Es klingt absurd: Den Norwegern geht es zu gut. Ausgerechnet ihre blendende Lage bedroht Experten zufolge die Wirtschaft und damit den Wohlstand. Das ehemals bitterarme Land ist durch die Ölfunde in der Nordsee zu einer der reichsten Nationen der Welt aufgestiegen. Und seine Bewohner arbeiten nun immer weniger.

«Wir haben das Geld für den nordischen Lebensstil: auf die Hütte fahren, Ski- und Fahrradfahren, Zeit mit den Kindern verbringen», sagt die 36-jährige Elise Bakke, die ihre Arbeitszeit bei einer grossen Telekom-Firma auf sechs Stunden täglich reduziert hat. «Warum soll ich mehr arbeiten, wenn ich nicht muss?»

Partner-Inhalte
 
 
 
 
 
 

Die hohen Löhne erlauben den Norwegern, weniger zu arbeiten, die Arbeitsstunden gehen zurück. Obwohl die Arbeitslosenquote nur bei drei Prozent liegt, erreicht die Beschäftigungsquote mit 61 Prozent nicht einmal das Niveau Griechenlands.

Bereits Donnerstagabend verlassen mehr Norweger die Hauptstadt als am Freitag. Die Folge: Die Wirtschaft könnte bald Opfer ihres Erfolges werden. Die Unternehmen klagen, denn die Lohnkosten haben seit dem Jahr 2000 um 63 Prozent zugelegt. Das ist sechs Mal so viel wie in Deutschland oder im Nachbarland Schweden.

Höhere Preise

Die Firmen erhöhen die Preise, um die Kosten zu kompensieren, und verlieren Aufträge. Kvaerner, ein Ausrüster für Ölbohrinseln, verlor kürzlich einen Schlüsselauftrag der staatlichen Ölfirma Statoil an die Daewoo Shipbuilding & Marine Engineering aus Korea. Kvaerner war zu teuer.

Norwegische Unternehmen nehmen bis zu 15 Prozent höhere Preise als die Konkurrenz, erklärt Kvaerner-Chef Jan Arve Haugan. «Auch hohe Qualität kann das nicht ausgleichen.»

Auch andere Unternehmen kommen mit den nordischen Kosten kaum noch klar. Der Billigflieger Norwegian Air hat gedroht, Flugzeuge nach Thailand zu verlegen und mit Crews aus Asien Europa anzufliegen. Der Ölförderer Aker Solutions wird zwar 4000 Ingenieure einstellen, jedoch sind davon nur noch ein Drittel Norweger.

Produktivität steigt nicht

Die hohen Löhne und der hohe Lebensstandard locken jährlich 50'000 Immigranten in das Fünf-Millionen-Einwohner-Land - allerdings ohne ökonomischen Effekt, wie der Wirtschaftsexperte Dag Aarnes vom norwegischen Unternehmerverband klagt. Denn die Produktivität steigt nicht.

Noch vor 100 Jahren wanderten Millionen arme Norweger aus dem Land aus, das nur auf drei Prozent seiner Fläche Ackerbau zulässt, und suchten ihr Glück in den USA. Heute warnen Regierung und Zentralbank vor dem Ende der Erfolgsgeschichte. Das Wohlfahrtsmodell bringe die Menschen dazu, dem Arbeitsmarkt zunehmend den Rücken zu kehren, heisst es bei der Notenbank.

Der Staat hat Rücklagen von umgerechnet 670 Milliarden Franken beziehungsweise rund 135'00 Franken pro Kopf - und seit Jahren tobt die Diskussion, ob die Regierung nicht viel mehr Öl-Kronen in die Infrastruktur und die Wohlfahrt stecken müsste, statt für die Zeit zu sparen, wenn das schwarze Gold nicht mehr sprudelt.

Politik reagiert nicht

«Öl ist die Metapher für den Lottogewinn», sagt Professor Fröness. «Der Überfluss ist schleichend in der Gesellschaft angekommen, die Leute nehmen ihn nicht wahr, weil er Schritt für Schritt gekommen ist.»

Bei den Parteien ist die Gefahr dennoch nur ein Randthema - im September wird gewählt und an der Wohlfahrt wird da kaum gerüttelt. Niedrigere Löhne, höhere Arbeitsstunden, Kürzungen im Sozialwesen - das wäre politischer Selbstmord. Die starke Betonung der Gleichheit ist für viele Norweger immer noch die Säule ihrer Gesellschaft.

Erst Krise bringt Veränderung

Aber es sind Probleme, die Norwegen wohl nur in den Griff bekommt, wenn es den Wohlfahrtsstaat erneuert. Schweden hatte seine Wirtschaftskrise Mitte der 1990er Jahre mit Reformen in der Arbeitsmarkt- und Tarifpolitik überwunden.

«Ich bin ganz optimistisch, denn die Politik hat das Problem verstanden», sagt Wirtschaftsexperte Aarnes. Aber momentan stehe keine Krise in Norwegen bevor. «Also wird das noch eine Weile dauern.»

(chb/sda)