Während der letzten Jahre haben die Pensionskassen die Umwandlungssätze (UWS) stark gesenkt. Sie bestimmen, wie das angesparte Kapital bei Pensionierung in eine lebenslange Rente umgewandelt wird. Der durchschnitt liche Umwandlungssatz betrug gemäss dem OAK-Bericht «Finanzielle Lage der Vorsorgeeinrichtungen 2020» im Jahr 2014 6,29 Prozent, 2020 nur noch 5,54 Prozent.

Die Ursachen sinkender UWS, hauptsächlich die steigende Lebenserwartung und sinkende Kapitalmarkterträge, wurden in der Öffentlichkeit schon eingehend behandelt. Was die Folgen sinkender UWS sind, scheint zunächst ebenfalls banal, bedeutet es doch schlicht, dass neue Pensionäre für das gleiche angesparte Kapital im Schnitt eine tiefere Rente erwarten können. Bei näherer Betrachtung zeigt sich aber, dass diese Entwicklung zu Verhaltensänderungen führt.

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Die Leute haben grundsätzlich zwei Möglichkeiten, sich gegen die Rentenreduktion zu wehren: Entweder arbeiten sie länger als bisher oder sie beziehen einen höheren Anteil der Altersleistung in Form der Kapitalauszahlung, statt eine lebenslängliche Rente zu beziehen.

Die Daten der Schweizerischen Arbeitskräfteerhebung zeigen, dass die Arbeitsmarktteilnehmenden in der Schweiz, gemessen in Vollzeitäquivalenten, immer länger im Arbeitsmarkt verbleiben. Wenn auch die sinkenden UWS nicht der einzige Auslöser dazu ist – man muss es sich doch leisten können, vorzeitig in Pension zu gehen. Und mit sinkenden UWS ist dies vermutungsweise für immer weniger Leute eine Option.

Die Erwerbsquote bei den Frauen hat allgemein zugenommen, insbesondere aber in den Jahren vor dem AHV-Rentenalter. Bei den Männern beobachten wir eine allgemeine Abnahme der Erwerbsquote, nicht jedoch in den Jahren vor dem AHV-Rentenalter – dort hat sie zugenommen. Die Erwerbsquoten nach dem AHV-Rentenalter sind stabil geblieben. Aus den Daten können wir also eine langsame Erhöhung des effektiven Pensionierungsalters ablesen.

Mehr Kapitalbezug

Die Kapitalbezugsquote hat in den letzten Jahren zugenommen. Um dies zu untersuchen, haben wir die Daten der von Aon verwalteten Pensionskassen analysiert. Im Bestand hat sich die Kapitalbezugsquote von 20 Prozent im Jahr 2016 auf über 30 Prozent im Jahr 2020 erhöht.

Die Datengrundlage entspricht keiner Zufallsstichprobe des Gesamtmarktes; die absolute Höhe und genaue Entwicklung sollte deshalb nicht vorschnell verallgemeinert werden. Die Zunahme ist aber markant, und es kann davon ausgegangen werden, dass die Quote im gesamten Markt deutlich zugenommen hat.

Die beobachtete Korrelation zwischen fallenden UWS und steigenden Kapitalbezugsquoten muss nicht ursächlich sein, andere Gründe sind aber unwahrscheinlich. Auf Gesetzesänderungen wie etwa in der Steuerpolitik lässt sich die Beobachtung nicht zurückführen.

Sinkendes Vertrauen in die Pensionskassen könnte eine mögliche Ursache sein, macht in Anbetracht der Stärkung der finanziellen Position der meisten Pensionskassen in den letzten Jahren (zunehmende Deckungsgrade) aber ebenfalls wenig Sinn. Für eine schlichte Verschiebung der allgemeinen Präferenz weg von Rente und hin zu Kapital ist die Zunahme der Kapitalbezugsquote zu stark. Wenn sich an den Rahmenbedingungen, am Vertrauen in das System und an der allgemeinen Präferenz nichts geändert hat, kommen eigentlich nur die sinkenden UWS als Ursache infrage.

Diese lässt sich aber noch weiter einschränken: Die UWS beruhen grundsätzlich auf zwei Parametern – auf der Lebenserwartung und dem Zinssatz. Die Lebenserwartung verändert sich nur langsam, stetig und gemäss Erwartungen. Ausserdem ist deren Konzept, wie sie zur Bildung des UWS beiträgt, kaum greifbar genug, dass die oder der durchschnittliche Neupensionierte von der Kasse abweichende Erwartungen haben könnte.

Dies führt zu dem Schluss, dass immer mehr Leute der Auffassung sind, dass die Zinsversprechen hinter den UWS nicht mehr adäquat sind und sie selbst an den Kapitalmärkten bessere Renditen erzielen können. Vergleichen wir allerdings, wie sich die Zinsversprechen gemäss OAK BV im Vergleich zu den risikolosen Zinssätzen – die Rendite der zwanzigjährigen Bundesobligationen im Monat Dezember des jeweiligen Jahres gemäss SNB – entwickelt haben, so zeigt sich, dass sie parallel verlaufen (siehe Grafik).

Das notwendige Marktrisiko, das zur Sicherung der Zinsversprechen eingegangen werden muss, ist also unverändert geblieben. Gehen wir davon aus, dass sich die Risikoeinstellung der Bevölkerung in dieser Zeit nicht verändert hat, bedeutet dies für die beobachtete Zunahme der Kapitalbezugsquote: Sie ist zwar real, aber nicht rational.

Für die zweite Säule hat dies eine Abnahme ihres Versicherungscharakters zur Folge. Die Rente versichert nämlich gegen Kapitalmarktrisiken und gegen das «Risiko» eines langen Lebens; mit dem Kapitalbezug geht dieser Versicherungscharakter verloren.

Herausgeforderte Pensionskassen

Die wesentliche Senkung der UWS der letzten Jahre scheint das Verhalten der Leute bezüglich Pensionierungsalter und Kapitalbezugsquote geändert zu haben: Sie arbeiten länger und nehmen einen grösseren Anteil ihrer Altersleistung als Kapital. Ob wir über einen langfristigen Trend sprechen können oder nicht, wird sich erst in der Zukunft herausstellen. Jedenfalls entspricht die Erhöhung der Kapitalbezugsquoten nicht unbedingt dem Interesse der Leute. Daher sind die Pensionskassen herausgefordert, die ökonomischen Realitäten im Hintergrund der UWS-Senkung besser zu erklären.

Andreas Haller, Actuarial Consultant, und Balint Keserü, Principal Consultant, Head of Retirement Zürich, beide Aon Schweiz, Zürich.