In jüngster Zeit ist die Generationengerechtigkeit in der 2. Säule ein heiss diskutiertes Thema. Ist dies die einzige Ungerechtigkeit im System?

Es gibt im System der beruflichen Vorsorge noch viele Ungerechtigkeiten, die offen diskutiert werden sollten. Momentan steht das Thema Solidarität im Mittelpunkt. Das betrifft nicht nur unterschiedliche Generationen. In der 2. Säule geht es auch um die Solidarität zwischen Mann und Frau sowie mehr Flexibilität bei unterschiedlichen Lebensmodellen.

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Aus meiner Sicht macht es Sinn, mehr Individualität in der Altersvorsorge zuzulassen - dort, wo es zulässig ist. Ich hatte vor kurzem spannende Diskussionen mit jungen Politikern. Sie erwarten, dass sich das BVG den neuen Lebensformen anpasst. Die Politik in Bern sollte sich Gedanken machen, wo und wie Individualisierungen vertretbar sind. Immer alles mit Solidarität zu verkaufen, ist der falsche Weg.

Können Sie uns einige Beispiele nennen?

Das BVG kennt nur verheiratet oder nicht. Eine Partnerrente gibt es nicht; die wäre schon überobligatorisch. Es gibt aber heute kein einheitliches Lebensmodell mehr. Klassische Ehepaare sind genauso Realität wie Patchwork-Familien, Geschiedene, gemischt- und gleichgeschlechtliche Konkubinate, Wohngemeinschaften und vieles mehr. Da müssen wir Anpassungen machen.

Oder das Todesfallrisikofall: Es wird prinzipiell solidarisch getragen, auch von Versicherten ohne Hinterlassene. Werden die Einkäufe als garantiertes Todesfallkapital ausbezahlt, wird diese Solidarität zu Ungunsten der Versicherten ohne Hinterlassene (und Einkäufe) verstärkt!

Und wie ist das mit dem Umwandlungssatz?

Das ist mein Lieblingsbeispiel. Bisher kommt es bei den Umwandlungssätzen zu einer ungleichen Behandlung mit grosser Umverteilung von Frauen zu den Männern und ledigen zu verheirateten Versicherten. Aber Single Männer «finanzieren» Single Frauen mit.

Bedeutet das, für bestimmte Personen lohnt sich die berufliche Vorsorge gar nicht?

Tatsache ist: Im Umwandlungssatz steckt die Anwartschaft auf eine Ehegattenrente. Wenn ich aber ledig bin, wozu soll ich mir die Anwartschaft auf so etwas kaufen? Ich bin also fast dazu gezwungen, auf Kapitalbezug zu setzen, wenn ich nicht Solidarität mit einer Lebensform üben will, von der ich nie profitiere. Ich meine: Da gibt es Möglichkeiten, mehr Flexibilität anzubieten. Auch was die Mitbestimmung für hohe Anwartschaften angeht, erwarte ich künftig mehr Entwicklung.

Zum Beispiel?

Man könnte Wahloptionen anbieten, was die Höhe der Partnerrente angeht. Und getrennte Umwandlungssätze für Männer und Frauen einführen. Dies ist leider aber nur bei nicht BVG-nahen Kassen möglich.

Die Lebenssituationen von Menschen sind sehr unterschiedlich. Kann es überhaupt so etwas wie volle Gerechtigkeit geben in der beruflichen Vorsorge?

Absolut volle Gerechtigkeit gibt es nicht. Wir brauchen gewissen Elemente der Solidarität, um das Vorsorgesystem kostengünstig betreiben zu können. Es wäre allerdings an der Zeit für gerechtere Lösungen und es sollte transparent dargestellt werden, wo wer und wie Solidarität übt. Solidarität allein ist auch nicht immer die beste Argumentation. Wenn Menschen nicht einverstanden sind, finden sie schon einen Weg, das zu umgehen.

Was könnte eine Lösung sein, um mehr Gerechtigkeit herzustellen?

Verschiedene Pensionskassen haben bereits Beteiligungsmodelle eingeführt. Das macht generell Sinn. Ich bin ein grosser Fan von Beteiligungsmodellen. Gegenüber den Kunden sollte Transparenz gewahrt werden, wie Überschüsse verwendet werden für die beste Verzinsung, auch gegenüber Rentnern.

Welche Ansätze gibt es hier?

Ich habe festgestellt, dass die Philosophie für ein Beteiligungsmodell von der Einstellung des jeweiligen Stiftungsrates abhängt. Es gibt Pensionskassen, die Erträge zeitgerecht ausschütten - in guten Jahren viel, in weniger guten weniger. Andere Kassen wiederum setzen auf eine stetig gute Verzinsung. Die Strategie für ein Beteiligungsmodell muss im Stiftungsrat sauber diskutiert werden.

Die Anpassung des Umwandlungssatzes wird in vielen Pensionskassen aktuell diskutiert, wenn nicht schon vorgenommen. Wie sieht es hier mit Fairness aus?

Mir macht die Entwicklung Sorgen. Wenn wir die Babyboomer mit so hohen Leistungen in Rente gehen lassen wie vorherige Generation, dann zahlen immer weniger Aktive immer mehr Passive.

In vielen Stiftungen hat man lange gebraucht, um das zu realisieren. Man reduziert nicht gerne Leistungen. Das ist unpopulär.
Betrachtet man die demografische Entwicklung, ist die Anpassung des Umwandlungssatzes keine Leistungsreduktion, weil viele Menschen heute ja länger leben und die Auszahlung daher auch länger läuft. Schwierig wird es, wenn so etwas nicht sachlich-fachlich, sondern politisch diskutiert wird. Das blockiert Reformen.

Wie dringend ist die AHV-Reform nach Ihrer Einschätzung?

Sie muss kommen. Lieber früher als später. Es ist erschreckend, wie lange wir schon in der Reformdiskussion stecken, ohne dass wirklich etwas vorwärts geht. Wenn wir nichts machen, wird der Druck auf die 2. Säule irgendwann so gross, dass der Schritt zur Individualisierung zwangsweise kommt.

Wo setzen Sie in Ihrer Arbeit an, um Reformen anzustossen?

Wir beraten Pensionskassen und sensibilisieren Experten zum Thema Beteiligungsmodelle. Aber das ganze Thema Flexibilität muss auch politisch gut begleitet werden. Es geht darum, die Rahmenbedingungen zu diskutieren und anzupassen. Wir haben damit begonnen, Jungpolitiker und auch Stiftungsräte auszubilden, damit sie lernen, Vorsorgethemen adäquat und verständlich zu kommunzieren.