Die Inflation scheint in den USA ihren vorläufigen Höhepunkt erreicht zu haben. Im Juli ist ihre Gesamtrate deutlich von 9,1 auf 8,5 Prozent gefallen. Die Kernrate, welche die für die Geldpolitik relevantere Entwicklung der Preise ohne Energie und Nahrungsmittel nachzeichnet, ist bereits seit März rückläufig und liegt aktuell bei 5,9 Prozent. Fallende Rohölpreise und ein im Jahresvergleich «nur» um 75 Prozent angestiegener Gaspreis haben den Umschwung bei der Gesamtrate gebracht. Die Kernrate profitiert davon, dass das amerikanische Wachstum seit Jahresbeginn negativ ist.

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In Europa sieht das anders aus. Auch hier ist der Ölpreis rückläufig und schon wieder auf dem Niveau der Zeit vor Russlands Überfall auf die Ukraine. Der Gaspreis liegt allerdings 400 Prozent über dem Wert vom vergangenen Sommer. Und die Gasversorgung für den Winter scheint noch nicht gesichert. Kein Wunder, trauen wir Ökonomen und Ökonominnen uns nicht, auch für Europa von einem Wendepunkt der Inflation zu reden. Noch steigt hier die Gesamtrate und liegt aktuell bei 8,9 Prozent. Angesichts des guten Wachstums der europäischen Wirtschaft im ersten Halbjahr steigt auch die Kernrate und notiert nun bei 4,0 Prozent.

Historisch schlechte Konsumentenstimmung

In Europa und den USA frisst die Inflation die Kaufkraft der privaten Haushalte. Die Konsumentenstimmung liegt denn auch an beiden Orten auf historischen Tiefstständen. Da ausserdem die Unternehmen zunehmend skeptisch werden, erscheint eine Rezession kaum abwendbar. In China ist man schon mittendrin in der Rezession aufgrund der fehlgeleiteten Corona-Massnahmen in der Vergangenheit und in der Gegenwart.

Und in der Schweiz? Hierzulande sind die Konsumentinnen und Konsumenten ebenfalls sehr pessimistisch geworden. Mit einer Gesamtrate von 3,4 Prozent und einer Kernrate von 2,0 Prozent erscheint die Inflation zwar vergleichsweise niedrig. Die Inflationserwartungen der Konsumierenden sind aber ins Rutschen gekommen. Übersetzt man die Werte der letzten Konsumentenbefragung in Inflationsraten, rechnen die Schweizer Haushalte mit einer Kernrate von 4,0 Prozent zu Jahresbeginn. Wenn dann die Gaspreise hoch bleiben oder noch steigen, sieht auch bei uns die Rechnung traurig aus.

Die Inflationswende erscheint also bestenfalls in den USA geschafft. Die wohl anstehende Weltrezession könnte jedoch auch bei uns für eine gewisse Atempause in der Inflationsthematik sorgen. Wo es vorläufig aber keine Entwarnung geben kann, sind die Finanzmärkte. Auch bei rezessionsbedingt tieferen Inflationsraten werden diese weit über dem aktuellen Zinsniveau liegen. Nachhaltig ist das allerdings nicht.

 

Der Ökonom Klaus Wellershoff ist Gründer und Verwaltungsratspräsident von Wellershoff Partners und Honorarprofessor an der Universität Sankt Gallen. Bekannt ist er auch als ehemaliger Chefökonom der Grossbank UBS. In der Kolumne «Freie Sicht» schreiben ausserdem Isabel Martínez, Ökonomin an der Konjunkturforschungsstelle (KOF) der ETH Zürich, Reiner Eichenberger, Professor für Finanz- und Wirtschaftspolitik an der Universität Freiburg, sowie der «Handelszeitung»-Co-Chefredaktor Markus Diem Meier.