Die Zeit drängt, der Druck steigt: Bis zum Jahr 2045 wird die Zahl der Personen, die über 65 Jahre alt sind, in der Schweiz um etwa 60 Prozent steigen. Die sogenannten Babyboomer erreichen in den kommenden Jahren das Rentenalter, während die Anzahl der Erwerbstätigen praktisch stagniert. Zudem steigt die Lebenserwartung – das Rentenalter jedoch wurde in den letzten Jahren nicht entsprechend angepasst. Dadurch wird der im Umlageverfahren finanzierten staatlichen Altersvorsorge (AHV) das Fundament entzogen; ohne Reformen gerät die Generationensolidarität zunehmend unter Druck. 

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Ein ähnliches Bild zeigt sich im solidarisch finanzierten Gesundheitswesen. Die Menschen werden immer älter, dadurch häufen sich Krankheiten, die teure Behandlungen nach sich ziehen. Die Ansprüche an die Gesundheit steigen gleichermassen wie die medizinischen und technologischen Möglichkeiten bei allen Altersgruppen. Entsprechend nimmt der durch die Grundversicherung gedeckte Leistungsumfang ununterbrochen zu. Die Grenze zwischen Gesundheit und Krankheit verschwimmt: Es werden heute viele Beschwerden behandelt, die früher nicht als Krankheiten betrachtet wurden. Für ein Konstrukt wie die obligatorische Krankenversicherung, welche Behandlungen ohne grosse Einschränkungen finanziert, hat das wesentliche finanzielle Folgen: Viele Menschen können die steigenden obligatorischen Prämien nicht mehr bezahlen und müssen über die individuelle Prämienverbilligung vom Staat unterstützt werden. Schreitet diese Entwicklung voran, wird die obligatorische Grundversicherung immer stärker zur ausgebauten Vollkasko-Versicherung. Ohne grundlegende Reformen riskieren wir, dass sich das Finanzierungssystem der obligatorischen Krankenversicherung destabilisiert. 

Autoren:
Dr. Veronica Weisser ist Leiterin Retirement & Pension Solutions bei UBS, und Dr. Andreas Schönenberger ist CEO bei Sanitas

Corona verschärft Umverteilungsproblem 

Die Corona-Krise hat die bestehenden Herausforderungen und die Dringlichkeit von Reformen nur verdeutlicht, die Situation aber nicht grundlegend verändert. Was als Gesundheitskrise begann, wurde schnell zur Wirtschaftskrise. Viele Menschen sehen sich mit Existenzängsten konfrontiert, was sich auch auf ihre Zahlungsfähigkeit der Krankenversicherungsprämien und das Vorsorgesparen auswirken kann. 

Was sich in der Corona-Krise allerdings verschärft hat, ist das Problem der Umverteilung, vor allem zwischen den Generationen. Die zusätzlich angehäuften Staatsschulden müssen irgendwann bezahlt werden. Auch hier werden die Kosten für die jüngeren Generationen steigen. Dies kann langfristig den Lebensstandard mindern und macht die persönliche und frühzeitige Finanzplanung umso wichtiger. Diese sollte auch das Sparen für die private Gesundheitsvorsorge im Alter umfassen, auch für Personen, die gut auf ihre Gesundheit achten. 

Die solidarische Finanzierung retten 

Das Vorsorge- und das Gesundheitssystem ermöglichen es, Leistungen im Verlauf des Lebens zu beanspruchen. In beiden Systemen treten Bedarf und Leistungen jedoch vor allem im höheren Alter auf. So sind Reformen unerlässlich, um die Systeme auf die Alterung der Gesellschaft vorzubereiten. Im Gesundheitssystem muss das Ziel sein, die hohe Qualität aufrechtzuerhalten. Dazu braucht es in der Grundversorgung die Solidarität der Gesellschaft sowie mehr wettbewerbliche Anreize, um die hohe Qualität zu erhalten. Das geht nur mit mehr Transparenz und Reduktion von Fehlbehandlung und Überversorgung bei der Leistungserbringung. Es ist auch Teil der Solidarität, auf unnötige Leistungen zu verzichten. Damit das Gesundheitswesen zukunftsfähig bleibt, sollen die Möglichkeiten der Digitalisierung zugunsten der Menschen maximal genutzt werden können. So könnten gerade «mobile medicine» und künstliche Intelligenz in finanzieller Hinsicht das Gesundheitswesen entlasten. 

Eigenverantwortung ist auch das Schlagwort in der Vorsorge, selbst wenn eine baldige Reform der ersten und zweiten Säule gelingen sollte. Die Anreize dazu könnten vergrössert werden. Zugleich sollten aber auch bessere Grundlagen für Geringverdiener geschaffen werden. Eine obligatorische vierte Säule wäre ein innovativer Ausbau des aktuellen Drei-Säulen-Systems. Aus dieser Säule liessen sich bestimmte Gesundheits- und Pflegeleistungen im Alter finanzieren, die von der Grundversicherung nicht oder in Zukunft vielleicht nicht mehr gedeckt werden können. Die Ersparnisse in der vierten Säule könnten auch weitervererbt oder verschenkt werden. Zwar würden die höheren Beiträge den heutigen Lebensstandard reduzieren, dafür aber die Chancen steigern, diesen etwas tieferen Lebensstandard auch im Alter aufrechterhalten zu können – ohne die künftigen Generationen noch mehr zu belasten.