Der Seeweg von Europa nach Indien und Ostasien führte bis weit ins 19. Jahrhundert um die Südspitze Afrikas. Erst die Eröffnung des Suezkanals im Jahr 1869 brachte eine schnellere Route. Seither war das Jahrhundertbauwerk aus dem Welthandel nicht mehr wegzudenken – bis heute.

Denn wegen dem niedrigen Ölpreis findet nun wieder ein Umdenken bei den Reedereien statt. Statt der schnellen Fahrt durch den Kanal nehmen Containerschiffe lieber die tausende Kilometer längere Route um die Südspitze Afrikas auf sich. Das zeigen Analysen von Branchenbeobachtern wie OPIS Tanker Tracker und SeaIntel.

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Schiffsdiesel gibt es zu Spottpreisen

Zwischen Oktober 2015 und dem Jahresende haben laut einem BBC-Bericht mehr als 100 Schiffe die alte Route ums Kap der Guten Hoffnung genommen. Dies, obwohl sich beispielsweise die Strecke von Rotterdam nach Singapur um 6500 Kilometer verlängert, wenn der Suezkanal gemieden wird.

Hintergrund des Rückfalls in Gewohnheiten des 19. Jahrhunderts ist der tiefe Ölpreis. Dieser sank seit 2014 von weit über 100 Dollar auf gut 40 Dollar pro Barrel. Der Preis für Schiffsdiesel sank seit Mai 2015 von 400 Dollar pro Tonne auf zuletzt noch etwa 150 Dollar. Das bedeutet, dass Seereisen deutlich günstiger sind als noch vor wenigen Jahren.

Exorbitante Gebühren

Die Durchfahrt durch den Suezkanal ist mit hohen Gebühren verbunden. Laut der weltweit grössten Containerschiff-Reederei Maersk verlangen die Ägypter rund 350'000 Dollar pro Schiff und Passage. Die Kanalbehörde erwirtschaftet damit einen Jahresertrag von derzeit 5,3 Milliarden Dollar.

Ein zusätzliches Ärgernis sei die einheimische Crew, die für die Durchfahrt durch den Kanal an Bord genommen werden muss, sagt Journalistin und Autorin Rose George der BBC. Diese mache nichts, ausser Souvenirs zu verkaufen und Zigaretten oder Schokolade als «Steuer» einzuziehen.

Milliardenpläne der Regierung

Erst im letzten Jahr hat der frühere Armeechef und heutige Machthaber Abdel Fattah al-Sisi den sogenannten «neuen Suezkanal» offiziell eröffnet. Innerhalb eines Jahres war die Wasserstrasse an einigen Stellen verbreitert und auf einer 72 Kilometer langen Strecke zweispurig ausgebaut worden. Damit sollen sich die Wartezeiten deutlich verringern und somit mehr Schiffe durchgeschleust werden können.

Die Ägypter erhoffen sich von der Kapazitätserhöhung eine Steigerung des Ertrags auf 13,2 Milliarden Dollar im Jahr 2023. Experten zweifeln aber an diesen Prognosen. Denn bereits der alte Kanal war im vergangenen Jahr nur zu 70 Prozent ausgelastet. Und Gebühren, Ölpreis sowie die globale Wirtschaftsentwicklung haben – wie sich jetzt wieder zeigt – einen grossen Einfluss auf die Durchfahrtszahlen.

Langsam kann besser sein

Das Regime gehe von sehr optimistischen Zahlen aus, sagte etwa Ägypten-Experte Matthias Seiler bei der Eröffnung gegenüber dem Fernsehsender Arte. «Viele Ökonomen halten die ägyptische Kalkulation mehr für Wunschdenken».

Die grossen Reedereien wiederum experimentieren wegen sinkenden Margen seit einigen Jahren mit neuen Transportmodellen. So werden Containerschiffe immer grösser, trotz teilweise massiver Überkapazitäten. Mit sogenanntem «Slow steaming» («Langsamfahrt») werden dafür die Treibstoffkosten reduziert und gleichzeitig die Fahrtzeiten verlängert, was auch die Kapazitäten wieder senkt.

Schwimmende Lager

Längere Fahrtzeiten können auch sonst Sinn machen. Öltanker werden in der gegenwärtigen Preissituation beispielsweise als schwimmende Lager genutzt. In der Hoffnung auf steigende Preise ist ein schneller Verkauf gar nicht im Interesse der Reeder. Warum sollten die Tanker also nicht auf der alten Route um Afrika herumfahren, statt vor Anker zu gehen und tatenlos abzuwarten?