Die Arbeit geht den auf Versicherungsrecht spezialisierten Anwaltskanzleien noch lange nicht aus. In den vergangenen Jahren ist diese eher mehr als weniger geworden und die Komplexität der Fälle ist stetig gestiegen. «Beispielsweise ist bei einem Bauschaden heute meist sowohl der Bauherr als auch jeder Unternehmer und Subunternehmer versichert, was nicht selten zu schwierigen Abgrenzungsfragen führt», weiss Daniel Maritz, Fachanwalt SAV für Haftpflicht- und Versicherungsrecht bei Schiller Rechtsanwälte in Winterthur, aus seiner täglichen Praxis. Zudem sei es heute bei jeder Versicherungsgesellschaft Standard, dass sie nach der Ausrichtung einer grösseren Versicherungsleistung prüfe, ob sie auf einen Dritten Rückgriff nehmen könne. 

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Kaum mehr Schleudertraumata …

Einerseits sind die Fälle also komplexer geworden, anderseits haben sich auch die Arbeitsschwerpunkte verlagert. Während bis vor etwas mehr als zehn Jahren beispielsweise noch quantitativ sehr viele verhältnismässig banale Fälle als haftpflichtrechtliche Komplexschäden mit umfassenden Leistungsansprüchen bearbeitet und prozessiert wurden, ist dieses Phänomen mit der fünften IV-Revision fast vollständig verschwunden. «Die Fälle im Haftpflichtrecht haben objektiv wohl eher abgenommen», konstatiert Stephan Zimmerli, Mitinhaber der Luzerner Kanzlei Zimmerli & Béboux. «Einerseits sind schwere Unfälle im Strassenverkehr tendenziell weiter zurückgegangen, anderseits ist dies auf die geänderte Rechtspraxis beim sogenannten Schleudertrauma zurückzuführen.» 

… dafür mehr Sport-Haftpflicht-Fälle

Schleudertrauma-Fälle sind auch bei seinem Branchenkollegen Philipp Engel von Beelegal Bösiger, Engel, Egloff praktisch weggefallen, dafür sieht sich die in Zürich und Brugg domizilierte Kanzlei aber mit deutlich mehr Haftpflichtfällen im Sport infolge von Körperverletzung mithin bis zum Tod konfrontiert. «Dies, weil das Bundesgericht entschieden hat, dass man mit der Teilnahme an einer Sportveranstaltung in strafrechtlicher Hinsicht nicht nur für jede Körperverletzung einwilligt, sondern dass auch im Sport bei der Beurteilung der strafrechtlichen Relevanz einer Verletzungshandlung ein in der konkreten Situation und je nach Verletzungsrisiko in der betreffenden Sportart unterschiedlicher Sorgfaltsmassstab anzuwenden ist.» In ihrer Gesamtheit, so Engel, hätten die prozessualen Haftpflichtfälle aber abgenommen. Der Grund: «Die Versicherungen haben sehr professionelle In-house-Abteilungen.»

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Kultureller Wandel bei der Schadenerledigung

Markante Veränderungen hat es auch bei den Taggeldversicherungen und im IV-Bereich gegeben. «Nachdem früher Taggelder und Rentenleistungen relativ rasch zugesprochen worden sind – zuweilen ohne Einholen von Gutachten –, werden Renten nur noch sehr zurückhaltend gesprochen», stellt Peter Kaufmann, Fachanwalt und Mitinhaber von Kaufmann & Friedli Rechtsanwälte in Bern, fest. Die Situation habe sich mitunter in beiden Bereichen zulasten der Versicherten verschärft und parallel dazu eine Gutachter-Industrie zum Blühen gebracht. «Daher haben die Fälle in diesen Sparten massiv zugenommen.»

Luzius Hafen, Fachanwalt in der Zürcher Kanzlei Advo5, stellt zudem einen kulturellen Wandel fest. Gerade im Bereich Personenschaden sei der Wind deutlich rauer geworden. «Die Kultur der konsensualen Schadenerledigung hat gelitten; leider sind konstruktive und zielgerichtete Schadenerledigungen immer seltener möglich.» Seine Vermutung: Spar- und Gewinnmaximierungsmassnahmen haben dazu geführt, dass die Mitarbeitenden in Schadenabteilungen der Versicherungen zum Teil doppelt und dreimal so viele Dossiers bearbeiten müssen wie noch vor zwanzig Jahren. «Parallel dazu wurden die Hürden prozessual laufend erhöht, sodass auch der Weg über die Gerichte mit immer unverhältnismässigerem Aufwand verbunden ist.» Ein Ausweg aus dieser Sackgasse wäre für Hafen die Bildung von Fachgerichten, wie es sie bereits im Arbeits- oder Mietrecht gibt. Oder aber im Zurück zu einer aktiven Schadenerledigung mit dem Fokus auf die geschädigte Person. 

Schadenersatzklagen als neue «Einkommensquelle»

Grundsätzlich gehen die meisten der befragten Anwälte davon aus, dass die Zahl der Haftpflicht- und Versicherungsfälle weiter ansteigen wird. Dafür sorgt einerseits die Tatsache, dass immer mehr Leute eine Rechtschutzversicherung besitzen und sich auch laufend gegen mehr versichern lassen wollen. Anderseits sorgen auch neue Bereiche wie die Cyberrisiken dafür. 

Teilweise ist offenbar auch eine «Amerikanisierung» spürbar. Will heissen: Herr und Frau Schweizer versuchen vermehrt, Schadenersatz in unterschiedlichsten Lebensbereichen geltend zu machen. So behauptete eine Supermarktkundin, sie sei auf einem fünflibergrossen Salatblatt ausgerutscht und habe sich die Hand dabei derart verletzt, dass sie ihre selbstständige Tätigkeit als Masseurin angeblich sehr lange nicht mehr habe ausüben können, und machte einen sehr hohen Versorgerschaden geltend. «Der Richter sagte dann zum Glück im Gerichtssaal, dass wir in der Schweiz keine amerikanischen Verhältnisse haben, und wies die Klage ab», schmunzelt Philipp Engel.