Marthalen im Zürcher Weinland gilt als schöner Wohnort. Das Dorf ist sonnig, ruhig und nicht weit entfernt von den Zentren Winterthur und Schaffhausen. Rebberge und Wald umringen die Häuser. Nun stört ein Vorhaben dieses Bild vom idyllischen Leben auf dem Land: Die Region um Marthalen ist ein möglicher Standort für das Atomendlager.

 

 

Da stellt sich die Frage, ob Marthalen auch mit Atommüll als attraktiver Wohnort gelten würde. Die meisten Schweizer möchten nicht in der Nähe von hochradioaktivem Abfall wohnen – auch wenn er tief im Boden vergraben und streng überwacht ist. Ein Tiefenlager könnte demzufolge die Immobilienpreise in der Gegend belasten. Dieser Annahme ist das Bundesamt für Energie nachgegangen.

Partner-Inhalte
 
 
 
 
 
 
Tiefenlager

Geologisches Tiefenlager: Die orange eingefärbten Gebiete sind in der Auswahl.

Quelle: BFE/Swisstopo

Die in seinem Auftrag erstellte Studie gab 2011 allerdings Entwarnung: Ein Super-GAU auf dem regionalen Immobilienmarkt ist nicht zu erwarten. Zwar könnten die Preise laut der Analyse durchaus sinken, wenn in der Gegend Atommüll gelagert wird – der Wertverlust dürfte sich allerdings höchstens im «einstelligen Prozentbereich» bewegen. Die Studie nahm dabei unter anderem Bezug auf Untersuchungen zum Effekt von Atomkraftwerken. Eine vielbeachtete Masterarbeit an der Universität Bern 2011 etwa kam zum Schluss, dass AKWs die Hauspreise in der Nähe zwischen fünf und zehn Prozent drückten.

Immobilienexperte Claudio Saputelli von der UBS hält bei Tiefenlagern eine gegenteilige Wirkung für wahrscheinlich: «Ich würde auf einen positiven Effekt tippen.» Natürlich wecke die Vorstellung, über hochradioaktivem Abfall zu leben, viele Ängste. Doch die Bevölkerung werde sich vermutlich rasch daran gewöhnen, dereinst neben gefährlichem Gut zu leben. Das geologische Tiefenlager soll erst 2060 in Betrieb gehen. Das Lager wird zudem nicht wie ein Atomkraftwerk schon von weitem zu erkennen sein. Es wird kein Kühlturm mit Dampffahne entstehen, der die Bevölkerung täglich an die Atomenergie erinnert.

Die betroffene Gemeinde erhält nicht nur hochgefährliches Material: Es wird auch viel Geld fliessen. Die Region wird für die Lagerung finanziell entschädigt. Zudem entstehen zumindest während des – aufwändigen – Baus viele Jobs. Die wirtschaftlichen Vorteile dürften aus Sicht von Saputelli die Nachteile mehr als aufwiegen. Er verweist auf die Immobilienpreise an Atomkraftwerkstandorten wie Leibstadt oder Däniken (Gösgen). «Däniken profitiert extrem von den Arbeitsplätzen und den Steuereinnahmen des AKWs.»

Marthalen_Immobilienpreise

In Marthaler steigen die Einfamilienhauspreise. Quantil (z.B. 50%-Q) hat folgende Bedeutung: x% (z.B. 50%) aller ermittelten Beobachtungen liegen unter dem angegebenen Wert.

Quelle: UBS

«Der Impact ist gleich Null»

Seine Sicht stützt der Experte mit der jüngsten Entwicklung in drei Dörfern, die unter anderen als Standortgemeinde in Frage kommen: Marthalen im Zürcher Unterland, die Aargauer Gemeinde Villigen bei Brugg sowie Stadel bei Niederglatt im Kanton Zürich. In allen drei Orten sind die Häuserpreise in den letzten Jahren deutlich angestiegen. Falls der Standortentscheid tatsächlich die Immobilienpreise belastet, müsste das Risiko bereits jetzt aus den Zahlen herauszulesen sein, glaubt Saputelli. «Der Impact ist allerdings gleich Null.»

Experte Saputelli rät Immobilienbesitzern in Marthalen, Niederglatt und anderen Gemeinden in der Auswahl für das Tiefenlager, die Diskussion auszublenden. «Ich würde als Hauskäufer den Standortentscheid  in finanzieller Hinsicht ignorieren.»

DonatoScognamiglioIAZI

Donatello Scognamiglio: Aus Sicht des Immobilienexperten würde ein Atomendlager Immobilienpreise drücken.

Quelle: zvg/IAZI

«Ich rechne mit einem negativen Effekt»

«Niemand will solchen Abfall vor dem Haus», glaubt hingegen Donatello Scognamiglio vom Immobilienberatungsunternehmen IAZI. «Ich rechne mit einem nicht zu unterschätzenden negativen Effekt auf die Immobilienpreise. Besonders in Orten in Nähe des Lagers, die nicht finanziell profitieren, dürfen Häuser an Wert verlieren», sagt Sconamiglio. «In den direkt betroffenen Gemeinden kommt es darauf an, ob sie genug Geld bekommen, um die Nachteile zu kompensieren.» Grosse wirtschaftliche Vorteile sind aus Sicht des Experten nicht zu erwarten. «Wenn die Aussicht auf Jobs und Steuereinnahmen so attraktiv wären, hätten wir die Standortgemeinde schon längst ausgewählt.»