Herr Harnischberg, Sie haben gefordert, dass Reiche eine Franchise von 10'000 Franken bezahlen sollen. Diese Aussage hat für grosses Aufsehen gesorgt. Haben Sie mit solchen Reaktionen gerechnet und bereuen Sie diese Forderung?

Nein, ich bereue sie nicht. Es gab durchaus Kritik, aber auch viel Zustimmung. Sehen Sie: Die Gesundheitspolitik steckt in einer Sackgasse. Es ist daher wichtig, dass ohne Scheuklappen über verschiedene Lösungsansätze diskutiert wird. Schade ist, dass meine Botschaft nicht richtig verstanden und unvollständig wiedergegeben wurde. 

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Was war denn nicht korrekt? 

Erstens war es keine explizite Forderung, sondern lediglich eine Diskussionsgrundlage und ein  Gegenentwurf zum Modell mit den einkommensabhängigen Prämien. Zweitens ging es mir nicht darum, eine «Reichenfranchise» zu propagieren. Ich bin mir bewusst, dass Menschen mit höheren Einkommen über die Steuern bereits heute einen grösseren Anteil der Gesundheitskosten bezahlen. Mein Vorschlag war so gemeint, dass der eigene Beitrag im Verhältnis zum Einkommen für alle gleich hoch ist. Wenn jemand 100'000 Franken verdient, mag die heutige Wahlfranchise von max. 2500 Franken angemessen sein; mit einem Einkommen von 250'000 oder sogar 500'000 Franken wäre jedoch eine höhere Franchise von 5000 bis 10'000 Franken verkraftbar. Eine solche Massnahme würde die Krankenkassenprämien für alle senken und den Solidaritätsgedanken stärken. Zentral wäre natürlich, dass die Umsetzung möglichst einfach und unbürokratisch erfolgen könnte.

Ist die Franchise wirklich die richtige Stellschraube, oder müsste man vielmehr andernorts ansetzen mit wirksamen Reformen?

In den vergangenen Jahrzehnten sind sowohl die Prämien wie auch die Prämienverbilligungen deutlich gestiegen, der Betrag zur individuellen Kostenbeteiligung aber nicht.  Aus meiner Sicht wären da schon Korrekturen angebracht, um die Eigenverantwortung wieder stärker ins Zentrum zu rücken. Es gilt jedoch klar festzuhalten, dass man primär auf der Kostenseite ansetzen sollte und nicht bei der Finanzierung des Gesundheitswesens. 

Welche Massnahmen sehen Sie da?

Aus meiner Sicht braucht es zuerst eine Diskussion darüber, wie viel unser Gesundheitswesen und eine qualitativ hochstehende Versorgung kosten darf. Anschliessend müssen sich alle Akteure des Gesundheitswesens Gedanken machen, wie Fehlanreize und Ineffizienzen im System beseitigt werden können. Ein grosser Hebel besteht beispielsweise bei der Spitaldichte, die in der Schweiz im europäischen Vergleich deutlich zu hoch ist.  Zudem sollte auch der Leistungskatalog der Grundversicherung kritisch überprüft werden. Ist es wirklich notwendig, dass gewisse komplementärmedizinischen Therapien wie chinesische Medizin aus der Grundversicherung bezahlt werden? Die Grundversicherung ist heute viel mehr – sie ist faktisch eine Vollkasko-Versicherung und kostet entsprechend. 

Warum haben es Reformen im Gesundheitswesen so schwer? Ist der Leidensdruck zu tief?

Klar ist: Das ultimative Erfolgsrezept gibt es nicht, das Gesundheitswesen ist enorm komplex. Zudem geht es um viel Geld, jeder kämpft für seine eigenen Interessen. Am besten wäre es, nochmals auf der grünen Wiese zu beginnen und gemeinsam mit allen Akteuren ein neues System zu skizzieren. Leider geht das nicht. Umso wichtiger ist es, offen zu diskutieren und auch unpopuläre Massnahmen ansprechen. Ich hoffe, ich konnte etwas dazu beitragen und eine konstruktive Diskussion anstossen.