Die Digitalisierung hat fast alle Bereiche unseres Lebens verändert, die früher brav analog heruntergespult wurden: Ferienplanung, Musikkonsum, Essensbestellung. Bei allem hilft uns eine App, in vielen Bereichen hat ein aufstrebendes Startup etablierte Player unter Druck gesetzt. Nur wenige Bereiche waren lange von diesem Veränderungsdruck verschont. Einer davon ist die Anwaltsbranche. Wie ein verlässliches Bollwerk gegen alles Neue und Digitale stand sie bisher da. Bei einem so ernsten Thema wie Rechtsstreitigkeiten wollte man mit Technik-Schnickschnack und unerfahrenen Startups wenig zu tun haben.

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Die Ruhe und Unberührtheit der Anwaltsbranche durch die Digitalisierung dürfte aber nicht mehr lange andauern. Schon heute spüren Anwaltskanzleien den Druck junger Wettbewerber, die Verbrauchern das Standardangebot von kleinen Kanzleien, etwa die Vorbereitung von Testamenten oder die Auswahl von Standardverträgen, online anbieten. Für standardisierte Rechtsberatungen, etwa bei der Rückforderung von Verspätungsentschädigung von Bahn- und Fluggesellschaften, gibt es genauso Startup-Anbieter (Bahn-Buddy.de, Fairplane) wie bei Einsprüchen gegen Bussgeldverfahren (Geblitzt.de). Standardverträge bietet die Seite Janolaw an.

Legal-Tech

Es ist eine gewisse Nervosität in der Branche zu registrieren, auch in der Schweiz. Vor allem junge Anwälte glauben nicht mehr, dass sie der einzige Berufszweig sind, der von der Internet-Revolution verschont bleibt.

Erst Anfang Juni gründete sich in Zürich die Swiss LegalTech Association, eine Vereinigung fortschrittlicher Anwälte, welche die Umwälzungen ihres Berufs durch «Legal-Tech» begleiten will. Legal-Tech beschreibt genauso wie Fintech in der Finanzbranche technologische Innovationen, die eine Branche verändern. Die Anbieter von rechtlichen Dienstleistungen stehen am Anfang einer tiefgehenden Transformation, schreiben die Gründer. Die Trends Big Data und künstliche Intelligenz würden eine grosse Chance für Anwälte bedeuten. Wer die Chance aber nicht wahrnehme, könnte von den neuen Entwicklungen hinweggespült werden.

Anwaltsjobs gefährdet

Eine Studie der Boston Consulting Group in Zusammenarbeit mit der Bucerius Law School in Hamburg gibt den Vereinsgründern recht. Die Studienautoren behaupten, dass Computerprogramme künftig 30 bis 50 Prozent der Aufgaben von Junioranwälten übernehmen könnten. Darunter fallen das automatisierte Auswerten von Vertragswerken, Backoffice-Arbeiten oder das Management von Rechtsfällen. «Grosse und kleine Anwaltskanzleien können es sich nicht länger leisten, Legal Technology zu ignorieren, wenn sie weiter wettbewerbsfähig bleiben wollen», sagt Christian Veith, Senior Partner bei BCG und Mitautor der Studie. «Kanzleien sind gezwungen, ihre bisherigen Geschäftsmodelle zu überdenken.»

Nun lässt sich einwenden, dass Anwaltskanzleien vielleicht bei standardisierten Verfahren, etwa bei der Forderung nach einer Entschädigung von der Fluggesellschaft, von jungen Dienstleistern unter Druck kommen könnten, aber doch niemals bei grossen, komplizierten Rechtsstreitigkeiten etwa im Wirtschaftsbereich.

Intelligente Verträge

Ein Irrtum, wenn man bedenkt, dass sich auch bei grossen Wirtschaftsfällen viele Backoffice-Arbeiten besser durch Software als durch teure Anwaltsgehilfen erledigen lassen. Zudem spielt auch das Thema Datensicherheit und Cloud in diesem Bereich eine grosse Rolle. So fordern Kunden absolute Sicherheit für ihre Daten und gleichzeitig eine schnelle Verfügbarkeit beziehungsweise Analyse derselben. Standardisierte Cloud-Software ist für seriöse Kanzleien aufgrund von Sicherheitsmängeln ausgeschlossen. Es müssen eigene Lösungen zur Datenlagerung und -analyse entwickelt werden. Das erfordert hohe Investitionen und den Aufbau von IT-Kompetenz in der Kanzlei. Auslagerungen könnten hier ein Wettbewerbsnachteil sein.

Auch das Phänomen der intelligenten Verträge könnte für Veränderungsdruck sorgen: Hier verhandelt eine Software einen Vertrag zwischen zwei Parteien, die vorher grundlegende Bedingungen festgelegt haben. Standardverträge könnten dadurch viel schneller geschlossen werden. «Digitale Anwendungen werden die Mandatsarbeit effizienter gestalten, die Zusammenarbeit der Anwälte untereinander sowie mit den Mandanten grundlegend verändern», schreibt der Rechtsanwalt Rüdiger Theiselmann in einem Linkedin-Meinungsbeitrag. «Die bisher verbreitete E-Mail-Kommunikation wird durch vertrauliche Bereitstellung von Mandatsunterlagen und Austausch der Arbeitsergebnisse in hochverschlüsselten Datenräumen abgelöst.»

Preise unter Druck

Kleinere Kanzleien könnten sich durch neue Kommunikations- und Datentransfersysteme schneller vernetzen und den Grosskanzleien, die bisher alle wichtigen Aufträge aufsaugen, Konkurrenz machen. Arbeitsaufwand und Kosten können durch datenbasierteres Arbeiten genauer mitverfolgt werden. Es wird nicht mehr jede Phantasierechnung einer Kanzlei ohne Einspruch bezahlt werden. Tatsächlich dürfte das eine der entscheidenden Fragen bei der Diskussion um Legal-Tech werden: Kommen die Honorare der Anwälte unter Druck, oder lassen sich die Honorare auch weiterhin rechtfertigen, weil eine neue Art von Expertise, etwa in Datenlagerung und sicherer Kommunikation sowie im Umgang mit Rechtssoftware entwickelt worden ist?

Eine erste Antwort auf diese Frage könnte eine Tagung am 5. Oktober in Zürich geben, wo sich die Reihe Management von Anwaltskanzleien mit dem Thema Legal-Tech befasst - der erste Event zu dem Thema in der Schweiz, bei dem auch das neue Anforderungsprofil für junge Anwälte definiert werden könnte. «Technische Fähigkeiten in den Bereichen der digitalen Kommunikation und Zusammenarbeit, Statistik und Datenanalyse werden immer entscheidender», sagt Markus Hartung, Direktor des Bucerius Center on the Legal Profession. Der Anwaltsberuf werde Projektmanager und Spezialisten erfordern, die mit Legal Technology umgehen können. Wer die neuen Entwicklungen und auch Chancen ignoriert, könnte sich bald auf der Verliererseite befinden.

Stefan Mair
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