Der EZB-Zinsschritt setzt die SNB unter Zugzwang

Nach der grössten Leitzinserhöhung in der Geschichte der Europäischen Zentralbank (EZB) steht die Schweizerische Nationalbank (SNB) unter Zugzwang. Die SNB muss ihrerseits an der Zinsschraube drehen, um die Inflation unter Kontrolle zu halten. Unterm Strich geht es um den Franken. Wenn die Schweiz mit der EZB Schritt hält, bleibt die Währung stark. Und dank der starken Währung bleibt die Inflation vergleichsweise tief – ein Glücksfall für die SNB und für die Schweizer Volkswirtschaft. Es ist paradox: In den letzten Jahrzehnten wünschten sich die Notenbanken weltweit eine schwache Währung. Das Hauptproblem war eine zu niedrige Inflation und eine hohe Arbeitslosigkeit. Eine relativ schwache Währung agierte als Stimulus für die Wirtschaft. Sie machte Exportgüter relativ günstiger. Umgekehrter Währungskrieg Berühmt sind die Äusserungen von Donald Trump. Der ehemalige Präsident der Vereinigten Staaten warf China und Europa vor, ein grosses Devisenmanipulationsspiel zu spielen. Die expansive Geldpolitik würde die jeweiligen Währungen relativ günstig machen und damit den USA schaden. Seit 2022 stehen die Zentralbanken aber im umgekehrten Währungskrieg. Die grössten innenpolitischen Probleme sind ein Arbeitskräftemangel und eine zu hohe Inflation. Eine viel zu hohe Inflation sogar. Drei Länder der Euro-Zone haben eine Teuerungsrate von mehr als 20 Prozent. Bei gleichbleibenden Löhnen – oder auch nur bei leicht steigenden Löhnen – geht so massiv Kaufkraft verloren. Die Ärmsten trifft es am heftigsten. Bei ihnen geht es um die Existenz. Die Schweiz steht mit einer Teuerungsrate von 3,5 Prozent vergleichsweise gut da. Angesichts des Monsters, das im europäischen Umland langsam Löcher in die Wirtschaft frisst, geht es der Schweiz grossartig. Ja, die Preise sind über dem Zielband, das die SNB anvisiert. Aber die knapp über 3 Prozent werden weitestgehend achselzuckend weggesteckt. Der Muskelprotz Franken hilft, die Importpreise zu senken. Das schlägt auf die Verbraucherpreise durch. Sie werden in die Richtung gedrückt, die die SNB will. Das Ziel stabiler Preise liegt bei 2 Prozent oder weniger. Der Franken ist nicht überbewertet Interessanterweise hat der Franken dabei nur nominal zugelegt. Inflationsbereingt liegt er im Zehnjahresdurchschnitt. Das heisst: Der Franken wertet zwar auf, aber die Güter im Ausland auch. Und wenn beide Faktoren berücksichtigt werden, ist die Franken-Stärke gar nicht mehr so schlimm. Unter anderem deshalb gab es bislang noch kein grösseres Aufmucken der Wirtschaft. Ein weiterer Grund: Der Dollar hat zuletzt ebenfalls an Muskeln gewonnen. Und der Dollar-Raum ist für die Schweizer Wirtschaft zum Teil noch wichtiger als der Euro-Raum. Bei den beiden Big-Pharma-Konzernen Novartis und Roche etwa ist es der mit Abstand wichtigste Absatzmarkt. Entsprechend relevant ist das Devisenpaar Franken/Dollar. Ausserdem haben die beiden – wie viele andere Schweizer Firmen – eine relativ grosse Preissetzungsmacht. Sie können die Inflation weiterreichen. Ein dritter Grund: Das letzte Jahrzehnt war ein Stahlbad. Die Firmen haben sich mit einem starken Franken arrangiert. Sie haben automatisiert, was möglich war. Sie haben Arbeitsschritte verlagert und Prozesse optimiert. Was in der Schweiz verblieben ist, kann die Franken-Stärke aushalten. Dass SNB-Chef Thomas Jordan weiterhin einen starken Franken möchte, dass er – analog zur EZB – an der Zinsschraube drehen wird, hat er zuletzt am Notenbanker-Treffen in Jackson Hole klargemacht. «Die Pandemie und der Krieg in der Ukraine haben die Rahmenbedingungen für die Zentralbanken grundlegend verändert», gab er unumwunden zu. Angst vor Lohn-Preis-Spirale Die SNB sei gegenwärtig mit einer Inflationsrate konfrontiert, die deutlich oberhalb des Bereichs liege, den sie mit Preisstabilität gleichsetze, so Jordan weiter. Ausserdem gebe es bereits «Anzeichen, dass sich die Inflation zunehmend auf Waren und Dienstleistungen ausbreitet, die nicht direkt von den Auswirkungen der Pandemie oder des Kriegs in der Ukraine betroffen sind». Unternehmen würden Preiserhöhungen rascher weitergeben, und das würde leichter akzeptiert, sagte Jordan. Nicht zuletzt seien deshalb auch ein Anstieg der Inflationserwartungen in der Schweiz zu erkennen und «Anzeichen, dass die Lohnentwicklung an Dynamik gewinnt». Jordan erinnerte daran, dass eine «ausgesprochen restriktive Geldpolitik mit gravierenden realwirtschaftlichen Folgen» nötig sein könne, wenn die Inflation einmal ein «bestimmtes Niveau» überschritten hätte. Und er sagte glasklar, dass «die Gewährleistung der Preisstabilität absolute Priorität» habe. «Absolute Priorität»: Das ist die Jordan'sche Version der Powell'schen «Until the job is done»-Rede.