Er läuft weder Marathon noch sitzt er in zig Verwaltungsräten noch schläft er lediglich drei Stunden – dafür nimmt sich Thomas Harnischberg Zeit für seine Mitarbeitenden, seine Familie und vor allem für sein Herzensthema, das Gesundheitswesen. Zu Letzterem hat er wie zu vielen anderen Dingen eine dezidierte Meinung. «Zurzeit kämpft jeder Akteur im Gesundheitswesen gegen jeden. Das bringt einfach nichts. Wir müssen wieder mehr zum Partnerschaftlichen zurückfinden und auf Augenhöhe miteinander kommunizieren.» Wenn die Politik sehe, dass sich nicht einmal die Branche einig sei, begännen die Politiker zu gestalten. «Und dass das nicht zwingend besser herauskommt, zeigt das Beispiel des neu ausgehandelten ambulanten Arzttarifs Tardoc.»
Neugierig, wer die Versicherungswelt lenkt? Einmal pro Monat portraitieren wir für Sie eine oder einen CEO aus der Versicherungsbranche. Die Texte finden Sie hier
Hin und Her zwischen Privatwirtschaft und Politik
In der Politik kennt sich der kernige Berner mindestens so gut aus wie in der Versicherungsbranche. So arbeitete er während vieler Jahre als persönlicher Mitarbeiter von alt Bundesrat Adolf Ogi sowie als Stabsmitarbeiter bei den Bundesräten Christoph Blocher, Eveline Widmer-Schlumpf und Simonetta Sommaruga. Davor und dazwischen war er als Fürsprecher sowie für eine grosse Rechtsschutzversicherung und die Mobiliar in leitenden Funktionen tätig.
Als er 2012 zur KPT stiess, ging bei der Berner Krankenkasse eine turbulente Zeit zu Ende. Der ehemalige Verwaltungsrat hatte seine Pflichten grob verletzt und ein angezähltes Unternehmen hinterlassen. «Schwierige Situationen reizen mich»; die Antwort von Thomas Harnischberg auf die Frage, was ihn damals dazu bewogen hat, den sicheren Job in der Verwaltung aufzugeben, könnte als typische CEO-Plattitüde daherkommen. Je länger man sich aber mit dem 61-Jährigen unterhält und vor allem wenn man ihn über die aufgrund des extremen Kundenwachstums hektischen letzten Monate sprechen hört, wird schnell klar: Was er sagt, hat Hand und Fuss, und das lebt er auch.
Starkes Kundenwachstum hat Team zusammengeschweisst
«Ein Kundenzuwachs von 50 Prozent geht an keinem Unternehmen spurlos vorüber – wenn dies dann grad noch mit der Umstellung auf ein neues IT-System zusammenfällt, wirds eben etwas strub …» Der Vorteil sei allerdings gewesen, dass diese turbulente Zeit die Belegschaft zusammengeschweisst habe. «Weil der Neukundenprozess noch nicht vollständig digitalisiert war, mussten viele Anträge von Hand im System erfasst werden. Nicht nur meine Geschäftsleitungskollegen und ich, sondern – was mich besonders gefreut hat – auch unser Verwaltungsratspräsident Walter Bosshard hat während zwei Tagen mitgeholfen, Neuanträge zu erfassen.» Bei so viel gelebtem Vorbild verwundert es nicht, dass die diesjährige Mitarbeiterbefragung noch bessere Resultate ergeben hat als die letzte im Jahr 2019.
Der kommende Herbst wird zeigen, wie viele der Neukunden der KPT erhalten bleiben werden. Denn klar ist, auch sie wird wie die ganze Branche nicht darum herumkommen, die Prämien aufgrund der steigenden Gesundheitskosten markant zu erhöhen. «Ich bin aber überzeugt, dass wir neben dem Preis auch mit unserer Strategie, die einfachste Krankenkasse der Schweiz zu sein, punkten können.» Einfach heisst in diesem Fall: unkomplizierte Kundeninteraktionen, schnelle Prozesse und übersichtliche Produkte/Angebote sowie eine pragmatische Zusammenarbeit. «Dies erreichen wir, indem wir uns aufs Kerngeschäft als Krankenkasse mit einem leistungsstarken Vertrieb konzentrieren.» Im Gegensatz zu einigen seiner Branchenkolleginnen und Branchenkollegen hat Thomas Harnischberg keine Mühe damit, die KPT als Krankenkasse und damit als Zahlstelle zu benennen. «Es ist deutlich glaubwürdiger, wenn der Hausarzt die Leute dazu motiviert, sich gesund zu verhalten, als wenn wir das als Versicherer tun.»
Herausforderungen gemeinsam meistern
Dass er die letzten Berufsjahre dereinst als CEO bei einer Krankenkasse verbringen würde, hätten weder Thomas Harnischberg noch sein Umfeld gedacht. «Ich studierte Jus, weil ich es mit den Zahlen nicht so gut konnte und weil ich dachte, es sei nicht so anspruchsvoll.» Letzteres stellte sich als unwahr heraus und die Freude an der Juristerei und dem damit verbundenen systematischen Denken packte den jungen Studenten. Dabei stand für ihn damals – genauso wie in allen folgenden Berufsjahren und heute – nie im Vordergrund, Karriere zu machen. «Das Wort Karriere ist für mich eher negativ behaftet», sinniert er. «Zu oft geht es dabei darum, andere Menschen auszuhebeln, um vermeintlich weiterzukommen.» Wichtig ist für Harnischberg, seinen Job mit Herzblut zu machen, dann klappe es automatisch auch mit der Karriere.
Man muss Menschen mögen
Thomas Harnischberg wollte und will im Beruf immer das machen, worin er gut war und ist: Verantwortung übernehmen, sich mit Menschen auseinandersetzen und unterschiedliche Akteure mit divergierenden Meinungen zu einem Konsens führen. Sein oberstes Führungsprinzip hat er von Adolf Ogi übernommen: «Man muss Menschen mögen.» Damit – davon ist er überzeugt – lassen sich die meisten Herausforderungen meistern.
DJ, Stammtischgänger und Stadtwanderer
In seinen jüngeren Jahren spielte er neben dem Studium und dem Beruf Handball und verpasste als Zuschauer kaum ein Spiel der Berner Young Boys – Letzteres gilt übrigens auch noch heute. «Mein Vater spielte kurze Zeit selber in der Nationalliga A Fussball, da war das irgendwie naheliegend…» Die Familie beeinflusste ihn aber nicht nur bei seinen Hobbys. «Das Beste, was mir im Leben passiert ist, ist meine Frau – und natürlich meine beiden Söhne, die mittlerweile 27 und 28 Jahre alt sind.» Auch nach 44 Ehejahren realisiere er immer wieder, wie viel Glück er gehabt habe. «Zuhause bin ich weder CEO noch sonst was, sondern einfach Ehemann und Vater.»
Zusammen mit seiner Frau bereitet er sich bereits vorausschauend auf seine «Nach-CEO-Zeit» vor. «Obwohl es noch ein wenig dauert, bis ich pensioniert werde, haben wir gemeinsam den firmeninternen Pensionierungskurs besucht.» Weil er sich sehr wohl bewusst ist, dass mit dem Ausstieg aus einer operativen beruflichen Tätigkeit viele Sozialkontakte wegfallen, hat er immer auch Kontakte ausserhalb des Berufes gepflegt. Als leidenschaftlicher Tänzer und DJ lässt er zudem kaum eine Gelegenheit aus, um Freunde zu treffen und mit anderen Menschen zusammen das Leben zu geniessen. Und dann ist da auch noch seine Passion, Städte zu Fuss zu entdecken – insbesondere Berlin hat es ihm angetan. Langweilig dürfte es ihm also definitiv nicht werden.