Die alten Küchengeräte und die Arbeitsplatte sollen herausgerissen und durch neue ersetzt werden. Auch im Garten steht Stan1 der Sinn nach Veränderung: Die desolaten Betonpflastersteine müssen neuen Gartenplatten weichen, und um Abende bei schlechtem Wetter draussen verbringen zu können, ist eine kleine Pergola geplant.

Stan1 ist auch in Geldangelegenheiten auf dem neuesten Stand. Die 38'000 Franken, die er für Küche und Garten braucht, holt sich Stan1 – oder genauer gesagt der Mann, der sich hinter dem Benutzernamen verbirgt – nicht einfach von einer Bank, sondern bei Cashare.ch, einer Schweizer Crowdlending-Plattform.

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Ein neuer Trend

Crowdlending, auch Peer-to-Peer-Lending (P2P) genannt, ist auf den Finanzmärkten ein neuer Trend. Wie Pilze schiessen die Anbieter aus dem Boden. Der Name ist Programm: Eine Menschenmenge, also Crowd, verleiht an Privatpersonen oder Unternehmen Geld. Die Internetplattformen sind als Vermittler tätig, sie sorgen für den Ablauf der Kreditgeschäfte. Das Revolutionäre an der Sache: Banken braucht es für diese neue Art der Finanzierung keine mehr.

Bleiben die Banken aussen vor, bringt das für die Kreditnehmer meist attraktivere Konditionen und höhere Transparenz. Für die privaten Kreditgeber öffnet sich eine Renditequelle, die bisher nur Banken vorbehalten war.

Und die Quelle ist ergiebig. Anbieter wie etwa Konsumkredit-Gigant Cembra Money Bank befanden sich über Jahre in einem regelrechten Schlaraffenland. Zinsen von 13 Prozent trafen auf Refinanzierungskosten von weniger als einem Prozent. Nur der Beschluss des Bundesrats Ende 2015, den Höchstzinssatz für Konsumkredite bei zehn Prozent zu deckeln, bremste die Geschäfte etwas.

Im Schnitt sechs Prozent Rendite

Jetzt, da der grösste Teil der Schweizer Obligationen langfristig sichere Verluste bringt und Sparkonten keinen Zins mehr abwerfen, ist die Anziehungskraft des Crowdlendings besonders gross. Wer Stan1 30 Monate lang Geld für dessen neue Küche leiht, bekommt ohne ein Währungsrisiko einen jährlichen Zins von 4,9 Prozent. Weil Stan1 gut verdient und überschaubare Ausgaben hat, muss er vergleichsweise wenig Zins berappen.

In vielen Fällen liegt der Zins und damit die Rendite für den Anleger deutlich höher, bei der Crowdlending-Plattform Lend etwa zwischen 4,5 und 9,8 Prozent. «Bis dato konnten Anleger eine durchschnittliche Rendite von sechs Prozent einkassieren, und das nach Kosten», sagt Andy Siemers, einer der Gründer der Plattform.

Bevor er Lend auf den Markt brachte, war er Geschäftsleitungsmitglied bei der Cembra Money Bank, dem jetzigen Konkurrenten. Cashare hat achtjährige Erfahrungswerte, die noch auf die Zeit vor der Zehn-Prozent-Deckelung zurückgehen, und wirbt auf der Website mit einer durchschnittlichen Rendite für Darlehensgeber von 9,1 Prozent.

Risiken geringer, als man vermuten würde

Ohne Risiken gibt es derartige Renditen nicht. Wird der Gläubiger zahlungsunfähig und bleibt die Krediteintreibung erfolglos, ist der Einsatz verloren. Doch aus verschiedenen Gründen sind die Risiken geringer, als man vermuten würde. So versuchen die Plattformen Ausfälle so weit wie möglich zu vermeiden. Die meisten Crowdlending-Anbieter unterliegen dem Konsumkreditgesetz; alle orientieren sich an dessen Grundsätzen. «Es gibt untereinander ein grosses Interesse, keine schwarzen Schafe und keine Ausfälle zu haben», sagt Andreas Dietrich. Er ist Dozent am Institut für Finanzdienstleistungen Zug (IFZ) und bringt jeweils den Bericht «Crowdfunding Monitoring Schweiz» heraus.

Laut Dietrich sind die Plattformen «aus Gründen der Reputation» bei der Auswahl der zu finanzierenden Kreditnehmer genauso streng, wenn nicht strenger als Banken. Es würden viele Anträge abgelehnt. Offenbar kommen rund 80 Prozent der Kreditanfragen erst gar nicht auf die Plattformen.

Bei der Prüfung der Anträge wird ein grosser Aufwand betrieben. Betreibungsinfos werden aufgerufen, eigene und externe Bonitätsdaten eingeholt, Recherchen im Social-Media-Bereich betrieben, Behavioral-Data- und Big-Data-Analysen erstellt. Lend kooperiert mit Intrum Justitia, um möglichst viele Daten über die Kreditnehmer zu erhalten. Die auf KMUs spezialisierte Creditworld bezieht vom externen Anbieter Euler Hermes ein unabhängiges Rating für die Kredite. Das sei laut Partner Nicolas Meier besonders wichtig, um Interessenkonflikte zu vermeiden.

Niedrige Ausfallraten

Insgesamt profitieren die Anbieter davon, dass die Schweiz mit sehr niedrigen Ausfallraten von weniger als einem Prozent gesegnet ist. Der wesentliche Grund sind schweizspezifische Einrichtungen wie Betreibungsregister oder Verlustscheine, die sich positiv auf die Zahlungsmoral auswirken.

Ganz automatisch sinkt das Risiko bei vergebenen Krediten mit der Zeit. Der simple Grund ist die laufende Rückzahlung: Der potenzielle Verlust im Falle eines Kreditausfalls verringert sich bereits ab dem ersten Monat. Im Unterschied dazu zahlen die Gläubiger die Schulden bei Obligationen erst am Ende der Laufzeit zurück.

Diversifikation ist wichtig

Eine der wichtigsten Regeln für Anleger ist die Diversifikation, auch beim Crowdlending. Das Investment in der Anlageklasse sollte auf möglichst viele und verschiedenartige Gläubiger aus verschiedenen Branchen aufgeteilt werden. Auch bei den Laufzeiten ist Verschiedenartigkeit angesagt. Wer 20'000 Franken zu gleichen Teilen in 20 Projekte investiert, hat den maximalen Verlust pro Projekt auf 1000 Franken oder fünf Prozent der Investitionssumme begrenzt. Da auf den Plattformen auch Kleinstbeträge investierbar sind, ist eine sehr breite Streuung möglich. Nach und nach kann so ein Depot aus Krediten aufgebaut werden.

Eine automatische Diversifikation bieten Firmen wie CreditGate24 mit der Solidaritätsvereinbarung. Fällt ein Kredit aus, wird der Ausfall des Kreditbetrages proportional auf alle Anleger in der gleichen Ratingstufe verteilt. Firmen wie Lend oder Creditworld haben sich gegen eine solche Solidarhaftung entschieden.

Wer sich eigenständig breit aufstellt, sollte darauf achten, dass die Ratings der Gläubiger zum eigenen Risikoprofil passen. Wer Risiko scheut, sollte also nur die Gläubiger mit den besten Ratings wählen und auf das eine oder andere Prozent der potenziellen Rendite verzichten.

Auf Herz und Nieren prüfen

Der zukünftige Gläubiger ist auf Herz und Nieren zu prüfen. Bei Cashare kann man ihn direkt befragen. Meist ist das jedoch nicht nötig. Denn wer sich über eine Crowdlending-Plattform Geld leihen will, muss die finanzielle, berufliche und zum Teil auch die private Situation offenlegen.

Die Transparenz ist unterschiedlich: «Wir verzichten darauf, dass sich Kreditnehmer über die Motivation des Kredites äussern müssen. Auch haben wir Namen und jegliche Kommunikationsmöglichkeiten zwischen Kreditnehmer und Anleger weggelassen. Diese Informationen sind nicht risikorelevant und führen oft sogar zu finanziell falschen Schlüssen», sagt Siemers von Lend und grenzt sich so von Mitbewerber Cashare ab.

Wichtiger als der Name ist der Freibetrag

Einen eigenen Weg geht CreditGate24. Das Unternehmen rückt vom klassischen P2P-Modell ab, um die Anonymität der Vertragspartner zu wahren, und vergibt die Darlehen in eigenem Namen. Die Forderungskaufverträge werden mit den Kreditgebern abgeschlossen; die Identität der Parteien wird nur im Konkursfall offengelegt.

Wichtiger als der Name ist der Freibetrag, also die Summe, die der Schuldner jeden Monat zur Begleichung seiner Schulden zur Verfügung hat. Vielsagend ist die Konstanz im Leben der Schuldner. «Je stabiler die Lebenssituation, desto besser ist das Kreditrisiko», weiss Siemers. Aussagekräftig sind die Dauer des aktuellen Arbeitsverhältnisses und die Zuverlässigkeit bei der Schuldentilgung. Im Rating sind die Qualitäten der Gläubiger berücksichtigt.

Selbst für den schlimmsten Fall ist bei manchen Anbietern über Versicherungen vorgesorgt. Bei CreditGate24 wird in allen Ratingstufen im Todesfall die Restschuld bis 100'000 Franken versichert. Bei Lend sind die meisten Kreditnehmer gegen unverschuldete Arbeitslosigkeit, Tod und Erwerbsunfähigkeit versichert. Auch Cashare bietet bei Privatdarlehen Restschuldversicherungen an. Bei Krediten an Unternehmen machen solche Versicherungen wenig Sinn und werden daher nicht angeboten.

Die Plattform treibt das Geld ein

Über die Investition hinaus gibt es für den Anleger wenig zu tun. Die Plattform leitet die Ratenzahlungen weiter und kümmert sich bei Verzug um Mahnung und Inkasso. Persönliche Bereiche auf der Plattform bieten dem Anleger eine Übersicht über Investment und Zahlungsplan. Arbeit macht ihm nur eine allfällige Reinvestition der stetig rückfliessenden Gelder. Aber auch das wird von den Programmen unterstützt.

Mittlerweile kann man in der Schweiz zwischen verschiedenen Crowdlending-Plattformen wählen (siehe Tabelle links). Die Gebühren sind vergleichbar; auch die Transparenz über die Kosten und das Portfolio ist bei allen gross. «Welche Plattform man wählt, ist Geschmackssache», sagt Dozent Dietrich. So sind Auktionsverfahren von Cashare oder Swisspeers nicht jedermanns Sache. Dort kommen die Investoren zum Zug, die den niedrigsten Zins bieten. Kritiker aus dem Fixzins-Lager bemängeln, dass solche Auktionen Bauchentscheidungen förderten und nur auf effizienten Märkten funktionieren könnten.

Stan1 hat vom Auktionsverfahren profitiert. Der Renovation der Küche steht nichts mehr im Wege.

Erich Gerbl
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