Wie wohnen Sie selber?

Donato Scognamiglio:
Ich lebe seit zehn Jahren in einer Mietwohnung in einer Flughafengemeinde.

Keine Lust auf Wohneigentum?

Das ist leider eine Preisfrage. In meinem Wohnort sind wegen des tiefen Steuerfusses die Immobilienpreise extrem hoch. Statt dass ich für 2,7 Millionen Franken ein 40-jähriges, sanierungsbedürftiges Einfamilienhaus kaufe, Kerosingeruch vom nahen Flughafen inklusive, bleibe ich lieber noch ein paar Jahre Mieter, bis meine Kinder aus der Schule sind. Dann können wir in eine günstigere Gemeinde ziehen und uns dort eine Immobilie leisten.

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Wenn man mal ein Haus gekauft hat, wird man noch immobiler. Volkswirtschaftlich gesehen ist das doch schädlich.

Absolut. Mit dem Erwerb von Wohneigentum sinkt die Arbeitsmarktmobilität, und eine hohe Wohneigentumsquote, die die Politik anstrebt, ist eigentlich ein volkswirtschaftlicher Wettbewerbsnachteil. Wir verklären also das Wohneigentum.

Wenn man sich trotzdem für Wohneigentum entscheidet: Raten Sie unter RenditeRisiko-Überlegungen zu Einfamilienhaus oder Eigentumswohnung?

Wohneigentum ist immer eine Kombination aus zwei Akiven: Einem Backstein und einem Stück Boden. Letzteres ist bei einem Einfamilienhaus wirklich eigenes Land, bei einer Eigentumswohnung bloss der kleine Anteil an einem gemeinsamen Grundstück. Grundsätzlich kann nur der Boden an Wert gewinnen, der Stein dagegen verliert durch Alterung kontinuierlich an Wert. Das heisst, je mehr Boden und je weniger Backstein ich habe, umso grösser ist das Wertsteigerungspotenzial.

Also haben Einfamilienhäuser dank dem Grundstück, worauf sie stehen, das grössere Wertsteigerungspotenzial. Trotzdem sind die Preise für Eigentumswohnungen in den letzten Jahren stärker gestiegen.

Man darf sich nicht täuschen lassen: Im Prinzip schreibe ich langfristig eine Eigentumswohnung nur ab. Die Preissteigerungen, die wir erlebt haben, sind eine Folge der stark gestiegenen Nachfrage durch die Zuwanderung. Im Schnitt ziehen pro Jahr netto 80000 Personen in die Schweiz. Würde die Zuwanderung durch die Rezession oder politische Vorstösse abgewürgt, würde die Preissteigerung bei Eigentumswohnungen schlagartig aufhören.

Sie haben die stark gestiegenen Immobilienpreise erwähnt: Gibt es in der Schweiz für Schnäppchenjäger noch «unentdeckte» Regionen mit Wertsteigerungspotenzial?

Es mag nach einem Schnäppchen aussehen, wenn Sie für den Gegenwert einer Villa am Zollikerberg einen halben Weiler im Thurgau kaufen können. Aber dafür sind dort die Steuern deutlich höher, und man ist weit weg von Arbeitsplätzen und Ausgehmöglichkeiten. Der Schweizer Immobilienmarkt spielt also perfekt: Die Preise entsprechen dem, was ich bekomme. Es gibt allerdings eine Einschränkung.

Nämlich?

Der Markt preist nur sehr verzögert Änderungen in der Standortattraktivität ein, welche sich aus Infrastrukturprojekten ergeben. Vielleicht misstraut der Markt politischen Prozessen. Beispiel Zürcher Westumfahrung: Jedermann wusste, dass die Autobahnumfahrung kommen und die innerstädtische Westtangente vom Durchgangsverkehr entlasten würde. Aber kaum jemand griff bei Immobilienobjekten zu; heute sind sie ein x-faches mehr wert.

Wer das verpasst hat: Gibt es andere aktuelle Chancen?

Etwa den Gotthardbasistunnel: Die Ferienregionen Lugano und Locarno rücken eine Stunde näher an die Deutschschweiz und werden so eine erhöhte Nachfrage erfahren. Die Immobilienmärkte haben das noch nicht vollständig eingepreist.

Es gilt also, Infrastrukturprojekte von Autobahn und SBB im Auge zu behalten?

Die Standortqualität kann sich auch durch ein grosszügigeres Steuerregime verbessern – ebenso durch die Ansiedlung internationaler Konzerne. Nehmen Sie Schaffhausen, wo sich immer mehr ausländische Konzerne mit zahlungskräftigen Mitarbeitern niederlassen: Es gibt Schaffhauser, die ihr Wohneigentum für 6500 Franken pro Monat an ausländische Expats vermieten und selber in eine deutlich billigere Mietwohnung umziehen.

Bislang sprachen wir von Chancen auf steigende Immobilienpreise. Wo sehen Sie die grössten Risiken für fallende Preise?

Scognamiglio: Ich sehe erhebliche Risiken bei Stockwerkeigentum an zweitklassigen Lagen: Agglomerations-Eigentumswohnungen, welche sich im Siedlungsbrei mit Mietskasernen vermischen. Oft handelt es sich um umgenutzte Mehrfamilienhauswohnungen – so «ringhörig», dass Sie mitduschen, wenn der Nachbar duscht. Eine zweite Gefahr sehe ich bei gewissen Mehrfamilienhäusern.

Inwieweit?

Aus dem Anlagenotstand heraus kaufen viele Leute Mehrfamilienhäuser – oft Objekte, die Pensionskassen als unrentabel abstossen. Ein 40-jähriger, sanierungsbedürftiger Wohnblock etwa wird mit 5,1 Prozent Bruttorendite Privaten als Renditeperle angepriesen. Das geht nicht auf!

Was wäre denn eine vernünftige Rendite?

Von der Bruttorendite ist ein Viertel bis ein Drittel für Unterhalt und Abschreibungen abzuziehen. Ausgehend von 5,1 Prozent Bruttorendite landen Sie somit bei 3,4 bis 3,8 Prozent Nettorendite. Zum Vergleich: Pensionskassen lassen die Hände von allem, was keine Vier vor dem Komma hat.

Die institutionellen Anleger stehen unter massivem Renditedruck. Führt das dazu, dass sie aus Wohnliegenschaften in andere Immobilienkategorien diversifizieren?

Nein. Unabhängig von der Kategorie liegen die meisten zum Verkauf stehenden Objekte unter der Sollrendite der Pensionskassen. Konkret: Um ihre Verpflichtungen zu erfüllen, brauchen Kassen eine Mindestrendite von 3,8 bis 3,9 Prozent; Investments mit tieferen Renditen reduzieren faktisch den Deckungsgrad. Kassen sehen daher von Zukäufen ab und investieren lieber in die Sanierung ihres bestehenden Liegenschaftenbestands mit dem Ziel von höheren Mieteinnahmen.

Oft hört man, private Investoren trieben mit ihren Vorstellungen von tiefen Renditen im Wettstreit mit den institutionellen Anlegern die Immobilienpreise nach oben.

Wenn Sie sich die typischen Internetmarktplätze für Privatkäufer anschauen, so werden auf den diversen Plattformen etwa 80 000 Objekte angeboten. Aber darunter sind bloss 300 bis 400 Mehrfamilienhäuser, davon fünf mit über 5 Millionen Franken Kaufpreis. Zum Vergleich: Die durchschnittliche Transaktion bei Schweizer Institutionellen liegt bei 10 Millionen. Die Märkte von institutionellen und privaten Käufern sind zwei verschiedene Welten mit wenig Überschneidungen.

Was wären Faktoren, die einen breiten Immobiliencrash bewirken würden?

Ein rascher Zinsanstieg wegen einer aus dem Ruder laufenden Inflation, kombiniert mit einer deutlichen Konjunktureintrübung, die die Zuwanderung zurückgehen liesse. Die Marktkorrektur finge wohl bei den erwähnten überteuert erworbenen Mehrfamilienhäusern an, denn es würde trotz steigender Zinskosten ein bis drei Jahre dauern, bis der träge Referenzzinssatz ebenfalls stiege und Mieterhöhungen zuliesse. Ebenfalls als Erstes betroffen wären die vielen Personen mit Einkommen um 100 000 Franken, die sich zwei Häuser gekauft haben – und generell Wohneigentümer, deren Liegenschaft zu grosszügig finanziert worden ist.

Der Bundesrat wirft den Banken vor, dass sie zu grosszügig Kredite sprächen und zu oft von ihren eigenen Hypothekarvergaberegeln abwichen. Ist die Kritik berechtigt?

Es gibt dazu keine Statistiken. Was sich aber feststellen lässt: Es gibt einige Banken, die zum Beispiel früher bei Tragbarkeitsrechnungen mit 5 Prozent langfristigem Hypothekarzins kalkulierten, heute dagegen nur mit 4,5 Prozent. Die Bankiervereinigung ist nun daran, ihre Richtlinie zur Hypothekarvergabe zu überarbeiten.

Tut eine restriktivere Vergabepraxis nicht dringend not, zumal das Hypothekarvolumen in der Schweiz deutlich stärker wächst als die Wirtschaft? Allein 2010 stieg das Volumen um 4,6 Prozent.

Langfristig weist das Schweizer Hypothekarwachstum sehr hohe Schwankungen auf. Derzeit liegen die Zuwachsraten aber immer noch klar unter dem Mittelwert von 6,5 Prozent seit Anfang der 70er-Jahre.

Viele Schweizer Wohnimmobilien stammen aus früheren Jahrzehnten. Lohnen sich dort energiesparende Investitionen?

Ich bin skeptisch. Wenn der Vermieter in die Verbesserung der Energieeffizienz investiert, reduzieren sich die Nebenkosten für die Mieter. Die Investitionskosten bleiben beim Vermieter und drücken auf die Rendite des Objekts. Wir beobachten daher, dass bei Altbauten nur sehr zurückhaltend in energetische Verbesserungen investiert wird – sofern dies denn möglich ist. Bei vielen Gebäuden bestehen nämlich denkmalpflegerische Restriktionen.

Das tönt nicht gerade sehr ermutigend ...

Hinzu kommt: Die Hälfte der Energieeinsparungen geht auf das Verhalten der Nutzer zurück – ökologische Investitionen des Vermieters werden also zu einem schönen Teil zunichte gemacht, wenn Mieter ihr Verhalten nicht ändern. Ich behaupte, Energiesanierungsmassnahmen bei Altbauten lohnen sich heute für die Anbieter entsprechender Produkte und Dienstleistungen, sie rechnen sich aber nicht für den Vermieter in Form höherer Erträge.

Führen solche Massnahmen wenigstens zu einem erhöhten Werterhalt?

Wir sind derzeit am Erfassen von Transaktionsdaten. In einigen Monaten werden wir wissen, ob die Investitionen zu höheren Wiederverkaufspreisen führen.

Was erwarten Sie?

Ich denke, dass man etwa die Hälfte der Investitionen durch einen höheren Wiederverkaufspreis wieder hereinholt.

 

Der Mensch

Name: Donato Scognamiglio
Funktion: CEO von IAZI in Zürich
Jahrgang: 1970
Familie: Verheiratet, drei Kinder
Ausbildung: Betriebs- und Volkswirtschaftsstudium in Bern und an der William E. Simon Graduate School of Business Administration in Rochester NY, Statistikstudium an ETH Zürich. Promotion an Uni Bern.


Das Unternehmen
Das Zürcher Informations- und Ausbildungszentrum für Immobilien (IAZI) zählt zu den führenden Immobilienberatungsunternehmen der Schweiz. Durch Analyse von Zehntausenden Transaktionen entwickelte IAZI ein Immobilienbewertungsmodell, das weite Anwendung bei Banken, Pensionskassen und Versicherern findet.