Emanuele Diquattro, seit Januar sind Sie CEO von Inventx. Was war Ihre erste Amtshandlung?
Im Januar übernahm ich operativ die Verantwortung, bin aber schon im November bei Inventx eingestiegen, um mich zwei Monate lang jeweils zwei Tage die Woche einzuarbeiten.
Diese Zeit bestand insbesondere aus Zuhören und Lernen. Also darin, Kundinnen und Kunden sowie Mitarbeitende kennenzulernen und aktuelle Themen zu verstehen.
Und ab Januar?
Inventx steht mit ihrem Geschäftsmodell auf einer stabilen Basis mit langfristigen Partnerschaften. Daher hatte ich auch kein akutes Thema auf dem Tisch. Vielmehr ist mein Kernthema – und das war dann auch meine erste Massnahme –, eine Transformations-Roadmap ins Leben zu rufen.
«Fintechs und Insurtechs decken meist einen Teil der Wertschöpfungskette gut ab, aber nicht end-to-end das gesamte Business.»
Was kann man sich darunter vorstellen?
Die Transformation-Roadmap hat das Ziel, die Organisation für die Zukunft fit zu halten, den steten Wandel mitzugehen. Dies umfasst Elemente wie etwa die interdisziplinäre Zusammenarbeit.
Warum ist das so wichtig?
Inventx wurde vor 15 Jahren gegründet und beschäftigt jetzt über fünfhundert Leute an vier Standorten. Nach dem beachtlichen Wachstum der letzten Jahre haben wir auch gewisse strukturelle und prozessuale Nachwehen (schmunzelt).
Um unsere interdisziplinäre Zusammenarbeit weiter zu fokussieren, haben wir die Top-Ten-Prozesse ausgewählt, die wir wieder vereinfachen wollen.
Ein weiteres Fokusthema ist die Transformation des Serviceportfolios von einem Private-Cloud-Anbieter zu einem Hybrid-Cloud-Anbieter.
Inventx ist eine seit 15 Jahren im Markt etablierte IT- und Digitalisierungspartnerin für Schweizer Finanz- und Versicherungsdienstleister mit mehr als fünfhundert Mitarbeitenden an den vier Standorten Chur, Zürich-Flughafen, St. Gallen und Bern.
Als unabhängiges Familienunternehmen befähigt Inventx ihre Kundencommunity zur kontinuierlichen digitalen Transformation ihrer Geschäftsmodelle und agiert als Pionierin sowie Talentaggregatorin bei der Implementierung neuester Technologien für Zukunftsfähigkeit, Wettbewerbsdifferenzierung und Resilienz. (pd/ajm)
Worauf legen Sie mehr Gewicht?
Ein konkretes Beispiel im Jahr 2025 ist: Wir nehmen alle Cloud-Dienste unter einen Hut. Bis dato gab es unsere ix.Cloud, eine skalierbare private Community-Cloud mit Datenhaltung in der Schweiz. Parallel dazu beginnen wir, zusätzlich Managed-Public-Cloud-Services anzubieten. Hierzu kommt unser ganzes Know-how unter ein einziges Dach.
Kernsysteme von Versicherungen sind oft alt und behindern technologische Innovationen. Teilen Sie diese Ansicht?
Ja. Dieses Statement würde ich für beide Industrien, Banken wie auch für Versicherungen, unterschreiben. Die Anbieter befinden sich deshalb gerade alle in grösseren technologischen Erneuerungsprojekten.
Was wäre jetzt nötig?
Viele Systeme sind zwischen zehn und zwanzig Jahre alt. Sie wurden damals monolithisch gebaut und sie laufen nach wie vor stabil. Diese Kernsysteme können grosse Mengen verarbeiten – und zwar end-to-end über die ganze Wertschöpfungskette eines Versicherers oder einer Bank hinweg. Das ist schon ein Value ...
… der auch Vorteile bietet?
Unbedingt, denn Fintechs und Insurtechs decken meist einen Teil der Wertschöpfungskette gut ab, aber nicht end-to-end das gesamte Business. Ich glaube, hier liegt der grosse Trade-off.
«Alle unsere Kunden haben auf C-Level meine Handynummer und können mich jederzeit anrufen.»
Welche Lösungsansätze gibt es, um Versicherungen technologisch fit zu trimmen?
Decoupled Architecture ist hier das Stichwort. Die heutigen fachlichen Funktionen werden, sofern sinnvoll, modularisiert und in modernen Architekturansätzen mit den relevanten Umsystemen und Embedded-AI-Ansätzen gekoppelt.
Die entkoppelte IT-Architektur mit ihren neuartigen Ansätzen, kombiniert mit einer hybriden Cloud-Strategie, ist die Zukunft. Davon bin überzeugt.
Bisher zählen Sie vor allem Banken zu Ihren Kunden, aber noch wenig Versicherungsgesellschaften. Woran liegt das?
Unsere Wurzeln sind der Grund. Als Inventx vor fünfzehn Jahren als Spin-off aus T-Systems hervorging, haben wir mit dem Betrieb von Kernsystemen für Banken gestartet. Und von da aus sind wir dann im Bankensektor gewachsen.
Nun weiten Sie Ihr Geschäftsfeld auf Versicherungen aus?
Ja. Denn die Versicherungsindustrie ist ähnlich reguliert und hat viele gleiche Bedürfnisse. Dadurch sind wir in der Lage, auch für diese Industrie die entsprechenden Kompetenzen skalierbar zur Verfügung zu stellen. Insbesondere sind das heute primär Krankenversicherungen, wo wir unterdessen zwei Kunden haben.
Gibt es weitere Sektoren, die Inventx als potenzielle Kunden ansteuert?
In der aktuellen Strategieperiode nicht. Wir fokussieren und bauen weiter unsere Branchenkompetenzen für Banken und Versicherungen aus.
Neu haben Sie die langjährige Zusammenarbeit mit der Visana bekannt gegeben. Ist das der Auftakt, um weitere Krankenkassen zu überzeugen? Was können Sie denen bieten?
Auf der einen Seite jahrelange Erfahrung, insbesondere bei der Frage: Wie geht man mit sensitiven Bank- und Versicherungsdaten um? Auf der anderen Seite sind wir der branchenfokussierte Serviceprovider mit eigenen Schweizer Rechenzentren und eigenem Cyber-Resilience-Center. Dies, gepaart mit unseren Innovationsprojekten rund um hybride Cloud-Ansätze und KI-Kompetenzen, rundet unser End-to-end-Angebot ab.
Sie stehen in einem harten Wettbewerb. Wie halten Sie Ihre Kunden?
Ganz ehrlich: Wettbewerb ist gesund und notwendig – denn die reine Erbringung von Basis-Infrastrukturdienstleistungen ist kein differenzierender Faktor, weder für Inventx noch für unsere Mitbewerber. Unsere Alleinstellungsmerkmale sind unser klarer Branchenfokus mit entsprechendem Business-Know-how, einem auf die Kundenbedürfnisse angepassten Leistungsportfolio und der Interaktion auf Augenhöhe sowie unserer Kundennähe.
Ein Beispiel: Alle unsere Kunden haben auf C-Level meine Handynummer und können mich jederzeit anrufen.
«Wir haben nicht nur unsere Cloud-Dienste in der Schweiz, sondern betreiben auch gleich noch unsere eigenen Rechenzentren.»
Zuletzt: Ein wichtiges Element ist unsere eigentümergeführte Sicht, welche nicht ausschliesslich durch Wachstum und Margen getrieben ist. Ein zentraler Erfolgsfaktor von Inventx.
Warum betonen Sie das?
Diese gesunde Balance gibt Freiraum, auch bewusst in Innovation, Swissness und unsere Mitarbeitenden zu investieren. Das ist auch einer der Hauptgründe, weshalb ich zu Inventx gekommen bin.
Datensicherheit, das ist ein zentrales Thema in Ihrer Branche. Sie lagern die Daten nur in der Schweiz, oder?
Ja. Das hat einen historischen Grund. Daten rund um die Kernsysteme mussten früher in der Schweiz liegen. Viele Kunden wollen weiterhin ihre Daten in der Schweiz haben – nicht zuletzt aufgrund der politischen Weltsituation. Man möchte sich vor potenziellen Einflüssen aus dem Ausland schützen.
Deshalb haben wir nicht nur unsere Cloud-Dienste in der Schweiz, sondern betreiben auch gleich noch unsere eigenen Rechenzentren.
Was kommt in den nächsten Monaten von Inventx?
Ein paar Dinge habe ich schon angesprochen. Die hybriden Cloud-Ansätze sind ein zentrales Thema, das wir als Service-Produkt-Portfolio etablieren werden. Dann liegt weiterhin der Fokus auf Cyber-Security. Wir haben ein Cyber-Resilience-Center. In unserem Umfeld sind wir die Einzigen, die ein 7-mal-24-Stunden-Monitoring anbieten können, weil wir das Konzept «Follow the Sun» leben.
Was verstehen Sie darunter?
Wir haben einen Standort in Vancouver, wo unsere Schweizer Security-Spezialisten jeweils sechs bis neun Monate im Wechsel bereitstehen, um unseren Kunden deutschsprachig ihren Service anzubieten.
Zurück zu den Neuigkeiten: Was kommt bei Inventx?
Zum hybriden Cloud-Ansatz und Cyber-Security kommen weitere Innovationen: Wir haben in den letzten Jahren in unserem «InventxLab» zu KI geforscht. Dank den gewonnenen Erkenntnissen können wir in unserer «ix.Cloud» bald KI-Services produktiv in einer Schweizer Umgebung anbieten.
Könnte das Thema Allfinanz durch neue Kernsysteme bei Banken und Versicherungen an Bedeutung gewinnen? An der Allfinanz haben sich schon grosse und kleine Player die Finger verbrannt …
Tatsächlich: An der Technologie kann es definitiv nicht mehr scheitern. Das würde ich unterschreiben. Dennoch bin ich kritisch – für eine erfolgreiche Allfinanz-Lösung braucht es entsprechende Ökosysteme, wobei sich die Anbieter auf ihre Kernleistung fokussieren und gleichzeitig auch ein Stück des Kuchens abgeben müssen. Nach meiner Einschätzung war, ist und bleibt das der Knackpunkt.