Projekt R sprengte sämtliche Rekorde. Statt der geplanten 
36 Tage dauerte es lediglich einige Stunden, um 3000 Abonnenten für die Gründung des Schweizer Onlinemagazins «Republik» zu finden. Inzwischen sind es mehr als 11'000. 2,9 Millionen Franken wurden eingenommen, für eine Crowdfunding-Aktion eines Mediums ein neuer Weltrekord.

Die Schweiz scheint ein guter Boden für Crowdsupporting zu sein. Wer eine Idee realisieren will, muss das heutzutage nicht mehr mit dem eigenen Geld tun, sondern kann sich dank einer über Social-Media-Kanäle vernetzten Gesellschaft der Finanzkraft der Crowd bedienen.

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Es muss nicht gleich ein neues Magazin sein. Pläne für ein Wimmelbuch über die Ostschweiz, eine Schnapsbrennerei in Zug, den ersten zu 100 Prozent biologischen Schweizer Babybrei oder einen Kompost-Eimer für die Küche lassen sich mit Hilfe von Crowdfunding realisieren.

Mobilisierfreudige Schweizer

Immer mehr Menschen ist heute Crowdfunding ein Begriff. Finanzprofessor Andreas Dietrich erklärt ihn so: «eine Finanzierungsform von Projekten über das Internet». Dietrich weiss, wovon er spricht. Er bringt jährlich die Studie «Crowdfunding Monitoring Schweiz» heraus. Je nach Art der Gegenleistung lässt sich zwischen Crowdsupporting, -investing und -lending unterscheiden. Das Reward Based Crowdfunding zählt zum Crowdsupporting. Dort erhält der Geldgeber eine Gegenleistung in Form eines Produktes oder einer Dienstleistung.

Durch die Kampagne für die «Republik» erfuhr das Thema einen Aufmerksamkeitsschub. Doch die «Republik» ist nur eines von sehr vielen auf einer Belohnung basierenden Crowdfunding-Projekten. Laut Andreas Dietrichs «Crowdfunding Monitoring» wurden letztes Jahr 1338 Crowdsupporting- und Crowddonating-Kampagnen durchgeführt. Das Volumen der Gelder für diese Projekte stieg dabei im Vergleich mit 2015 von 12,3 auf 17 Millionen Franken. Die Kampagnen haben 100 000 Unterstützungsbeiträge ausgelöst. Im Vorjahr waren es rund 88 000. «Die Mobilisierung für ein Land mit 8,3 Millionen Einwohnern ist beachtlich», schreibt Dietrich.

Marktführer auch europäisch unterwegs

Wer sein Projekt über Crowdfunding finanzieren lassen will, hat auf den ersten Blick die Qual der Wahl. 18 Plattformen sind auf Crowdsupporting spezialisiert. Die Auswahl an relevanten Plattformen für Reward Based Crowdfunding lässt sich auf eine Handvoll Anbieter reduzieren.

Die wichtigsten Schweizer Spieler sind Wemakeit und 100-days. Beide Plattformen gingen 2012 online. Mit über 2400 finanzierten Projekten, mehr als 140 000 Unterstützern und einem Projektvolumen von insgesamt 25,2 Millionen Franken ist Wemakeit der klare Marktführer. Er ist international aktiv und zählt zu den fünf grössten Crowdsupporting-Plattformen Europas. Das Angebot an Kampagnen ist breit gestreut. Kultur und Kreativprojekte sowie Kampagnen von Start-ups stechen hervor. Für Geldsuchende besonders relevant: Bei Wemakeit werden im Schnitt 65 Prozent der Projekte finanziert.

Nischenplayer für Sportliche

50 Prozent sind es beim Konkurrenten 100-days. Das Unternehmen ist eine Gründung des Städte-Newsletters Ron Orp. 100-days wird mit deutlich weniger Aufwand betrieben, auch das Volumen ist kleiner. Bisher wurden 695 Projekte finanziert. Dabei haben rund 44 000 Geldgeber mehr als sieben Millionen Franken investiert. Wie Wemakeit ist 100-days breit aufgestellt. Schwerpunkte liegen auf sozialen Projekten und Unternehmensgründungen.

Eine klare Nische hat «I believe in you» besetzt. Die Plattform bezeichnet sich als weltweit erfolgreichsten Crowdfunder im Bereich Sport. Nachwuchstalente, Weltklasseathleten oder Hobbyclubs wie ein Beachsoccer-Verein aus Biel suchen hier Sponsoren.

20 Millionen für eine Uhr

Auch die seit 2008/09 operativen US-Crowdfunding-Pioniere Kickstarter und Indiegogo bringen in der Schweiz Geldgeber und -suchende zusammen. Bei diesen Anbietern werden grössere Brote gebacken. Kickstarter hat alleine für die Smartwatch Pebble 20 Millionen Dollar aufgetrieben, beinahe so viel wie Wemakeit bei allen bisherigen Kampagnen zusammen.

Schon Anfang 2014 übersprang Kickstarter bei den Projekten die Milliarden-Dollar-Hürde. «Für internationale Projekte, welche auch den amerikanischen Markt ansprechen und eine grosse PR-Agentur im Rücken haben, machen die US-Plattformen Sinn. Kleinere, lokale Projekte gehen in der Masse unter», sagt Wemakeit-Chefin Melina Roshard.

Namen und Gesichter sind gefordert

Wer sein eigenes Crowdfunding-Projekt verwirklichen will, braucht zwar kein Geld, aber dafür Kreativität, ein soziales Netzwerk und vor allem Zeit. «Tausende Freunde auf Facebook sind kein Muss, aber man sollte wissen, wie man digital kommuniziert», sagt Roshard. Die Kampagne sollte eine «onlineaffine Klientel» ansprechen. Haben die potenziellen Geldgeber ein Problem damit, Geld online zu überweisen, wird es schwierig.

Die Plattformen sind automatisiert. Programme helfen dabei, alle relevanten Informationen zu erfassen. Dazu gehört die Beschreibung des Projektes. Die Aufmerksamkeitsspanne im Internet ist besonders klein. Ein kurzer Text sollte die wichtigsten Fragen zum Projekt klären.

Im Zentrum der Kampagne steht ein Video. Hier geht es nicht um professionelle Kameraführung, sondern um Kreativität. Spätestens hier tritt der Initiator vor den Vorhang. «Crowdfunding ist Vertrauenssache. Initiatoren sollten mit ihrem Namen und Gesicht für das Projekt geradestehen», heisst es bei 100-days.

Auf Hormone setzen

Entscheidend für den Erfolg ist Oxytocin. Das Bindungshormon macht Menschen hilfsbereiter. Eine bewegende Geschichte fördert die Ausschüttung. Idealerweise kommt der Geldgeber als Retter vor. Ein Berner Café, das vergessen hatte, die Kaffeemaschine zu budgetieren, ein Bündner Schreiner, der die Produktion des Davoser Schlittens wieder zum Leben erwecken will – solche Geschichten finden Anklang.

Die meisten Anbieter haben eine «Alles oder nichts»-Regel und leiten das Geld nur weiter, wenn das Finanzierungsziel erreicht wird. Zurückzuüberweisen brauchen die Plattformen nur wenig. Bei 100-days werden 90 Prozent des Geldes in Projekte investiert, die das Ziel erreichen oder übertreffen. 10 Prozent seien in erfolglose Projekte geflossen. «Die meisten Projekte scheitern bei null oder weniger als zehn Prozent», sagt Wemakeit-Chefin Roshard.

Laut Andrea Scherrer von 100-days scheitern Projekte, weil die Beschreibung nicht klar ist, die Kampagne visuell nicht ansprechend ist, kein gutes Video produziert wurde, es keine gute Gegenleistung gibt, man die Person hinter dem Projekt nicht sieht, die Zielsumme unrealistisch ist und/oder das Projekt nicht ausreichend beworben wird.

Zum Dank einen Burger benamsen

Für den Erfolg im Reward Based Crowdfunding entscheidend ist die Belohnung. «Ist sie nicht attraktiv, wird es schwierig», sagt Roshard. Eine Belohnung kann ganz einfach das mit Hilfe der Crowd entwickelte Produkt sein. Häufig sind Bücher und Musikprojekte. Aber auch exotische Dinge wie iPhone-Mikroskope oder Pin-up-Girl-Pokerkarten wurden finanziert.

Je kreativer und exklusiver die Belohnung, desto besser. Ein stilechtes Bieler American Diner benennt seine Burger nach grosszügigen Geldgebern, ein Kunstprojekt vergibt persönliche Dada-Feiertage. Wer den Beachsoccer-Verein Biel mit 500 Franken unterstützt, kann einen Flitzer übers Spielfeld schicken.

48 Stunden entscheiden

100 Tage wurden vor Jahren als optimale Dauer einer Kampagne definiert. Daher kommt auch der Name der Plattform 100-days. Doch selbst dort sind die Laufzeiten inzwischen deutlich kürzer. «Besser kurz und intensiv. Ideal sind 30 bis 45 Tage. Die erste Phase ist entscheidend. Werden in den ersten 48 Stunden zehn Prozent finanziert, klappt es meistens», sagt Andrea Scherrer von 100-days.

Um in den ersten Tagen möglichst viele Transaktionen zu bewerkstelligen, haben 100-days und Wemakeit eine neue Funktion eingeführt. Enge Freunde bekommen die Darstellung des Projektes schon vor dem Start auf der Plattform zu Gesicht. Sie sollen gleich zu Beginn für grosse Nachfrage sorgen. «Das volle Restaurant wird als das beste wahrgenommen. Dort will man den ganzen Urlaub hin», sagt 100-days-Gründer Christian Klinner.

Crowdfunding als Testmarkt

Um das Tempo hoch zu halten, ist eine Kommunikationsstrategie gefragt. Klinner: «Wer glaubt, dass es reicht, das Projekt online zu stellen und auf den Erfolg zu warten, liegt falsch.» Oft lassen in der Mitte einer Kampagne die Aktivität und in der Folge die Geldflüsse nach. Es gilt, die Crowd mit Neuigkeiten bei Laune zu halten. Bei Wemakeit unterstützen Coaches bei der Planung der Kampagne. In den USA und Deutschland gibt es bereits Agenturen, die sich auf die Beratung und das Marketing von Crowdfunding-Projekten spezialisiert haben.

Crowdsupporting dient nicht nur der Geldbeschaffung und dem Produktvertrieb. Die Plattformen sind ein erster Testmarkt. Kritik und Verbesserungsvorschläge lassen sich direkt über die Crowd einholen. Kommt das Produkt online nicht gut an, wird es auch offline kein Renner. «Start-ups testen, ob es ein Publikum für neue Produkte gibt», sagt Roshard.

Der Weg steht aber auch kleineren Unternehmen frei. Ein Hotel in Sion finanziert eine Fasssauna über die Crowd. Schon die Nachfrage zeigt, ob das neue Wellnessangebot überhaupt gefragt ist. Zudem ist Crowdfunding ein Marketingtool. Im Idealfall kommt es durch die Crowdsupporting-Aktion zu einer emotionalen Bindung und wiederkehrendem Konsum – im Fachjargon spricht man von Community Building.

User kontrollieren sich selbst

«Wir haben uns schon früh nicht nur als Plattform, sondern auch als Marketingwerkzeug verstanden», erklärt 100-days-Gründer Christian Klinner. Ein kostenloses Inserat auf Ron Orp und 500 Projektflyer im Visitenkartenformat sind bei jeder Kampagne inkludiert.

Schliesslich ist der Geldgeber darauf angewiesen, dass der Initiator das Projekt auch in die Tat umsetzt. Strafmassnahmen gibt es nicht. Tausende User sorgen für Recht und Ordnung. Die Crowd übernimmt auch die Regulierung selbst.

Erich Gerbl
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