Versicherungswirtschaft und Aufsichtsbehörden hatten in erster Linie auf die letzte Pandemie als Erfahrungswert abgestützt: die Spanische Grippe der Jahre 1918 und 1919, welche weltweit 50 bis 100 Millionen Menschenleben forderte. Die Grundannahme war, dass eine Pandemie zu massiver Übersterblichkeit führen sowie einen negativen Einfluss auf das Wirtschaftswachstum und folglich auf die Finanzmärkte haben würde. Beide Risiken müssen Versicherungen mit entsprechendem Eigenkapital unterlegen.

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Die Covid-19-Pandemie verlief vollkommen anders als die Spanische Grippe: Das Coronavirus betrifft vorerst vor allem ältere Menschen, welche in der Regel keine Todesfallversicherungen haben, sodass Versicherer kaum höhere Zahlungen wegen Übersterblichkeit verzeichnen. Die Finanzmärkte brachen vorerst für eine kurze Zeit ein, durch die massive Intervention der Zentralbanken erholten sie sich rasch wieder.

Autor:
Urs Ramseier, Dr. phil. nat., Gründer und CEO, Finanzinstitut Twelve Capital AG, Zürich.

Unerwartet werden die Versicherungen jedoch in einem anderen Geschäftssegment zu Kasse gebeten, nämlich bei Betriebsausfall-Policen. Unternehmen kaufen standardmässig eine Deckung gegen Betriebsausfall, gedeckt ist damit in erster Linie das Risiko, dass der Betrieb wegen Sachschäden am Gebäude, z. B. Feuer oder Wasser, vorübergehend eingestellt werden muss.

Während der Corona-Krise mussten viele Unternehmen ihren Betrieb aufgrund eines staatlich verordneten Lockdowns für Wochen einstellen oder erleiden durch staatliche Einschränkungen wie Einreisebestimmungen, Distanzvorschriften oder Maskenpflicht herbe Umsatzeinbrüche.

Die staatlichen Einschränkungen verursachen nicht nur riesige volkswirtschaftliche Kosten, sondern auch globale Versicherungsschäden von derzeit schätzungsweise 30 bis 40 Milliarden Franken. Für den grössten Teil dieser Schadenzahlungen haben Versicherer nie eine entsprechende Risikoprämie einkalkuliert. Einzig einige Veranstalter von Grossanlässen wie beispielsweise den Olympischen Spielen in Tokio hatten eine Pandemiedeckung eingekauft. Grund der Schadenzahlung sind nicht klar formulierte Versicherungspolicen, welche Betriebsunterbrüche wegen einer Pandemie nicht explizit ausschliessen. Dadurch entstand eine rechtliche Grauzone und Versicherer können von Gericht gegebenenfalls zur Zahlung verpflichtet werden.

Betriebsausfälle aufgrund eines Lockdowns sind kaum versicherbar

Das Geschäftsmodell von Versicherungen ist im Prinzip relativ einfach. Sie erhalten von ihren Kunden eine Prämie für ein definiertes Risiko. In vielen Fällen würde der Schaden die finanziellen Möglichkeiten des Einzelnen übersteigen, die Versicherungsprämie hingegen ist für den Einzelnen tragbar. Darin liegt der volkswirtschaftliche Nutzen der Versicherungsindustrie: finanziell nicht tragbare Risiken können durch Diversifikation abgesichert werden.

Eine Pandemie verursacht durch Covid-19 trifft grosse Teile der Wirtschaft; weltweit, zeitgleich und lässt sich kaum diversifizieren. Der Entscheid, dass bestimmte Unternehmen ihren Betrieb ganz oder teilweise einstellen müssen, lässt sich nicht kalkulieren. Müssten Versicherer für Betriebsunterbrüche wegen verordneter Einschränkungen oder Schliessungen aufkommen, würden die Kosten vom Staat bzw. der Volkswirtschaft als Ganzes auf die Versicherungsindustrie übertragen.

Lösungsansätze für die Zukunft

Die Nachfrage nach Deckung für Betriebsunterbruch durch eine Pandemie wird zweifellos stark ansteigen, denn für Unternehmen würde es sehr hilfreich sein, wenn das Risiko von Betriebsausfällen kalkulierbar und finanziell begrenzt wäre. Die Versicherungsindustrie kann dazu beitragen und soll dabei durchaus eine wichtige Rolle spielen. Da die Bedingungen für eine Versicherbarkeit kaum erfüllt sind, sind die Kosten von Betriebsausfällen nur teilweise versicherbar. Der Staat trägt in jedem Fall direkt oder indirekt (z. B. Arbeitslosenversicherung oder Steuerausfälle) den grössten Teil des Risikos. Die Versicherungsindustrie kann aber durchaus ihre Verantwortung wahrnehmen und zu einer marktgerechten Lösung beitragen. Beispiele von Deckungen für Extremereignisse gibt es bereits:

  • Der Schweizerische Nuklearpool wurde 1957 gegründet und ist eine Vereinigung von Versicherungsgesellschaften zur Deckung von Nuklearrisiken, welche die Kapazität und Solvenz einer einzelnen Gesellschaft übersteigen würde.
  • Der Schweizerische Pool für Erdbebendeckung ist ein Zusammenschluss von kantonalen Gebäudeversicherungen mit dem Ziel, durch Prävention die Schäden zu verhindern.

Eine Pandemie ist ein anderes Risiko als ein Erdbeben oder ein Nuklearereignis. Die Pandemie verläuft global, d. h., es gibt keine regionale Diversifikation. Ein möglicher Lösungsansatz könnte wie folgt aussehen:

  • Betriebsausfall durch Pandemie wird in der Versicherungsdeckung standardmässig angeboten. Dabei müssen aber die Kunden einen Teil des Risikos mit einem Selbstbehalt selber tragen.
  • Versicherungen übernehmen weiterhin Risiken, welche kalkulierbar und eingrenzbar sind, wie beispielsweise Grossanlässe, Reiseversicherung etc. Ebenso übernehmen sie die gesamte Schadenabwicklung.
  • Der Staat garantiert Zahlungen über einer zu definierenden gesamten Limite, ähnlich wie bei den Corona-Krediten der Banken.
  • Klar definierte Risiken können an den Finanzmarkt transferiert werden.

In einigen Ländern wie den USA oder Deutschland werden solche Modelle bereits diskutiert. Es wäre im Interesse der gesamten Volkswirtschaft, wenn das Risiko einer Pandemie für die Unternehmen kalkulierbar und tragbar ist.

Dieser Text wurde in einer ausführlicheren Version zuerst im Magazin Die Volkswirtschaft publiziert: https://dievolkswirtschaft.ch/de/2020/10/ist-das-risiko-einer-pandemie-versicherbar/