Die Erwartungen sind gross, dass die Europäische Zentralbank (EZB) ihre Geldpolitik bald wieder normalisiert und die Zinsen anhebt. Der halbjährliche Bericht über die Finanzmarktstabilität, welchen die EZB vor einigen Tagen veröffentlichte, hat diesen Hoffnungen wohl eher einen Dämpfer versetzt. 

Denn die Notenbank warnt davor, dass ein niedrigeres Wirtschaftswachstum auch die Finanzstabilität in Europa gefährden könnte. Vor allem wegen des eskalierenden Handelskonflikts steige dieses Risiko in der Eurozone.

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Konkret sieht sie dabei drei Gefahren: 

  • Kurseinbrüche an den Börsen. Sollte das globale Wachstum sich stärker abschwächen als erwartet und die Handelsbeziehungen sich weiter verschlechtern, könnte das zu weiteren Kurseinbrüchen führen. Die Analyse der EZB zeigt: Je offener ein Wirtschaftssektor gegenüber dem Welthandel, desto stärker brechen die Aktienkurse infolge neuer Zollankündigungen ein. An den Märkten ist dies seit einigen Wochen spürbar: Die globalen Aktienindizes reagierten auf die Zuspitzung im US-chinesischen Handelsstreit und verloren im Mai. 
  • Neue Schuldenkrise. Ein solches Szenario könnte auch die Staatsschuldenkrise in Europa wieder anfachen: Denn die Finanzierungskonditionen der Schulden würden für angeschlagene Länder schlechter. Gleichzeitig stellt auch die Verschuldung von Unternehmen laut EZB ein Problem dar: Viele finanzschwache Unternehmen hätten die extrem niedrigen Zinsen genutzt und sich noch höher verschuldet.
  • Wacklige Banken. Ebenso stellt die EZB den Banken der Eurozone ein schlechtes Zeugnis aus: Die geringe Rentabilität könnte sich dieses Jahr noch weiter verschlechtern. Im Durchschnitt lag der Return on Equity (ROE) Ende 2018 bei 6,2 Prozent – und könne in diesem Jahr auf 5,5 Prozent sinken. Damit verdienen Europas Banken deutlich weniger als die von Investoren erwarteten 8 bis 10 Prozent. 

Einige Banken liegen sogar deutlich unter dem Durchschnitt – etwa die Deutsche Bank mit einem ROE von 0,5 Prozent. Nach EZB-Prognose könnte Deutschlands grösste Bank sogar in den defizitären Bereich abrutschen. 

Dabei malt die EZB nicht einmal schwarz, sondern geht von einem «Basisszenario» aus, das heisst von steigenden Zinsen, einer weiterhin leicht sinkenden Arbeitslosigkeit und einem Wirtschaftswachstum von 1,1 Prozent in diesem Jahr. 

Folgende Lösungen sieht sie vor: 

Um zur Rentabilität zurückzukehren, müssten die Banken einige strukturelle Problem lösen, Kosten senken und sich neue Einnahmequellen erschliessen. Dabei könnten Konsolidierungen helfen, empfiehlt EZB-Vizepräsident Luis De Guindos, und zwar nicht nur innerhalb der Länder, sondern über die europäischen Grenzen hinweg. Um zu überleben, müssen Europas Banken also fusionieren.

Zudem muss die EZB das Sicherheitsnetz vergrössern, um die Staatsschulden in den Bilanzen der Banken abzusichern. Dazu will sie die Staatsschulden bündeln, um die Risiken zu verteilen. Denn ansonsten, so ihre Analyse, hätten die Banken wegen des sinkenden Wirtschaftswachstums, keinen Spielraum in einer Finanzkrise.

Der Report trägt die Handschrift des neuen EZB-Chefökonoms Philip Lane. Der frühere Gouverneur der irischen Notenbank gilt als «Taube», steht also ebenso für eine lockere Geldpolitik wie sein Noch-Chef Mario Draghi

Sein Lösungsvorschlag für stabilere Banken in der Eurozone: eine stärkere Finanzverflechtung. Konkret: «Safe Bonds» – sichere Anleihen. Mit der schlechten Lage der Wirtschaft und der Banken der Eurozone unterstreicht sie deren Notwendigkeit.

Neuer EZB-Chef

Der Bericht fällt zudem just in einen Zeitraum, in dem ein Nachfolger Mario Draghi bestimmt wird. Vielleicht ist der Report sogar eine Art Stellenbeschreibung für den oder die Neue. Einer der diesem Profil weniger entspricht, ist etwa Jens Weidmann, der deutsche Kandidat für den EZB-Chefposten. Er ist seit langem einer der schärfsten Kritiker der lockeren EZB-Geldpolitik. Allerdings hat die EZB selbst nur wenig Einfluss auf die Wahl, schliesslich ist die Personalie eine politische Entscheidung, welche die Regierungen der Mitgliedsländer der Eurozone treffen. 

Ob die angeschlagene Weltwirtschaft auch hierzulande derart grosse Gefahren für die Banken des Landes hat, wird sich kommende Woche zeigen, denn die Schweizerische Nationalbank ihren Bericht zur Finanzstabilität herausgibt.