Die Schweiz lebt wesentlich von Dienstleistungserbringungen, sowohl was die Wertschöpfung als auch was die Beschäftigung angeht. Drei Viertel der gesamtwirtschaftlichen Wertschöpfung entstammen dem Dienstleistungssektor, auf den fast vier Fünftel der Erwerbstätigen entfallen. Der Dienstleistungssektor ist zudem sehr heterogen und umfasst Branchen wie die Gastronomie und Hotellerie, die Beratung, die öffentliche Verwaltung oder das Gesundheitswesen.
Der Wirtschaftswissenschaftler William Baumol hat vor Jahren schon festgestellt, dass Unterschiede im Produktivitätswachstum zwischen verschiedenen Sektoren und Branchen dazu führen, dass die Kosten für Waren und Dienstleistungen in sehr arbeitsintensiven Wirtschaftsbereichen – also dort, wo wir Menschen praktisch der einzige Input für die Produktion und Dienstleistungserbringung sind –, schneller zunehmen als in kapitalintensiveren Sektoren wie etwa der Industrie.
Der Gastautor
Boris Zürcher war bis Ende 2024 Direktor für Arbeit beim Seco und ist neu regelmässig Gastautor der Handelszeitung.
Sein berühmtes Beispiel ist ein Streichquartett. Ein solches ist heute nicht produktiver als vor hundert Jahren, denn für eine Geigenstimme wird auch heute immer noch eine Geigerin benötigt. Und das Musikstück schneller zu spielen – mehr Noten pro Zeiteinheit –, ist der Qualität des Hörerlebnisses zweifellos abträglich. Zudem müssen die Geigerinnen und Geiger genauso hoch bezahlt werden, wie sie es für eine produktivere Tätigkeit werden müssten, die sie sonst ausüben könnten. Die Löhne werden folglich nicht allein durch die Produktivität ihrer Arbeit bestimmt, sondern ebenso durch die sogenannten Opportunitätskosten, die sich daraus ergeben, dass die Personen anderswo in einem besser bezahlten Beruf arbeiten könnten.
Die Baumol’sche Kostenkrankheit («cost disease») ist der Fluch jeder hochproduktiven Wirtschaft. Von der Kostenkrankheit besonders betroffen sind etwa das Gesundheitswesen – vor allem die Pflege –, die Kleinkinderbetreuung und das Bildungswesen. Nicht zufällig sind dies auch einige der am stärksten regulierten und subventionierten Sektoren der Wirtschaft. In Anbetracht des Drucks, solche Dienstleistungen verfügbarer und erschwinglicher zu machen, tendiert der Gesetzgeber zu Vorschriften und Subventionen, welche die Kosten aus Sicht der Haushalte sozialisieren, statt die zugrunde liegende Dynamik zu brechen. Im besten Fall werden durch Subventionen nämlich lediglich private Kosten auf die öffentlichen Haushalte überwälzt. Im schlimmsten Fall verschärft sich die Kostenkrankheit, indem die Nachfrage zunimmt und der Anreiz abnimmt, kostengünstigere Alternativen zu suchen.
Denn die ursprüngliche Formulierung von Baumol suggeriert, dass die Kostenkrankheit unvermeidlich sei. Mit neuen Technologien oder einem besseren Marktdesign haben arbeitsintensive, nicht handelbare Dienstleistungen hingegen durchaus das Potenzial, eine grosse Quelle künftigen Produktivitätswachstums zu werden. Die Sozialisierung (Regulierung und Subventionierung) solcher Dienstleistungen führt jedoch zu einer doppelten Belastung, da sie sowohl den Zähler (Ausgaben) erhöht als auch den Nenner (BIP-Wachstum) schrumpfen lässt.
Beispielhaft abermals das Streichquartett: Dieses hat geradezu eine Produktivitätsrevolution durchgemacht, zunächst dank des Plattenspielers und heute dank digitaler Streamingdienste wie Spotify. Statt nur ein paar Hundert Zuhörerinnen und Zuhörer in einem Konzertsaal kann heute ein Millionenpublikum erreicht werden. Zum Glück wurde der Besuch eines Symphonieorchesters nie als so essenziell für das tägliche Leben angesehen wie die Gesundheitsversorgung, die Bildung oder die Kleinkinderbetreuung. Sonst würden wir dies weit über jede politische Vernunft hinaus subventionieren und regulieren, und der technologische Fortschritt und die Suche nach Alternativen wären ausgeblieben.
Unglücklicherweise erschliessen sich die geschilderten Zusammenhänge aber einer Mehrheit unserer Politiker im Parlament nicht. Jüngster Beleg dafür ist ihr Entscheid, die jahrzehntelange Anschubfinanzierung beziehungsweise das Kita-Impulsprogramm durch eine Einführung einer Betreuungszulage für Eltern, die ihre Kinder in Kitas betreuen lassen, abzulösen. Im besten Fall erfolgt dadurch einfach eine Verlagerung von privaten Kosten zum Staat. Im schlimmsten Fall wird die Nachfrage nach Kita-Dienstleistungen zunehmen und sich so die Kostenkrankheit akzentuieren – immer weiter, bis zur Unerträglichkeit. Eine einfache Steuergutschrift an alle Haushalte mit Kindern im Betreuungsalter – oder noch besser: eine allgemeine Steuerreduktion, die die Kaufkraft der Familien erhöht, wäre nicht nur effizienter, sondern würde auch Anreize schaffen, bessere, günstigere und innovativere Alternativen zum heutigen Kleinkinderbetreuungssystem zu finden.