Das war eine Rakete wie bei einem Feuerwerk! In nur wenigen Minuten schossen Europas Börsenkurse am vergangenen Donnerstag kurz nach Mittag steil nach oben. Im Chart der Indizes erkennt man eine steile lange Kerze. Der SMI legte innert 30 Minuten 0,6 Prozent zu, der DAX in Deutschland machte einen Hüpfer um 0,5 Prozent und der Euro Stoxx 50 feuerte sogar 0,9 Prozent nach oben. Bis zum Börsenschluss am Freitag verbuchten die Märkte dann noch weitere Kursgewinne. Besonders deutlich war das Plus an der Börse Mailand. Der Aktienindex MIB 30 mit den italienischen Blue Chips kletterte um 1,5 Prozent in die Höhe.

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Aber auch Obligationen machten einen Sprung. Im Schweizer Bond Index SBI resultierte am Donnerstag innert weniger Minuten ein Plus von sechs Basispunkten, der Euro Bund Future legte sogar 96 Basispunkte zu.

Zinssenkung durch die EZB

Auslöser der Kursspitzen am Aktienund Obligationenmarkt war die erneute Zinssenkung durch die Europäische Zentralbank (EZB). Die Notenbank für den Euro-Raum hatte am Donnerstag beschlossen, den Strafzins, den Banken für Einlagen dort bezahlen müssen, von –0,4 auf –0,5 Prozent zu ändern. Gleichzeitig wurde die Wiederaufnahme von Anleihekäufen durch die Zentralbank ab November verkündet.

Steigende Kurse bei Zinssenkungen sind allerdings nicht neu. Bereits vor drei Monaten hatte der US-Notenbank-Chef eine Senkung des Leitzinses in den USA signalisiert. «Auf Basis dieses neuen Zinsumfelds – lower for longer – haben die Anlageklassen schon im Juni neue Rekorde aufgestellt wie etwa die Börsen in den USA, Australien oder der Schweiz», berichtet Stefan Kreuzkamp, Anlagestratege bei DWS.

Manche Titel oder Sektoren glänzen dabei ganz besonders. «Im Rahmen der neuen Zinssenkungsrunden sind bei Aktien zyklische Werte wie etwa aus den Sektoren Grundstoffe, Bergbau, Informationstechnologie und zyklische Konsumgüter gefragt», weiss Experte Kreuzkamp. Tatsächlich zog es beispielsweise Tech-Werte in der vergangenen Woche nach dem Zinsschritt der EZB deutlich stärker nach oben als Blue Chips. So legte der Tecdax in Deutschland innert einer Stunde um 1,1 Prozent zu.

Immobilienaktien kaufen

Das leuchtet ein. Tech-Werte sind in der Regel relativ hoch verschuldet und tiefe Zinsen bedeuten günstige Finanzierungskonditionen für das Wachstum. Derzeit konnten Halbleiter besonders stark zulegen. Dort gab es wegen der Handelsreibereien zwischen den USA und China zuvor auch zusehends Druck auf das Geschäft, jetzt aber scheint sich erneut eine Entspannung zwischen den beiden Supermächten anzudeuten. Zinssenkung und Entspannung an der Handelsfront befeuern den Kursauftrieb der Chiphersteller somit gleich zweifach.

Starke Kursgewinne im deutschen Tecdax gab es nach dem Zinsentscheid der EZB deshalb auch bei Infineon, Siltronic, S&T und Software AG. Im SPI zählten Werte wie AMS mit einem Kursplus von 17 Prozent, Huber+Suhner, U-blox oder VAT Group mit Kurssteigerungen von sechs bis zwölf Prozent zu den Lieblingen der Anleger.

Bei Niedrig- und noch mehr Negativzinsen sind auch Immobilienaktien gefragt. In solch einem Umfeld mit extrem günstigen Finanzierungskonditionen für Liegenschaften ist Betongold fast unschlagbar. So wundert es nicht, dass die Aktien der grossen Player wie Swiss Prime Site, PSP Swiss Property oder Mobimo von der Zinssenkung am vergangenen Donnerstag ebenfalls beflügelt wurden und im Bereich ihrer Allzeithochs notieren.

Bonds Sekrtoren

Wie bei Aktien gibt es aber auch bei Bonds Sektoren, die vom Zinstief besonders profitieren. «Zu den grössten Gewinnern der Anleiherally zählen höherrentierliche Papiere wie Staatsanleihen aus Italien oder den Schwellenländern sowie Hochzinsanleihen aus den USA oder der Euro-Zone», berichtet Anlagestratege Kreuzkamp.

Obwohl die Staatspapiere vieler Länder oft schon auf einem Allzeithoch notieren, könnte das Ende der Fahnenstange noch nicht erreicht sein. So rechnen viele Ökonomen mit einem weiteren Zinsschritt der US-Notenbank. In diesem Jahr könnte Fed-Chef Powell den Zins nochmals um 25 Basispunkte senken. Manche Analysten halten sogar weitere Zinsschritte der Fed im nächsten Jahr und einen Zins von 0 Prozent für möglich.

Die EZB könnte ebenfalls weitere Schritte folgen lassen. Hatte sie doch den Strafzins vergangene Woche nur von –0,4 auf –0,5 Prozent und nicht, wie von manchen Marktteilnehmern erwartet, auf –0,6 Prozent gesenkt. Weitere Zinsschritte nach unten mit immer höheren Strafzinsen und die wiederbelebten Anleihekäufe durch die Notenbank könnten dafür sorgen, dass immer mehr Institutionelle zu Obligationen greifen und die Kurse weiter steigen.

Immerhin sind viele institutionelle Investoren auch aus regulatorischen Gründen gezwungen, Staatspapiere zu kaufen, um Strafzinsen zu vermeiden. Denn solange die Negativrendite von Obligationen des Schweizer Staats oder von Deutschland höher sind als –0,75 beziehungsweise –0,5 sparen institutionelle Anleger in solchen Fällen Geld.

Kryptowährungen sind die Gewinner

Spekulanten dagegen setzen darauf, dass die Kurse weiter steigen. In der Schweiz etwa scheint es nach den Kursrückgängen am Rentenmarkt im Swiss Bond Index (SBI) in den letzten vier Wochen von 147 auf 142 Punkte sogar kurzfristig schon wieder Luft nach oben zu geben.

Zu den Gewinnern der Zinssenkung zählen auch Kryptowährungen. So stieg der Bitcoin nach der Rede von Fed-Chef Powell Mitte Juni und seinen Aussagen zu Zinssenkungen innert einer Woche um 35 Prozent an. «Mittels riskanterer Anlagen wie den Kryptowährungen wollen Anleger am Geschenk der Zentralbanken mit Niedrigstzinsen partizipieren und schützen sich auf der anderen Seite mit Gold oder lang laufenden Staatsanleihen vor den geopolitischen Gefahren», erklärt Börsianer Kreuzkamp.

Gold und Silber

Tatsächlich konnten Gold, aber auch Silber, von der aktuellen Zinssenkung der EZB kurzfristig stark profitieren. So sprang der Preis der beiden Edelmetalle am Donnerstag in nur einer Stunde jeweils um 1,5 Prozent nach oben. «Gold bringt keine Zinsen, und deshalb haben viele Anleger beim Edelmetall die Opportunitätskosten für das Halten von Gold im Auge: den entgangenen regelmässigen Ertrag», weiss Kreuzkamp.

Während es bei Bitcoin oder Gold keine Zinsen gibt, haben Anleger mit Aktien echte Renditepapiere in der Hand. Deren Dividenden können ein gut planbares Einkommen generieren. In der Schweiz gibt es regelrechte Renditeperlen: So bringen beispielsweise die drei Blue Chips Swisscom, Swiss Re und Zurich Financial Services Dividendenrenditen zwischen 4,5 und 5,5 Prozent pro Jahr.

Bei weiter steigenden Strafzinsen werden diese hohen Ausschüttungen in Relation zum Negativzins bei Bonds zunehmend attraktiv und immer mehr Investoren dürften auf Aktien umschwenken. Swiss Re übrigens ist derzeit nicht nur in Bezug auf Renditegesichtspunkte spannend, sondern auch aus charttechnischer Sicht: Die Aktie ist vor wenigen Tagen über den Widerstand beim Zwölfjahreshoch vom April nach oben ausgebrochen. Das könnte auch vor dem Hintergrund der hohen Dividende ganz schnell zu Kurssteigerungen von zehn bis 20 Prozent führen.