherungsbedingungen. Das löst lokal nicht immer Begeisterung aus. Deshalb ist die Qualität des Services entscheidend. 

Und wie gelingt das?

Man sollte sich folgende Fragen stellen: Wo ist diese Person in ihrer Firma angesiedelt? Wie rechtfertigt diese Stabsstelle ihren Job gegenüber dem Kerngeschäft? Womit kann man diese Person in den Augen Ihrer Vorgesetzen und der Verantwortlichen in den lokalen Niederlassungen glänzen lassen? 

Weshalb ist es so wichtig, sich in die Risk-Managerin hineinzuversetzen? 

Werden lokale Policen falsch ausgestellt, Zertifikate nicht rechtzeitig erstellt oder versteht die lokale Schadenabteilung nicht, dass sie den Schaden als Teil eines grösseren Versicherungsprogrammes behandeln muss, schwächt das die Position des Risk-Managers. Dann sagen die Verantwortlichen in den Niederlassungen: Ich steige aus dem Programm aus und kaufe meine Versicherungen lieber selbst am lokalen Markt, weil ich dann sogar noch auf ein Gegengeschäft hoffen kann.

Dieser Artikel ist Teil der Market Opinion «Internationale Programme – massgeschneidert aus einer Hand», die in Zusammenarbeit mit HDI Global realisiert wurde.

Welche Herausforderungen orten Sie aktuell im Geschäft mit internationalen Programmen?

Die Herausforderungen für internationale Programme waren und sind immer die gleichen. Die versicherten Konzerne wollen eine globale Lösung. Dafür sind die Strukturen der beteiligten Versicherungsgesellschaften und Broker eigentlich nicht gebaut.

Weshalb nicht?

Versicherungen sind ein lokales Geschäft, nicht zuletzt auch aus regulatorischen Gründen. Wer also ein internationales Versicherungsprogramm verkauft, muss sicherstellen, dass alle involvierten lokalen Gesellschaften mitmachen und wissen, was zu tun ist. 

Ist das denn so schwierig?

Das klingt vielleicht einfacher, als es ist. Machen wir ein Beispiel: Konzern X vereinbart via Broker Y mit Versicherung Z ein internationales Programm aus der Schweiz. Mit dabei sind vierzig verschiedene Länder, in denen der Konzern Niederlassungen hat. Um global konsistent zu sein, wird das Underwriting zentralisiert. Regulatorisch sind jedoch meist lokale Policen der lokalen Niederlassungen des Versicherers Z erforderlich. Warum sollten sie mitmachen? Es ist ja nicht ihr Geschäft, steht aber in ihren Büchern? Und wenn sie mitmachen, zum Beispiel weil ich das Risiko von Ihnen wieder rückversichere, wie informiere ich sie, was sie zu tun haben? Und wie entschädige ich sie für den Aufwand? Und was mache ich, wenn ich in einem der Länder, in denen der Kunde ist, als Versicherer gar keine Niederlassung habe? Fragen über Fragen …

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Welche Rolle spielen die Broker?

Dieselben Fragen stellen sich auch beim Broker, der zentral etwas abmacht, dann aber lokal umsetzen muss. Und auch beim Kunden: Erhält dessen lokale Niederlassung plötzlich eine Police mit einer Rechnung, von der sie noch nie etwas gehört hat, kommt es selten gut.

Es ist also eine Menge Koordination und ein gemeinsames Verständnis aller Beteiligten erforderlich. Und es muss institutionell klar geregelt sein, dass alle Beteiligten – und das sind bei einem grossen Programm schnell einige hundert Leute – grundsätzlich etwas davon haben. Mit Zwang allein kann man kein dauerhaftes Geschäftsmodell aufbauen.

Wie beurteilen Sie den aktuellen Markt für internationale Programme?

Preislich läuft der Markt für internationale Programme ähnlich wie der Rückversicherungsmarkt. Das heisst, seit kurzem sind wir in einem sogenannten Hard Market, bei dem die Versicherer höhere Preise und/oder engere Bedingungen durchsetzen können. Das Geschäft ist also wieder sehr attraktiv geworden. Gleichzeitig wird es immer anspruchsvoller. 

Weshalb wird es immer anspruchsvoller?

Ich habe zwischen 2010 und 2017 den Betrieb der internationalen Programme eines grossen Schweizer Versicherers geleitet. In dieser Zeit gab es auch eine Menge Krisen – von Fukushima über den Arabischen Frühling bis zur Krim –, aber es war eine Zeit, in der wir unser geografisches Netzwerk, innerhalb dessen wir internationale Programme betreiben konnten, immer weiter ausgedehnt haben. Myanmar öffnete sich, es gab sogar eine kurze Zeit, in der Geschäfte mit unkritischen Gütern in Iran wieder möglich schienen. Einzig Nordkorea war ein absolutes No-Go. 

Die Regulierung läuft immer stärker in Richtung Konsumentenschutz.

Warum ist das im heutigen Markt nicht mehr möglich?

Mittlerweile muss man bei jedem Programm umfangreiche Abklärungen vornehmen, ob nicht irgendwo eine Person involviert ist, die auf einer der zahlreichen Sanktionslisten aufgeführt ist. Auch werden die Steuerbehörden immer hungriger. So muss man nachweisen können, dass die im zentralen Underwriting ermittelten Prämien risikoadäquat auf die verschiedenen Länder aufgeteilt wurden. Denn auf diese Prämien fallen lokale Versicherungssteuern an, und die will sich niemand entgehen lassen.

Der Interviewpartner

Lukas Stricker ist Dozent und Studiengangsleiter am Institut für Risk & Insurance der ZHAW School of Management & Law. Vor seiner Tätigkeit an der Fachhochschule war er viele Jahre in der Industrieversicherung tätig.

Wie können sich die Produkte im Regulierungsdschungel noch entwickeln?

Die Regulierung läuft ja immer stärker in Richtung Konsumentenschutz. Im Privatkundenbereich mag das sinnvoll sein, wenn man sich auch hier über das Ausmass streiten kann. Bei internationalen Programmen wird es aber vollends abstrus. Hier geschäften Konzerne mit Konzernen. Warum sollte man Volkswagen vor der Allianz schützen? Sie können sich ganz gut selber wehren, sollte es nötig sein. Auch wäre es schön, wenn sich die Regulatoren global besser absprechen würden. 

Weshalb?

Sonst besteht die Gefahr, dass man sich nur noch entscheiden kann, in welchem Land man eine Regulierung verletzen wird. Dennoch finde ich die Klage über Regulierungen manchmal auch etwas störend. Man kann sich nämlich auch dahinter verstecken. Es gibt nach wie vor genügend Verbesserungen, die man völlig unabhängig von Regulierungen vorantreiben kann.

Welche Entwicklungsmöglichkeiten orten Sie trotz der Regulierungen?

Bezüglich Entwicklungsmöglichkeiten sind sicherlich internationale Programme für sogenannte Employee Benefits zu nennen. Also die klassischen Themen Todesfall, Krankheit, Unfall oder Invalidität. In einem Umfeld sich verknappender Arbeitskräfte wollen Firmen sich als Toparbeitgeber präsentieren und deshalb auch diese Risiken zentral managen.

Letztlich müssen alle Beteiligten auch systemtechnisch miteinander verbunden sein

Internationale Produkte verfügen verglichen mit anderen Versicherungsprodukten über relativ kleine Stückzahlen. Welchen Einfluss hat da die Digitalisierung?

Digitalisierung im Sinne von Automatisierung ist in diesem Geschäft weniger relevant, denn nicht nur die Stückzahlen sind zu klein, auch ist die Bandbreite der Individualisierung zu gross. Die Digitalisierung ist aber dort zentral, wo sie zu einer besseren Kundenbeziehung und zu besserem Service beiträgt. 

Zum Service gehört auch die Bereitstellung von relevanten Daten, mit denen die Risk-Managerinnen betriebliche Abläufe so verbessern können, damit weniger Schäden an Mensch und Material entstehen. Das ist letztlich ihr Kernauftrag. Auch das klingt einfach. Wer aber weiss, in wie vielen verschiedenen Systemen und Formaten die für den Kunden relevanten Daten abgelegt sind, der versteht schnell, dass sich hier grosse Herausforderungen stellen.

Ich habe zuvor die Wichtigkeit einer koordinierten Kommunikation betont. Auch hier kann Digitalisierung helfen. Letztlich müssen alle Beteiligten auch systemtechnisch miteinander verbunden sein, und die Informationen müssen simultan über den Erdball fliessen können. Wichtig dabei ist übrigens nicht nur die IT, sondern auch ein ausgereiftes Ausbildungsprogramm für alle Beteiligten.