Die Bücher der «Tribute von Panem» wurden von Beginn an als das nächste grosse Ding in der Post-Harry-Potter-Ära gefeiert. Kritiker der Trilogie von US-Autorin Suzanne Collins sprechen häufig das Lob aus: spannend, und vor allem auch eine intelligente Skizze der modernen Gesellschaft. Jetzt steht bereits der dritte Film ins Haus – morgen startet «The Hunger Games: Mockingjay - Part 1» (Deutsch: «Tribute von Panem – Flammender Zorn Teil 1») in den Schweizer Kinos.

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Die ersten beiden Teile haben bereits 1,5 Milliarden Dollar eingespielt. Die Verfilmungen sind also in jedem Fall ein kommerzieller Erfolg – doch wie treffend ist die soziale Kritik, mit der Collins Millionen begeistert?

In der Romanvorlage entwirft die Autorin eine post-apokalyptische Szenerie. Die Geschichte spielt in der diktatorische Nation Panem, in den Jahrzehnten nach dem letzten grossen Krieg, bei dem die USA zerstört wurden. Das Land ist aufgeteilt in die Zentrale – das Kapitol – und zwölf Distrikte.  Der 13. Distrikt organisiert sich im Geheimen und bildet den Ursprung des Widerstandes gegen die repressive Regierung. Viele Elemente erinnern an das Alte Rom: Um die Bevölkerung ausserhalb der Hauptstadt in Schach zu halten, werden jährlich multimedial rundumbetreute Gladiatorenspiele organisiert, zu denen jeder Distrikt zwei Vertreter schicken muss – und die nur ein einziger Sieger überleben kann.

These 1: Mangels Wettbewerb steht Panem vor dem Absturz.

In der Wirtschaftsordnung von Panem geht die Lieferkette in eine Richtung – aus den elf Distrikten in das Kapitol. Kohle, Technik, Lebensmittel, Luxusgüter – die Bereiche, aus denen die benötigten Waren geliefert werden, sind vorgeschrieben. Einen Wettbewerb um das beste Produkt, dass sich am Markt behaupten muss, gibt es nicht. Dementsprechend gibt es wenige Wachstumsimpulse. Der hohe technisch hohe Standard, der in der Hauptstadt vorherrscht, hat sich erkennbar im Vor-Kriegs-Amerika gebildet. Impulse für Innovationen sind diesem System schwer vorstellbar.

Panem zeige, wie schwer das Prinzip der «extrahierenden Institution» zu überwinden sei, schrieb Analyst Matthew Yglesias nach dem Erscheinen des ersten Filmes in einer Untersuchung. Damit ist gemeint, dass die gesamte Ordnung darauf basiere, dass der wohlhabende Teil sich durch die Ausbeutung der Ressourcen anderer Bereich nährt. Historische Beispiele wären etwa die Eroberung Amerikas oder die Kolonialisierung.

These 2: Ungleichheit ist ineffizient.

In den Romanen ist die Ungleichheit auf die Spitze getrieben. Das obszön reiche Kapitol steht im Kontrast zum Hunger und Elend in den anderen Distrikten. Das führt dazu, dass die Ressourcen ineffzient genutzt werden. Die Aufteilung erinnert an das alte Ständesystem im Mittelalter – Söhne von Minenarbeitern werden Minenarbeiter, weil sie in Distrikt 12 leben, nicht weil es ihren Fähigkeiten entspricht. Die dadurch entstehende Perspektivlosigkeit drückt Katniss Jugendfreund Gale mehrfach aus – aus der wiederum der Impuls zum Aufstand entsteht.

Die Distrikte profitieren nicht vom Wohlstand der Zentrale, es gibt kein Trickle-Down-Effekt, nach dem in einer globalisierten Welt alle vom Aufschwung der führenden Nationen angeschoben werden. Gleichezeit können die ärmere Bereiche auch nicht rückkoppelnd zum Wohlstand der Zentrale beitragen, da dort kein Konsum und kein Dienstleistungssektor entstehen. Das heisst, von einem offeneren Markt würden alle profitieren, auch die Reichen der Gesellschaft.

Mit den Anspielungen auf das Alte Rom wird dem Imperium zum Teil unrecht getan: Den Arbeitern sei es vergleichsweise gutgegangen, schreibt etwa Wirtschaftswissenschaftler Peer Vries in seinem aktuellen Werk zu Entstehung des Wachstums. Auch wenn die römische Herrschaft in vielem hart gewesen sein mag – die kulturelle Blüte, die sie Europa brachten, zeigt die positiven Einflüsse. Diese fehlen völlig.

Panem ist eine Kriegswirtschaft.

Wachstumsimpulse kommen in Collins Szenario nicht aus dem Wettbewerb und der freien Marktwirtschaft. Ein grosser Teil der Produktivität in Panem fliesst in die Abschreckung der drohenden Aufstände aus den ausgebeuteten Distrikten – die Ausbildung und der Einsatz des Militärs, der Peacekeeper, machen sicher einen grossen Teil im  Staatsbudget aus. Damit erinnert Panem entfernt das wirtschaftlich brachliegende Deutschland Ende der Zwanzigerjahre, das im dritten Reich seinen Aufschwung auf der Aufrüstung aufbaute.

Parallel zeigen sich weitere Anzeichen von Kriegsökonomien – der Hunger in der Bevölkerung und der florierende Schwarzmarkt. Damit wird die Wirtschaft aber auf einen Überlebensmodus zurückgeworden. Das zeigt zum Beispiel, dass Geld durch begehrte Tauschwaren ersetzt wird. Katniss Everdeen kann allein darum für ihre Familie sorgen, weil sie eine geschickte Jägerin ist und ihre Beute zum Teil auf dem Schwarzmarkt eintauscht.

Fazit: Collins Dystopie zeigt eine Ökonomie, in der der wohlhabende Teil der Bevölkerung allein von der Armut der ausgebeuteten Bevölkerung profitiert. Tatsächlich raubt sich die ungleiche Gesellschaft dadurch aber Wachstumsimpulse. Sie ist ineffizient und daher auch kaum stabil. Der Umsturz, auf den die Erzählung zusteuert, ist früher oder später also fast zwingend. Bleibt die Frage, ob die neu entstehende Ordnung gerechter ist...